Welche Faktoren gehören für Sie zur Resilienz einer Volkswirtschaft?
Der Begriff der Resilienz hat in den letzten Jahren eine hohe Popularität bei der Formulierung wirtschaftspolitischer Zielsetzungen erlangt. Auf eine Volkswirtschaft bezogen ist Resilienz die Fähigkeit, einerseits vorbeugende Maßnahmen zur Bewältigung von Krisen zu treffen sowie dadurch andererseits unmittelbare Krisenfolgen abzumildern und sich möglichst rasch an veränderte Rahmenbedingungen anzupassen und im Weiteren wiederum für künftige Krisen zu lernen.
In diesem Sinne gibt es zahlreiche Faktoren, welche die Resilienz einer Volkswirtschaft stärken oder schwächen können. Dazu gehören etwa das Bildungsniveau der Bevölkerung, das Ausmaß des gesellschaftlichen Zusammenhalts, die Reaktionsgeschwindigkeit von staatlichen Institutionen, die Wirtschaftsstruktur eines Landes oder auch die Innovationsorientierung eines Standortes. Ein allgemein entscheidender Aspekt für die Resilienz einer Volkswirtschaft ist aber vor allem ein gemeinsames Verständnis jener Schlüsselfunktionen, die in Krisenzeiten aufrechterhalten werden müssen. Diese müssen hinreichend präzise formuliert sein, um eine erfolgreiche Umsetzung in politische Maßnahmen zu ermöglichen.
Welche Hauptkomponenten machen ein widerstandsfähiges Gesundheitssystem aus?
Resiliente Systeme bewahren in unvorhergesehenen und plötzlich auftretenden Krisensituationen ihre Handlungs- und Funktionsfähigkeit. Resilienz auf systemischer Ebene – so auch im Gesundheitswesen – benötigt eine Reihe von Ausprägungen wie Flexibilität für kurzfristige Anpassungen, schnelle und abgestimmte Kommunikation im Sinne eines Informations- und Wissensflusses zwischen den wesentlichen Akteuren und eine klare Prioritätensetzung. Das Hauptaugenmerk muss dabei auf der Aufrechterhaltung der medizinischen Versorgung liegen und damit unter anderem in der Sicherung der Lieferketten für Medikamente und Medizinprodukte. Strategien, um Abhängigkeiten in der Lieferkette zu verringern, beziehen sich dabei auf eine stärkere Diversifikation bezogen auf Zulieferer, kürzere Transportwege sowie intelligente bzw. klar geregelte Bevorratung und den Ausbau systemrelevanter Produktion und Qualitätsprüfung in Österreich bzw. der EU.
Ein ganz wesentliches Kriterium eines resilienten Gesundheitssystems liegt auch auf der Vorbereitung mit einer Versorgungs- und Krisenplanung auf Basis einer guten Datenlage.
Welche Krisen haben die größte Herausforderung für das System dargestellt?
Das österreichische Gesundheitssystem und die heimische Gesundheitswirtschaft waren in den letzten Jahren von multiplen Krisenereignissen betroffen: der Covid-19-Pandemie, der Klima- und Energiekrise oder auch dem Russisch-Ukrainischen Krieg und deren kollateralen Folgen in Form von instabilen und unterbrochenen Versorgungs- und Lieferketten sowie hohen Energie-, Rohstoff- und Logistikkosten.
Als herausfordernd hervorzuheben ist jedoch auch die Tatsache, dass gerade in den vergangenen Krisenjahren auch die „Triple Transition“, die grüne, digitale und soziale Transformation, auf den Weg gebracht werden musste, die künftig dafür sorgen soll – durch das Zusammenspiel von Klimaneutralität und Kreislaufwirtschaft, Wettbewerbs- und Widerstandsfähigkeit der europäischen Wirtschaft sowie der Verringerung sozialer Ungleichheiten – Österreich bzw. Europa zukunftsfit zu machen.
Welche Schwachstellen wurden während der Krisen besonders sichtbar?
