Nach dem Einbruch durch die Pandemie freuen sich Veranstalter wieder über Besucher „vor Ort“, denn wie eine Ultraschallsonde oder ein chirurgisches Besteck in der Hand liegt, kann online nicht vermittelt werden. Zudem sind viele Produkte und Innovationen auf dem Medizintechnik-Sektor erklärungsbedürftig. Dazu sind persönliche Gespräche und Hands-on-Demonstrationen unerlässlich.
Den Wert persönlicher Kontakte betonen auch renommierte heimische Branchen-Kongressveranstalter: „Multigesponsorte Kongresse mit begleitenden Fachausstellungen finden wieder in Präsenz statt und das Netzwerken ist mehr denn je in den Vordergrund gerückt“, sagt Eva Pernek, Geschäftsführerin von MedAhead. Seit 20 Jahren steht sie mit ihrem Team für individuelle und objektive Gesundheitskommunikation, die auch komplexe medizinische Themen für jede Kommunikationsaufgabe passend aufbereitet und transportiert. Auch Mag. Barbara Skrott, Director of National Projects, Mondial Congress & Events, ist seit vielen Jahren federführend in der Kongressorganisation in Wien, Österreich und ganz Europa tätig. Die Veränderungen, die Corona mit sich gebracht hat, sieht die Expertin positiv: „Wir spüren den Wunsch nach Präsenzveranstaltungen, kombiniert mit den Vorteilen, die durch die Digitalisierung gekommen sind, wie zum Beispiel vermehrt Vorbereitungstreffen online.“ Sie ortet aber auch, dass sich die Erwartungshaltung der Teilnehmenden geändert hat: Bei großen Kongressen wird eine Online-Ergänzung vorausgesetzt.
Bei aller Aufbruchsstimmung machen aber häufig strenge Compliance-Vorschriften die Wahl der Location zur Qual. So gelten für internationale Kongresse die Vorschriften des sogenannte Conference Vetting Systems (CVS). CVS ist ein zentralisiertes Entscheidungssystem, das die Transparenz fördern und dafür sorgen soll, dass die Compliance-Richtlinien in Übereinstimmung mit dem MedTech Europe Code of Ethical Business Practice eingehalten werden. Der Prozess umfasst sechs zentrale Kriterien der Beurteilung: das wissenschaftliche Programm, den Austragungs- und den Veranstaltungsort, die Bewirtungskosten, die Sachzuwendungen im Zusammenhang mit der Registrierung sowie die Kommunikation. „Damit verpflichtet sich die Medizinprodukte-Branche zu hohen ethischen Standards“, sagt Mag. Philipp Lindinger, Geschäftsführer der AUSTROMED. Er ergänzt aber gleichzeitig: „Das bringt langjährig etablierte heimische Kongressstandorte wie zum Beispiel Innsbruck in große Bedrängnis.“ Österreich ist ein weltweit bekanntes Tourismusland und damit sind CVS-konforme Veranstaltungsorte nach der geltenden Definition nahezu ausgeschlossen.“
Für die AUSTROMED, so Lindinger, ist es im Rahmen der Bewertung vorrangig wesentlich, wie das Programm einer Veranstaltung ausgestaltet ist. „Wir haben daher bei MedTech Europe angeregt, Länderspezifika bei der Entscheidung mitzuberücksichtigen. Es kann nicht sein, dass wir etwa in Innsbruck, wo eine bedeutende medizinische Universität beheimatet ist, keine einschlägigen Kongresse abhalten können. Dies gilt sinngemäß auch für Orte wie Zell am See, Bad Ischl und all jene Destinationen, wo ein Kongresszentrum erfolgreich etabliert ist“, so Lindinger.
Prim. Univ.-Doz. Dr. Alexander Becherer war bis Jahresanfang Leiter des Kongressausschusses der Österreichischen Gesellschaft für Nuklearmedizin und Theranostik, ist Bundesfachgruppenobmann Nuklearmedizin in der Österreichischen Ärztekammer und direkt betroffen: „Wir haben sieben Jahre lang unseren Kongress in Zell am See abgehalten. 2020 wurden wir plötzlich mit einer ‚red flag‘ konfrontiert, weil Zell am See ein Wintersportort ist.“ Das bedeutet, dass die Mitgliedsfirmen von MedTech Europe den Kongress nicht unterstützen dürfen. Salzburg schied als Alternative aus, weil die Angebote zu klein, zu teuer oder über Jahre ausgebucht sind. „Als Alternative für Zell am See fand ich für 2022 Bad Ischl mit freien Kapazitäten, das aber nur nach mühsamen Verhandlungen mit Ethical MedTech bewilligt wurde.“ Für den 36. Internationalen Kongress im Jänner 2024 kam neuerlich ein „Aus“ für Bad Ischl. Becherer wandte sich darauf wiederum an Ethical MedTech, wo nach großem persönlichem Einsatz noch einmal eine „green flag“ erteilt wurde. Als Grund für die ursprüngliche Ablehnung wurde nur die unbefriedigende Erreichbarkeit genannt – für Becherer nicht nachvollziehbar, denn immerhin ist Bad Ischl 2024 sogar Europäische Kulturhauptstadt. Er sieht darin eine deutliche Diskriminierung kleiner Orte und Länder sowie nicht-profitorientierter wissenschaftlicher Gesellschaften. „Für den Erfolg eines Kongresses trägt der Veranstalter die Verantwortung. Die Einmischung einer Organisation wie Ethical MedTech nach derart intransparenten Entscheidungsfindungen ist marktbeeinflussend und wettbewerbsverzerrend“, so Becherer. Diese Meinung teilte er auch einer Reihe von politischen Entscheidungsträgern, in deren Ressorts die Problematik fällt, mit. „Darüber hinaus gestaltet sich die Kommunikation mit MedTech Europe schwierig. Man bekommt oft Wochen keine Antwort. Kurzfristige Änderungen sind für die Organisation aber praktisch nicht machbar. Internationale Kongresse werden, abgestimmt auf viele andere Termine, in regelmäßigen Abständen abgehalten und erfordern viele Monate Vorlaufzeit. Mit den Veranstaltungsorten werden langfristige Verträge ausgehandelt“, sagt der Primar.
Angeführt wurde unter anderem, dass „einmal zugesagte Destinationen sich verändern können“, daher muss immer wieder neu angefragt werden, langfristige Verträge werden somit unmöglich. Bad Ischl hätte sich außerdem „laut Internetrecherche des Ethikkomitees“ als Tourismusdestination geoutet. In der Tat wird es wohl schwierig bis unmöglich sein, irgendeinen Ort auf der Welt zu finden, der sich im Internet als Gäste-unfreundlich darstellt …
„Wir werden unter Generalverdacht gestellt, einen Kongress nur aufgrund von Freizeitmöglichkeiten rund um den Ort zu besuchen. Wenn es danach ginge, wäre sogar St. Pölten unzulässig. Ein Kulturangebot und Sehenswürdigkeiten gibt es überall in Österreich. Die Benachteiligung kleiner Orte und ländlicher Regionen gegenüber Metropolen widerspricht dem Zeitgeist“, so Becherer abschließend.