Österreich zählt traditionell zu den gefragtesten Kongressdestinationen weltweit. Die Pandemie hat der Branche jedoch einen der schwersten wirtschaftlichen Einbrüche beschert. Im Vergleich zum Rekordjahr 2019 gab es bei den Veranstaltungen wie Kongressen, Firmentagungen oder Seminaren einen Rückgang von 66 %.1 Seither wird versucht, mit Innovationskraft und Kompetenz als Allround-Veranstalter bei virtuellen, hybriden und physischen Events zu punkten und neben Gastfreundschaft und Servicequalität das Thema Sicherheit und Gesundheitsschutz in den Mittelpunkt zu rücken. Trotz dieser vielfältigen Anstrengungen hat die Branche jedoch eines übersehen: Der Gesundheitssektor spielt nach besonderen Regeln und kann bei aller Digitalisierung nicht so einfach ins Netz transferiert werden.
Wie eine Ultraschallsonde oder ein chirurgisches Besteck in der Hand liegt, kann online nicht vermittelt werden. Häufig sind aber genau das die Kriterien, die für eine Kaufentscheidung auschlaggebend sind. Zudem sind viele Produkte und Innovationen erklärungsbedürftig und dazu sind nach wie vor das persönliche Gespräch und Hands-on-Demonstrationen unerlässlich. Das gilt nicht nur für Unternehmen. Auch die wissenschaftliche Community lebt vom Netzwerken. Künftige Forschungskooperationen oder neue Ergebnisse werden oft informell auf Kongressen besprochen.
Ob kreative Messestände, international renommierte Keynotes oder ungewöhnliche Performances – Medizinprodukte-Unternehmen haben viel investiert, um den persönlichen Kontakt zu ihren Anwendern, den Ärzten und Gesundheitsdienstleistern, zu etablieren und auszubauen. In der medizinischen Community sind Online-Übertragungen, E-Learnings oder Content-on-Demand auch vor Corona keine Novitäten und schon immer Teil eines zeitgemäßen Aus- und Weiterbildungskonzeptes gewesen. Jedoch ein Umstieg auf rein virtuelle Events ist aus Sicht der Medizinprodukte-Branche langfristig keine nachhaltige Option.
„Die Digitalisierung hat uns in den letzten beiden Jahren viele Vorteile gebracht. Die Industrie, die ärztlichen Fachgesellschaften sowie Kongress- und Fortbildungsanbieter müssen jetzt das Beste aus beiden Welten kombinieren und Mehrwert für alle schaffen“, sagt Christian Braun, Vizepräsident der AUSTROMED. Er ist überzeugt, dass die persönliche Vernetzung und die Face-to-Face-Kommunikation wieder ihren Stellenwert zurückgewinnen müssen. Gleichzeitig braucht es aus Sicht von Braun mehr innovative Ideen, um den Online-Output für Teilnehmende und Sponsoren nachhaltig zu gestalten: „Symposien und Beiträge zum Nachhören sind ebenso wichtig wie passende schriftliche Unterlagen und die Möglichkeiten, die Teilnehmenden auch zu kontaktieren.“ Hier ortet er derzeit aufgrund des Datenschutzes das größte Manko: „Bin ich vor Ort, kann ich Visitkarten und Kontaktdaten austauschen. Online bekommen wir von den Veranstaltern keine Information, wer an welchen Symposien teilgenommen hat. Damit verliert diese Konstellation für uns massiv an Wert.“ Aus Erfahrung weiß er aber auch, dass die physische Teilnahme an Kongressen für den Ärztenachwuchs oft an Grenzen stößt: „Sowohl zeitlich als auch finanziell wird die Ärzte-Nachwuchsgeneration nicht mithalten können.“ Ob Präsenz-, Hybrid- oder Onlinekongresse: Die Zahl der Anwesenden vor Ort wird sinken, die Aufmerksamkeit im Netz ist inflationär und damit die Preise für Standmieten oder Kongress-Sponsoring insgesamt unattraktiver.
Die Regeln des Medizinprodukte-Gesetzes sind für KommR Mag. Alexander Hayn, MBA, AUSTROMED-Vizepräsident und Wirtschaftskammerobmann, ein zentrales Argument für physische Treffen: „Das Gesetz sieht vor, dass es eine Zusammenarbeit zwischen Anwendern und Medizinprodukte-Unternehmen gibt. Dazu bieten persönliche Gespräche auf einschlägigen Fachveranstaltungen die beste Option.“
Mit dem Verhaltenskodex2 der AUSTROMED, wird die Zusammenarbeit zwischen Medizinprodukte-Unternehmen und Einrichtungen des Gesundheitswesens sowie Angehörigen von Gesundheitsberufen als auch Medizinprodukte-Unternehmen untereinander geregelt. Dabei wird unter anderem die Unterstützung im Rahmen von Aus- und Weiterbildungen festgelegt: So müssen Veranstaltungen für die Tätigkeit der eingeladenen Beschäftigten in Einrichtungen des Gesundheitswesens unmittelbare fachliche Bedeutung im Sinne von Aus-, Fort- oder Weiterbildung haben. Aus dem Werbematerial für die Veranstaltung muss sich der Veranstaltungsinhalt ergeben.
Bei der Organisation oder dem Sponsoring internationaler Veranstaltungen müssen die AUSTROMED-Mitglieder den Vorschriften der jeweiligen Länder sowie den Gesetzen und Vorschriften des Landes, in dem die Veranstaltung stattfindet, entsprechen. Für internationale Veranstaltungen gelten die entsprechenden Vorschriften des europäischen Dachverbands MedTech Europe3. Dazu wurde ein sogenanntes „Conference Vetting System“ (CVS) etabliert, das international eine einzigartige Initiative der Gesundheitsindustrie darstellt: Ein zentralisiertes Entscheidungssystem fördert die Transparenz, aber auch die Kontinuität der Aus- und Weiterbildung innerhalb der Branche und sorgt dafür, dass die Compliance-Richtlinien in Übereinstimmung mit dem MedTech Europe Code of Ethical Business Practice4 eingehalten werden. Damit kann ein Mitglied der europäischen MedTech Europe einen extern veranstalteten Event nur dann unterstützen, wenn dieser vorab ein positives Assessment des CVS durchlaufen hat. Mittlerweile hat sich auch die pharmazeutische Industrie mit der EFPIA, dem europäischen Dachverband der nationalen Verbände forschender Pharmaunternehmen (European Federation of Pharmaceutical Industries and Associations), diesem System angeschlossen. Der Prozess umfasst sechs zentrale Kriterien der Beurteilung: das wissenschaftliche Programm, den Austragungs- und den Veranstaltungsort, die Bewirtungskosten, die Sachzuwendungen im Zusammenhang mit der Registrierung sowie die Kommunikation. Damit verpflichtet sich die Medizinprodukte-Industrie auch über die Landesgrenzen hinaus besonders hohen ethischen Standards im Zusammenhang mit Transparenz und guten Business-Praktiken.