Die Covid-19-Pandemie hat deutlich gezeigt, dass das heimische Gesundheitssystem nicht isoliert betrachtet werden darf. Schnittstellen und Verflechtungen zeigten sich sowohl auf Ebene der Akteure als auch auf Ebene des Ordnungsprinzips von Ländern, Bund und EU. Sie müssen die nötige Aufmerksamkeit bekommen, da sonst in Krisensituationen Verzögerungen bzw. Erschwernisse auftreten. In diesem Sinne kann rückblickend auch die starke Fragmentierung des österreichischen Gesundheitssystems als Schwachstelle gesehen werden, da sich dadurch der Informationsaustausch verzögert und teils auch verschlechtert.
Die Pandemie hat gezeigt, wie komplex und fragil die Lieferketten bei Medizinprodukten und Medikamenten sind. Auch die Datenverfügbarkeit im System war teils problematisch. Hier muss mit den Möglichkeiten der Digitalisierung dagegen gearbeitet werden. Im Krisenfall sind Transparenz und Koordination auf Basis strukturierter und valider Daten eine wichtige Voraussetzung für rasches und koordiniertes Handeln aller Stakeholder, um die Krise eindämmende Entscheidungen zu treffen. Dazu muss jedoch im Vorfeld auch in Krisenprävention investiert werden.
Gibt es positive Beispiele für Anpassungsfähigkeit oder schnelle Problemlösung?
In der Pandemie haben sich die Medizinprodukte-Unternehmen in Österreich als unverzichtbarer Resilienzfaktor erwiesen, sowohl in ihrer Funktion als Grundelement einer qualitativ hochwertigen Gesundheitsversorgung als auch als wesentlicher Faktor für den heimischen Wirtschaftsstandort. Insbesondere zu Beginn der Krise konnte auf wichtiges Erfahrungswissen und die Unterstützung der Unternehmen rasch zurückgegriffen werden, wobei sich viele Akteure proaktiv eingebracht haben. In Österreich haben wir gesehen, dass vieles möglich ist, wenn alle Stakeholder an einem Strang ziehen.
Die Covid-19-Krise hat auch die Bedeutung der digitalen Transformation im Gesundheitswesen verdeutlicht. Hier konnten teils schnelle Lösungen umgesetzt werden, die positive Effekte für System und Patientinnen und Patienten bewirkten.
Welche Rolle spielen Digitalisierung und Innovation bei der Krisenbewältigung?
Innovationsfähigkeit ist auch in Nicht-Krisenzeiten ein entscheidender Faktor für die Wettbewerbs- und Zukunftsfähigkeit von Unternehmen und Wirtschaftsstandorten. In Krisensituationen steigt die Bedeutung einer hohen Innovationskraft zusätzlich, da diese Voraussetzung dafür ist, sich schnell und flexibel an neue Rahmenbedingungen anzupassen.
Die Digitalisierung wiederum ist mittlerweile seit Jahren ein wesentlicher Innovationstreiber. Sie hat viele neue Wege für Innovationen bzw. „dynamische Anpassungen“ eröffnet. Hier braucht es im Sinne der Resilienz von (Gesundheits-)Systemen eine zukunftsorientierte Weiterentwicklung beispielsweise bei der Nutzung von E-Health-Instrumenten bzw. von telemedizinischen Ansätzen oder auch im Zuge von Prozessverbesserungen und der gezielten Verknüpfung und Nutzung von Daten. Ebenso gilt es, die Innovations- und Digitalisierungs-Fitness sowie die Offenheit hinsichtlich des Einsatzes digitaler Anwendungen bei Anwenderinnen und Anwendern sowie Patientinnen und Patienten weiter zu stärken.
Auf dem Weg zur digitalen Transformation des Gesundheitswesens gibt es jedoch noch immer zahlreiche Herausforderungen. Die Komplexität der IT-Strukturen und die damit verbundene Schnittstellenproblematik, fehlendes Know-how oder die zögerliche Akzeptanz gegenüber dem digitalen Wandel sind nur einige davon. Weiters müssen Möglichkeiten einer raschen Datenverfügbarkeit und -analysemöglichkeit im Rahmen eines Krisenmanagements Berücksichtigung finden.
Gibt es strukturelle oder regulatorische Hürden, die Widerstandsfähigkeit erschweren?
