Das Thema „künstliche Ernährung“ nimmt bei den klinisch-ethischen Fallberatungen einen sehr hohen Stellenwert ein und hier zeigt sich, dass die Problemkreise Sinnhaftigkeit und Sinnlosigkeit sehr oft zu Zweifeln an der weiteren Vorgehensweise führen können, da sich dieses Spannungsfeld im Bereich ganz unterschiedlicher Auffassungen der Mitglieder verschiedener Gesundheitsberufe befindet.
Enterale Ernährung gehört zur Basisbetreuung, die jedem Patienten zur Stillung der Grundbedürfnisse zusteht. Weiters beinhaltet diese auch Zuwendung, psychologischen Beistand und die Grundpflege. Da die Ernährung ein menschliches Grundbedürfnis ist, ist sie auch ein wichtiges Element der Zuwendung. Bei der Sondenernährung entfällt häufig die Zuwendung durch „Essen geben“. Die PEG-Sonde ist im Gegensatz zur natürlichen Nahrungsaufnahme keine Basisbetreuung, sondern eine medizinische Behandlung und daher ein Eingriff wie jeder andere operative Eingriff auch und hiermit legitimationsbedürftig. Wenn eine PEG-Sondenernährung abgebrochen wird, ist das gleichzusetzen mit dem Abbruch einer potenziell lebensverlängernden Maßnahme, aber ebenso bedarf die Fortführung der Sondenernährung einer ethischen Rechtfertigung.
Vor dem Legen einer PEG-Sonde müssen zwei grundsätzliche Punkte geklärt werden: „Bringt die PEG-Sonde mit der künstlichen Ernährung einen Nutzen für den Patienten?“ und „Ist eine Einwilligung des Patienten vorhanden?“. Beim Nutzen muss geklärt werden, ob für den Patienten ein erstrebenswertes Behandlungsziel erreichbar ist, da es die ethische Verpflichtung des Arztes ist, den Patientennutzen und nicht die Wirkung auf den Körper zu beurteilen. Durch eine PEG-Sondenernährung kann der Patient hydriert und ernährt werden und ebenso kann sich sein Ernährungszustand verbessern. Die Behandlungsziele sollten jedoch nicht nur sein, Hunger und Durst zu stillen, sondern vor allem, Leiden zu lindern, die Lebensqualität zu verbessern und das Leben zu verlängern.
Bevor mit einer Sondenernährung begonnen wird, muss immer deren Nutzen überprüft werden. Bei Zweifeln sollte eine Fallkonferenz (klinische Ethikberatung) zur Nutzen- und Schadenabschätzung durchgeführt werden. Wenn zum Beispiel durch die Ernährung keine physiologische Wirksamkeit zu erwarten ist, wie etwa bei einem tumorbedingten Anorexie/Kachexie-Syndrom, oder das Therapieziel sonst nicht erreichbar ist, wie zum Beispiel eine Lebensverlängerung bei Demenz, dann kann man von einer Nutzlosigkeit der PEG-Sonde sprechen. Ebenso besteht eine Nutzlosigkeit im weiteren Sinne, wenn keine erstrebenswerten Ziele erreichbar sind, zum Beispiel bei Patienten mit einer fortgeschrittenen Tumorerkrankung im Endstadium oder wenn eine inakzeptable Lebensqualität bei fortgeschrittener Alzheimerdemenz besteht. In einer Studie von Sanders (Sanders et al. 2000) hat sich gezeigt, dass die Sterberate von Demenzpatienten mit PEG-Sonde nach einem Monat 54 % beträgt, nach drei Monaten 78 %, nach sechs Monaten 81 % und nach einem Jahr 90 %.
Die Indikationen für eine PEG-Sondenernährung können reversible Schluckstörungen oder unkomplizierte Schluckstörungen bei noch gut erhaltener Lebensqualität sein sowie dadurch bedingt die Verhinderung einer Aspirationspneumonie. Hier ergibt sich ein höherer Nutzen als Schaden. Sanders konnte auch zeigen, dass die PEG-Sonde bei weit fortgeschrittener Demenz prognostisch eher ungünstig zu bewerten ist. Gute Indikationen sind isolierte Schluckstörungen, wenn keine Begleiterkrankungen vorhanden sind, das Interesse an Essen und Trinken besteht, eine erhaltene Lebensqualität mit Kontaktaufnahme möglich ist und Zeichen von Lebensfreude vorhanden sind. Das heißt, eine PEG-Sonde darf nie als Routinemaßnahme gesehen werden, ein klares Behandlungsziel muss definiert und das Erreichen der Ziele muss regelmäßig überprüft werden.
Auf die Frage, ob Patienten leiden, wenn die künstliche Ernährung über eine PEG-Sonde abgebrochen wird, kann eindeutig festgehalten werden, dass die Patienten im Endstadium einer Erkrankung häufig weder an Durst noch an Hunger leiden. Durch die Dehydration kommt es zur Ausschüttung körpereigener Endorphine und zu einer Ketose, die einen euphorisierenden Effekt zur Folge hat und zu einer Leidenslinderung führt. Da der Körper im Endstadium einer Erkrankung Flüssigkeit und Nahrung nicht mehr verarbeiten kann, kommt es bei der Weiterführung der künstlichen Ernährung zu Unverträglichkeiten, Bauchschmerzen, Übelkeit, Erbrechen und Durchfällen. Das Gefühl der Mundtrockenheit kann durch eine effiziente Mundpflege gelindert werden. Eine Studie von Pasman hat gezeigt, dass es keinen Hinweis auf Leiden von Demenzpatienten beim Abbruch einer künstlichen Ernährung gibt (Pasman et al., 2005). Daher kann ein Ernährungsabbruch ein würdevolles Sterben ermöglichen. Altersbedingte Veränderungen fordern in Hinblick auf die Ernährung vielschichtige medizinische Möglichkeiten und daher auch vielschichtige ethische Entscheidungen.
Die Kriterien des Therapiezieles und der Indikation für den Beginn und die Beendigung der Therapie müssen erfüllt sein. Es ist unbestritten, dass die künstliche Ernährung nicht allein zum Zweck der Reduktion des Pflegeaufwandes erfolgen darf. Auch bei liegender PEG-Sonde sind alle Möglichkeiten einer natürlichen Nahrungszufuhr auszuschöpfen. Das beinhaltet alle anderen Möglichkeiten einer bedarfsgerechten natürlichen Nahrungsaufnahme. Es müssen ein klares therapeutisches Ziel und eine medizinische Indikation vorliegen, damit die Nahrungssonde supportiv eingesetzt werden kann. Der Nutzen für den betroffenen Patienten muss absehbar sein. Durch die eingesparte Zeit kann oft eine gute Versorgung im eigenen Zuhause ermöglicht werden.
Die künstliche Ernährung bedarf als ärztlicher Eingriff der Einwilligung des informierten Patienten bzw. des Vertretungsberechtigten. Die Lebensqualität ist ein stets zu berücksichtigendes Kriterium bei medizinischen Behandlungen. Bei fehlender Indikation oder fehlender Einwilligung ist eine Ernährungstherapie zu beenden oder darf nicht begonnen werden.
Literatur beim Verfasser