Leergefischt?

Wird es zur Deckung des Bedarfs aufgrund steigender regulatorischer Anforderungen aus den EU-Verord­nungen genug akademisches Personal geben?

Der Aufwand für die Entwicklung von medizintechnischen Prototy­pen für die anwendungsorientierte Forschung steigt tatsächlich stark an, im Wesentlichen aufgrund administrativer Auflagen und formeller Anforderungen an die Laborinfrastruktur. Um trotzdem in diesem Bereich zügig und innova­tiv arbeiten zu können, müssten eine beträchtliche Aufstockung an qualifiziertem Personal und substanzielle Investitionen in die Infrastruktur erfolgen. Ohne die dafür notwendigen Mittel zu mobilisieren, wäre mit starken Einbußen bezüglich Entwick­lung innovativer Medizinprodukte, Grün­dungsinitiativen und anwendungs­naher Ausbildungsschwerpunkte zu rechnen. Das ohnehin knapp verfügbare qualifizierte Personal wird einen beträchtlichen Teil der kreativen Kapazität über zusätzli­che administrative Verpflichtungen einbüßen. Lösungen zur Kapazi­tätserweiterung müssen gefunden werden, um die kommenden Herausforderungen bestmöglich bewältigen zu können, substan­zielle Rückflüsse aus MDR-bezoge­nen Dienst- und Beratungsleistun­gen wären aus meiner Sicht durchaus realistisch.

Welche Fachrichtungen wird das vorrangig treffen?

Grundsätzlich verteilt sich der Bedarf natür­lich unmittelbar auf Fachleute im Regulatory-Bereich, aber – sicher derzeit etwas unterschätzterweise – auch auf solche aus allen relevanten technischen und naturwis­senschaftlichen Themen. Medizintechnik ist hochgradig multidisziplinär, Wirksam­keit und Risiko können nur von über eine Zusammenschau technischer, physiologi­scher und medizinischer Expertisen wirk­lich tragfähig geklärt werden. Spezialisie­rungen müssen mit Sicherheit auf einem deutlich höheren Fundament an Detailer­fahrungen beruhen als die Mindestvorgaben der MDR (Bachelorabschluss plus 4 Jahre Praxis), um valide Einschätzungen geben zu können. Grundbegriffe zum Regulato­ry-Bereich sollten in allen beteiligten Fächern in die Studienpläne einfließen, tiefergehende Spezialisierungen können realistischerweise erst in der praktischen Forschungs- und Entwicklungsarbeit entwi­ckelt werden.

Praxisnahe und im multidisziplinären Umfeld ausgebildetes Fachpersonal sowie qualifizierte Fachleuten im Regulatory-Bereich sind jetzt schon Mangelware. Künftig fischen dann Behörden, Betriebe und Forschungseinrich­tungen vermehrt im selben „Angebotsteich“ – welche Lösungen sind möglich? Wird man hier den Unis Personal abziehen?

Die Fragestellung fasst die Situation schon sehr klar zusammen, genau dieser Bedarf wird sehr breit entstehen. Positiv betrachtet kann das auch als Chance für Universitäten und andere Forschungseinrichtungen gese­hen werden, Forschungsleistungen mit praktischer Anwendung zu vernetzen und auch zusätzliche Drittmittel zu lukrieren. „Abziehen von Personal“ im Sinne dann in Forschung und Lehre fehlender Ressourcen wäre zu eindimensional gedacht. Einerseits ist es bereits jetzt eine der Kernaufgabe der Universitäten, hochqualifizierte Fachleute für Wirtschaft und öffentlichen Dienst auszubilden; dass zu viele junge Talente aus der akademischen Forschung und Entwicklung abwandern, liegt schon derzeit eher an Unterfinanzierungproblemen und Mangel an Karriereperspektiven. Eine Verbesserung dieser Rahmenbedingungen durch einen erhöhten Bedarf an gut ausge­bildeten Absolventinnen und Absolventen, an für Medizinproduktzulassungen obliga­ten Wirksamkeits- und Sicherheitsstudien mit hohem wissenschaftlichen Anspruch und an qualifizierte Beratungsleistungen könnten zu Einnahmen von Forschungsein­richtungen bei gleichzeitiger Stärkung der anwendungsorientierten Forschungsleistun­gen durchaus positive Beiträge liefern.

 

„Unsere hohen Qualitätsstandards werden vermehrt gefragt sein.“

Mag. Caroline Schober-Trummler
Vizerektorin für Forschung und Internationales, Medizinische Universität Graz
In Graz werden Inhouse-Produktio­nen sehr früh mit Firmenpartnern ausgelagert. Der Fokus der Medizi­ner liegt hier mehr auf der Versor­gung. Die Produktentwicklung wird extern getragen und getrieben, da wir auch vergleichsweise wenig Medizintechniker hier haben. Das Thema betrifft uns vor allem in der In-vitro-Diagnostik, wo wir über eine sehr große Expertise verfügen. Wir haben zum Beispiel die größte klini­sche Biobank weltweit, die Forschungsgruppen beim Sammeln, Bearbeiten, Lagern von biologischen Proben und zugehörigen Daten bestmöglich unter­stützt. Unsere hohen Qualitätsstan­dards bei klinischer Prüfung, werden künftig sicher noch intensiver nach­gefragt werden.
Im regulatorischen Bereich wird Personal benötigt werden, das tech­nische und rechtliche Expertise mitbringt. Hier wird ein interdiszipli­näres Publikum gefragt sein, also zum Beispiel Mediziner, die sich im Rahmen einer postgradualen Ausbil­dung weiterbilden. Ich könnte mir vorstellen, dass wir in Kooperation mit anderen Universitäten, die Juris­ten oder Verfahrenstechniker ausbilden, gemeinsam Angebote ausarbeiten.