Negative Rahmenbedingungen bzw. strukturelle oder regulatorische Hürden belasten die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes sowie die Resilienz des Gesundheitssystems. Ein resilienter Standort braucht insbesondere bei den Themen Zulassung, Erstattung oder auch Ausschreibungsbedingungen ein entsprechendes Umfeld. Dabei gilt es, Transparenz und Planungs- und Investitionssicherheit im System zu gewährleisten bzw. zu schaffen und Regulierungen mit Augenmaß umzusetzen.
Ein zukunftsorientierter Ordnungsrahmen muss die Finanzierbarkeit, die Resilienz und Versorgungssicherheit sowie die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit gleichermaßen berücksichtigen und gewährleisten.
FTI-freundliche Standortrahmenbedingungen und die rasche Überführung von Forschungsergebnissen in die praktische Anwendung (Translation) müssen unter Einbehaltung der medizinischen Sorgfaltspflicht und Patientensicherheit im Sinne eines innovativen und resilienten Gesundheitssystems beschleunigt werden. Hingegen haben überbordende Bürokratie und Regularien bzw. Intransparenzen und Unsicherheiten negative Auswirkungen auf Investitionen in Innovation und die Durchführung von FTI-Projekten.
Welche Maßnahmen wären notwendig, um das Gesundheitswesen resilienter zu machen?
Im Sinne künftiger Resilienz ist eine stabile Basis der Versorgungssicherheit zu stärken und auszubauen. Dazu braucht es jedoch ein gemeinsames und koordiniertes Vorgehen, die Abstimmung zwischen den Akteuren zu optimieren und die Zuständigkeiten und Schnittstellen zur Krisenvorbereitung und -bewältigung klar und frühzeitig zu definieren. Dazu gehören auch Finanzierungsfragen, etwa im Zuge einer Bevorratung.
Mit Beginn der Covid-Krise gab es in Österreich eine gute Vernetzung der Industrie, der prüfenden Stellen und der Politik. Für die Zukunft gilt es, dieses Netzwerk zu institutionalisieren, in eine nachhaltige Form zu bringen und eine langfristige Strategieentwicklung unter Einbindung der Medizinprodukte-Branche voranzutreiben. Dies würde die Planungssicherheit erhöhen und verbindliche Strukturen stärken – vor allem auch vor dem Hintergrund, dass man in Zukunft Pandemien (noch) stärker wird berücksichtigen müssen.
Um das Gesundheitssystem Österreichs in Zukunft resilienter zu gestalten, benötigt es jedoch sowohl nationale als auch europäische Lösungen auf EU-Ebene, die miteinander koordiniert sind. Die Covid-Krise und ihre analytische Betrachtung haben gezeigt: Die Erhöhung der Resilienz und der Krisenfestigkeit des Standortes ist in nachhaltiger Form nur mit dem Blick auf die gesamte Prozess- und Lieferkette, einem entsprechenden Schnittstellenmanagement und durch gemeinsames Vorgehen und Zusammenwirken aller Systempartner möglich.
Welche Trends oder Risiken sehen Sie für die Zukunft des Gesundheitssystems?
Digitalisierung wird weiterhin eine große Rolle für das Gesundheitswesen spielen (müssen). Ebenso werden neue digitale und biomedizinische Technologien und Behandlungsmethoden, wie KI-gestützte Diagnostik, bionische Prothesen, medizinische 3D-Druckverfahren oder Sensoren am bzw. im Körper das Gesundheitssystem nachhaltig verändern und prägen.
Neben aus heutiger Sicht schwer abschätzbaren Risiken – wie etwa der Klimakrise – für das österreichische Gesundheitssystem gibt es auch Herausforderungen, die bereits sichtbar sind: Österreichs Gesellschaft wird immer älter, der Bedarf an Gesundheitsleistungen, insbesondere auch Pflege und Betreuung, wird in den kommenden Jahren deutlich zunehmen. Gleichzeitig sinkt die Zahl der Erwerbstätigen und damit reduziert sich die Finanzierungsgrundlage für das Gesundheitssystem. Hinzu kommt der Personalmangel im Gesundheits- und Pflegebereich sowie der Faktor, dass Österreich im internationalen Vergleich bereits bisher viel in sein Gesundheitswesen investiert hat.