Sabine Loos ist stellvertretende koordinierende Brückenschwester des OSP Stuttgart und kennt die Situation der Palliativversorgung in Deutschland mit all ihren Höhen und Tiefen. Mag. Tomasz Tobolski, DGKP, MSc., Palliativbeauftragter der Volkshilfe Wien, erläutert jeweils die österreichischen Unterschiede dazu. „In Deutschland gilt das Motto ‚ambulant vor stationär‘“, schickt Loos voraus. Entsprechend großes Gewicht haben ambulante Dienste wie die Hospizdienste, die Brückenpflege und Palliative Care Teams. Stationäre Palliativstationen und Hospize ergänzen die Vielzahl an Angeboten.
Dennoch werden Versorgungsdefizite registriert, was einerseits daran liegt, dass regionale Lücken bestehen können. Andererseits zählen Kapazitätsmängel im Team, die Unkenntnis der Versorgungsmöglichkeiten oder zu späte Kontaktaufnahme mit den palliativen Versorgern zu den Ursachen. Die Probleme während einer laufenden Versorgung unterscheiden sich kaum von jenen in Österreich.
„Als ambulante Hospizdienste gelten alle Dienste, Gruppen und Initiativen, die Sterbebegleitung und palliativ-pflegerische Beratung für Palliativpatienten, meist in deren häuslicher Umgebung, erbringen“, erklärt Loos und ergänzt: „Ziel der ambulanten Hospizarbeit insgesamt ist es, dem kranken Menschen zu ermöglichen, seine letzte Lebensphase mit größtmöglicher Lebensqualität in seiner gewohnten Umgebung zu verbringen.“ Ähnlich wie in Österreich sind Hospizdienste in Deutschland keine „Leistungserbringer“ im Gesundheitswesen, sondern sie erbringen ihre Leistungen großteils ehrenamtlich. Förderungen durch Krankenkassen sind verfügbar, die Hospizdienste müssen dafür jedoch bestimmte Qualitätskriterien erfüllen. Eine besondere Einrichtung stellen ambulante Kinderhospizdienste dar, bei denen schwerstkranke und sterbende Kinder mit ihren Familien und Kinder von schwerstkranken Familienangehörigen begleitet werden.
Einen Anspruch auf hospizliche Begleitung gibt es in Deutschland nicht – Verfügbarkeit und Ressourcen entscheiden regional höchst unterschiedlich über diese Dienste. Koordiniert werden Hospizdienste von qualifizierten Fachkräften, häufig Pflegefachkräften mit palliativer Zusatzqualifikation. Die regelmäßige Begleitung erfolgt durch ehrenamtliche Mitarbeiter. „Die Tatsachen, dass ‚die Ehrenamtlichen‘ als normale Menschen ins Haus kommen, Zeit mitbringen, zu keiner Versorgungseinrichtung gehören und auch nicht abrechnen müssen, eröffnen oft Zugänge und Gespräche, die professionellen Helfern verschlossen bleiben“, sagt Loos. Ambulante Hospizdienste kommen vorwiegend zum Patienten nach Hause, zu seiner Familie, in Pflegeheime, in Einrichtungen der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung oder der Kinder- und Jugendhilfe. Sie können Patienten auch in Kliniken besuchen. Hospizdienste sind für Betroffene und ihre Angehörigen kostenfrei.
Die Brückenpflege ist ein Konzept zur Versorgung von schwerstkranken Tumorpatienten in Baden-Württemberg. Sie begleitet schwerkranke Menschen und ihre Angehörigen von der Klinik nach Hause (Überleitungspflege) und zu Hause bis in den Tod. Brückenpflege ist immer an einen Onkologischen Schwerpunkt (OSP) oder ein Tumorzentrum angegliedert, die Finanzierung erfolgt über das Krankenhausbudget. „Entstanden ist die Brückenpflege durch verschiedene Modellprojekte, die alle das gemeinsame Ziel verfolgten, die Situation schwerkranker und sterbender Tumorpatienten zu verbessern, die verbleibende Lebenszeit zu Hause zu verbringen sowie die Lebensqualität der Patienten und deren Familien zu erhöhen“, sagt Loos. „Nach der Modellzeit wurde 1994 die Brückenpflege in die Regelfinanzierung (Umlage Krankenhausbudget) überführt. Gleichzeitig wurden landesweit in Baden-Württemberg 50 Stellen für Brückenschwestern® geschaffen.“ Viele Brückenpflegeteams sind außerdem Teil eines Palliative Care Teams (PCT). Die Arbeit der Brückenpflege unterscheidet sich generell nicht von der eines PCT, außer dass im PCT auch Ärzte mit integriert sind, was bei der Brückenpflege nicht der Fall ist.
