Leuchttürme in Sachen Patientensicherheit

„Die Projekte erfüllen höchste Ansprüche an Qualität und Innovation“, bestätigt Dr. Brigitte Ettl, Präsidentin der Plattform und Ärztliche Direktorin im Krankenhaus Hietzing. Einreichen konnten Krankenanstalten, Abteilungen und Stationen sowie ambulante Gesundheitseinrichtungen wie Institutionen, Ordinationen oder Gruppenpraxen. Die Entscheidung über die Preisträger traf eine Jury aus dem Gesundheits- und Patientensicherheitsbereich. Die Projekte im Einzelnen:

ABS-Briefing

Im Bundesland Tirol werden jährlich ca. 70.000 nicht Notarzt-relevante Akutpatienten vom Rettungsdienst an das Pflegefachpersonal der acht Tiroler Fondskrankenanstalten übergeben. Untersuchungen belegen, dass 70 % aller Fehler in der medizinischen Versorgung auf „menschlichen Faktoren“ beruhen. An Schnittstellen, wie jener vom Rettungsdienst zur Notaufnahme, zählen mangelhafte Information und Dokumentation zu häufigen Fehlerquellen. In der Pilotphase des Projekts „ABS-Briefing“ – Aufnahmeinformation, Begleitinformation, Sozialanamnese – wurden das diplomierte Ambulanzpersonal aus drei Tiroler Krankenhäusern sowie die Mitarbeiter des Rettungsdienstes anhand einer Online-Umfrage zur Übergabesituation befragt. Ziel war die Entwicklung einer Checkliste zu den wichtigsten pflege- und patientenrelevanten Informationen, die als Standard in allen acht Tiroler Fondskrankenhäusern verwendet werden sollte. Im Sanitäterprotokoll müssen diese Informationen dokumentiert werden. Das ABS-Briefing wurde mittlerweile tirolweit eingeführt und das Gesamtprojekt durch eine weitere Online-Umfrage evaluiert. Die Ergebnisse zeigen, dass eine nachhaltige Struktur zur Optimierung der Patientenübergabe vom Rettungsdienst an die Ambulanz eingeführt wurde.

Infektionserfassung

Gesundheitssystem-assoziierte Infektionen und antibiotikaresistente Keime beschränken sich nicht nur auf Krankenanstalten, sondern können in allen Gesundheitseinrichtungen auftreten und zählen zu den bedeutendsten Herausforderungen dieser Settings. Durch die flächendeckende Infektionserfassung in der Albert Schweitzer Klinik (ASK) werden Infektionsprobleme erkannt, analysiert und es können gezielte Hygiene-optimierende Interventionen durchgeführt werden. Die Implementierung einer Infektionserfassung führt so zu einer Reduktion Gesundheitssystem-assoziierter Infektionen und hat damit einen infektionspräventiven Effekt. Das stellt einen wichtigen Qualitätsindikator dar und ist somit ein wesentlicher Faktor für die Patientensicherheit. Die Dokumentation erfolgt im hausinternen elektronischen Krankenhausinformationssystem (KIS) durch die behandelnden Ärzte. Eine statistische Analyse der erhobenen Daten erfolgt durch die verantwortlichen Stellen in der ASK, mit Unterstützung des Hygienefachpersonals. Dadurch können Infektionsraten sämtlicher Gesundheitssystem-assoziierter Infektionen gemessen und evaluiert sowie Daten zum Erregerspektrum und zum Antibiotikaverbrauch nach der jeweiligen Infektionsart ermittelt und analysiert werden.

Mangelernährung im Krankenhaus

Die Prävalenz der Mangelernährung bei hospitalisierten Patienten ist hoch und liegt laut Studien bei bis zu 60 %. Die Folgen sind unter anderem höhere Komplikations-, Morbiditäts- und Mortalitätsraten, langsamere Wundheilung, höhere Pflegebedürftigkeit und höhere Kosten. Daher ist es notwendig, Patienten mit Risiko für Mangelernährung frühzeitig zu erkennen. Für die Bestimmung des Mangelernährungsrisikos sollen laut Leitlinien valide und reliable Screening-Tools verwendet werden. In der Praxis wird der Ernährungszustand häufig mit unzuverlässigen Parametern erhoben, wie zum Beispiel dem BMI oder dem klinischen Blick von Ärzten oder Pflegepersonen. So können mangelernährte Patienten übersehen und dementsprechend auch keine ernährungstherapeutischen Maßnahmen gesetzt werden. Ziel einer Patientensicherheitsinitiative am LKH-Univ. Klinikum Graz war es daher, Risikopatienten frühzeitig zu erkennen, möglichst rasch eine adäquate Ernährungstherapie einzuleiten und damit die Patientensicherheit zu erhöhen sowie evidenzbasiertes Handeln zu gewährleisten. Daher wurde das Grazer Mangelernährungs-Screening (GMS) entwickelt, das für alle erwachsenen Patienten unabhängig von Alter, Geschlecht oder Diagnosen gleichermaßen anwendbar ist. Es wurde in das elektronische Dokumentationssystem der KAGes implementiert und steht damit allen KAGes-Häusern zur Verfügung. Damit einhergehend wurden ein multidisziplinärer Handlungsalgorithmus entwickelt, eine Prozesslandkarte und SOP erstellt sowie eine wissenschaftliche Studie zur Validität und Reliabilität des Screening-Tools durchgeführt.