Mag. Tomasz Tobolski, DGKP, MSc., Palliativbeauftragter der Volkshilfe Wien, vergleicht: „Ein ähnliches Modell stellen die Palliativkonsiliardienste in vielen Krankenhäusern Österreichs dar. Sie unterstützen in erster Linie das ärztliche und pflegerische Personal, aber auch Patienten und deren Angehörige. Zu ihren Funktionen gehören unter anderem Schmerztherapie, Symptomkontrolle, psychosoziale Beratung und pflegerische Unterstützung, sie sorgen aber auch dafür, dass der Übergang vom Spital nach Hause so stressfrei wie möglich erfolgt. In einigen Bundesländern erfolgt danach in der unmittelbaren Umgebung eine weitere ambulante Unterstützung – besonders im ländlichen Raum, da hier die Versorgung mit Palliativstationen und Hospizen schlechter ist.“
Im Jahr 2007 wurde als individueller Leistungsanspruch die Spezialisierte Ambulante Palliativversorgung (SAPV) eingerichtet, die jedem Versicherten in Deutschland das Recht gibt, diese Versorgungsform zu nutzen. Die SAPV soll auch jenen Patienten eine Versorgung und Betreuung zu Hause ermöglichen, die einen besonders aufwendigen Betreuungsbedarf haben. Loos sagt dazu: „Damit wurde vom Gesetzgeber die Chance für den Ausbau und die Verbesserung der ambulanten Versorgung eröffnet. In den meisten Bundesländern wurden inzwischen SAPV-Strukturen aufgebaut, eine flächendeckende Umsetzung ist jedoch bislang bei Weitem noch nicht erreicht.“ Die Umsetzung ist in den Bundesländern höchst unterschiedlich. „Mobile Palliativdienste könnte man als das österreichische Gegenstück zur deutschen SAPV betrachten“, sagt Tobolski.
Palliativstationen in Krankenhäusern sind eigenständige, in ein Krankenhaus integrierte spezialisierte Einrichtungen zur Versorgung schwerstkranker und sterbender Menschen, die einer Krankenhausbehandlung bedürfen. Ziele der Behandlung sind eine Verbesserung oder Stabilisierung der jeweiligen Krankheitssituation sowie die anschließende Entlassung – soweit möglich – nach Hause. „Merkmal ist auch auf Palliativstationen der ganzheitliche, multiprofessionelle Betreuungsansatz; neben der palliativärztlichen und palliativpflegerischen Betreuung erfolgt eine enge Zusammenarbeit mit anderen Berufsgruppen wie Seelsorgern, Sozialarbeitern oder Psychologen. In vielen Palliativstationen erfolgt auch eine Begleitung durch Ehrenamtliche“, erläutert Loos. Zunehmende Bedeutung in der Krankenhausversorgung habe die Einrichtung palliativmedizinischer, zum Teil auch multiprofessionell und einrichtungsübergreifend arbeitender Konsiliardienste, die häufig an Palliativstationen angebunden seien. Der Bedarf wird in Deutschland auf derzeit insgesamt 50 Betten je 1 Million Einwohner geschätzt, international wird er zum Teil mit 80 bis 100 Betten je 1 Million Einwohner angegeben. Derzeit stehen etwa 40 Betten je 1 Million Einwohner zur Verfügung.
„Stationäre Hospize sind baulich, organisatorisch und wirtschaftlich eigenständige Einrichtungen mit separatem Personal und Konzept. Sie verfügen mindestens über acht und in der Regel höchstens über 16 Betten. Stationäre Kinderhospize sind speziell auf die Bedürfnisse lebensverkürzend erkrankter Kinder ausgerichtet“, sagt Loos. Eine ganzheitliche Pflege und Versorgung werde durch haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiter des Hospizes in Zusammenarbeit mit palliativmedizinisch erfahrenen (Haus-)Ärzten gewährleistet. Das erste stationäre Hospiz Deutschlands wurde 1986 in Aachen eröffnet.
„In Österreich ist die Finanzierung stationärer Hospize Landessache. Sie unterliegen dem Pflegebereich und der wird von Bundesland zu Bundes
land unterschiedlich geregelt. In Wien sind stationäre Hospize derzeit nicht zu finden, da derart gelagerte Einrichtungen vor einigen Jahren in Palliativstationen umbenannt wurden. Grundsätzlich erfüllen sie jedoch fast dieselben Funktionen wie Hospize und arbeiten nach denselben Prinzipien. Insgesamt gibt es in Österreich nur zehn Hospizstationen – das ist ganz sicher nicht genug“, gibt Tobolski Einblick.
Seit 2013 gibt es ein österreichweit akkordiertes Konzept für die spezialisierte Hospiz- und Palliativversorgung von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit vier spezialisierten Versorgungsangeboten: mobile Kinder-Palliativteams für die Betreuung zu Hause, Kinder-Hospizteams mit ehrenamtlichen Hospizbegleitern, stationäre Kinder-Hospize und pädiatrische Palliativbetten an den Kinder-/Jugendlichen-Abteilungen in Akut-Krankenanstalten. Der Bedarf ist derzeit nicht einmal annähernd gedeckt.
Voraussetzung für die Aufnahme in ein stationäres Hospiz ist, dass der Patient an einer Erkrankung leidet, die progredient verläuft und bei dem eine Heilung ausgeschlossen ist. Haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiter des Hospizes versorgen in Zusammenarbeit mit palliativmedizinisch erfahrenen Ärzten schwerstkranke Patienten ganzheitlich. Seit 2009 sind Patienten von einem 5%igen Selbstbehalt befreit. Krankenkassen und Hospiz übernehmen die Kosten. Versorgungsdefizite – kein Versorger in der Nähe, Kapazitätsmängel im Team, Unkenntnis der Versorgungsmöglichkeiten oder zu späte Kontaktaufnahme – sowie gängige Probleme bei der laufenden Versorgung bestehen auch hier.