„Inhouse“-Training für geburtshilfliche Notfälle

Eine Arbeitsgruppe des deutschen Aktionsbündnisses Patientensicherheit hat im Jahr 2010 durch eine Auswertung geburtsrelevanter Schäden festgestellt, dass fehlerhafte Abläufe während der Geburt zum Großteil mit unklaren Verfahrensregelungen bei Notfallsituationen, mit Kommunikationsproblemen im Team, mit verzögerter Entscheidung zu Kaiserschnittentbindungen oder mit einer Fehlinterpretation des CTGs (Kardiotokografie) zusammenhängen. Die fachliche Kompetenz spielt in dieser Analyse eine nachgereihte Rolle.

2015 wurde daher im Eltern-Kind-Zentrum in Mödling begonnen, geburtshilfliche Notfälle in unangekündigten Szenarien multidisziplinär „inhouse“ zu trainieren. Die Schwangere wird von einer Hebamme mit einem am Bauch getragenen Geburtssimulator dargestellt. Im Gegensatz zu Simulationstrainings in dafür spezialisierten Zentren galt der Schwerpunkt auch der Optimierung von Prozessabläufen direkt vor Ort im eigenen Tätigkeitsbereich und der Erstellung, Etablierung und Verbesserung von Standard Operating Procedures (SOPs). Durch ein strukturiertes Nachbesprechen mit ausgebildeten Trainern wurde und wird nicht nur die Kommunikation untereinander, sondern auch das Verständnis der unterschiedlichen Disziplinen und Berufsgruppen füreinander gesteigert und trägt zur weiteren Maximierung der Sicherheit für die anvertraute Mutter und ihr ungeborenes Kind bei.

Reduktion des Aspirationsrisikos

Schluckstörungen stellen ein zunehmendes Problem dar: Zwischen 16 und 22 % der Bevölkerung über 55 Jahre sind betroffen, Tendenz steigend. Im Krankenhaus Spittal/Drau steht werktags eine Logopädin zur Verfügung. In ihrer Abwesenheit gibt es keinen fachlichen Ersatz, was zu Ungleichgewichten in der Betreuungsqualität führte. Die Implementierung des GUSS (Gugging Swallowing Screen) half, dieses Problem zu lösen. Dabei handelt es sich um ein valides, von Fachgesellschaften empfohlenes Testverfahren, das für die Anwendung durch Logopäden und Mitarbeiter des gehobenen Dienstes für Gesundheits- und Krankenpflege konzipiert und freigegeben ist. Durch den Einsatz des GUSS ist es gelungen, das Aspirationsrisiko zu senken, die Lebensqualität der Betroffenen zu erhöhen und das Risiko der Mangelernährung positiv zu beeinflussen. Schulungen, Erfahrungsaustausch und Qualitätskontrollen trugen dazu bei, dass der Qualitätslevel auch im Regelbetrieb gehalten werden konnte. Die Kompetenz der Mitarbeiter im Umgang mit Dysphagiepatienten wurde gesteigert und die interdisziplinäre Zusammenarbeit verbessert.

Hygiene-Co-Pilot

Die Händehygiene ist nach wie vor eine der wichtigsten Grundlagen für die Infektionsprävention zur Unterbrechung der Infektionskette. Ziel ist die Anleitung zur Durchführung der richtigen und automatisierten Händedesinfektion. Mit der Einführung des Hygiene-Co-Piloten im AUVA-Unfallkrankenhaus Klagenfurt wird bei allen Berufsgruppen während der Visite noch mehr Augenmerk auf die Händehygiene gelegt, als es bisher schon der Fall war.

Interprofessionelles Teamtraining

Um kritische Situationen in der Pädiatrie zu meistern, erfordert es Erfahrung, Routine und ein erfahrenes eingespieltes Team. Durch medizinische Simulationstrainings kann Erfahrung frühzeitig in einem geschützten Bereich aufgebaut werden, damit der „Ernstfall nicht zum Ernstfall“ wird. Seit dem Wintersemester 2016 finden an der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde der Medizinischen Universität Wien interprofessionelle Simulationstrainings mit Studierenden der Medizinischen Universität Wien und Auszubildenden der Schule für Kinder- und Jugendlichenpflege am AKH Wien statt. In diesen Übungssequenzen wird ein pädiatrisches Simulationstraining mit dem Fokus auf Kindernotfälle durchgeführt, das durch einen Lehrer für Gesundheits- und Krankenpflege und einen Mediziner interdisziplinär begleitet wird. Zielgruppe sind alle Studierenden der Medizinischen Universität Wien ab dem dritten Studienjahr sowie Auszubildende der Schule für Kinder- und Jugendlichenpflege am AKH Wien in der Sonderausbildung für Kinderheilkunde.