Medizingeschichte: Vom „Venenklempner“ zum Hightech-Stent

Vor 50 Jahren fand die erste Behandlung einer Gefäßverengung mit einer Kathetertechnologie durch den US-amerikanischen Radiologen Charles Dotter statt. „Dieser medizintechnische Meilenstein war der Beginn einer Erfolgsgeschichte, die bis heute Millionen von Menschen mit koronarer Herzkrankheit das Leben gerettet hat“, erklärt Joachim M. Schmitt, Geschäftsführer des deutschen Bundesverbandes Medizintechnologie.
Die Zunahme der Lebenserwartung in den vergangenen Jahrzehnten ist im Wesentlichen auf den Rückgang der kardiovaskulär bedingten Mortalität zurückzuführen. Neben der Entwicklung verbesserter medikamentöser Therapien sowohl von Risiken, aber auch von Krankheitszuständen wie der Herzinsuffizienz haben vor allem interventionell basierte Eingriffe in den Gefäßen zu einer dramatischen Reduktion der Sterblichkeit geführt.

Pionier der Medizintechnik

Als Charles Dotter im Sommer 1963 einen Katheter in die Leistenarterie eines Patienten einführte, um ein Kontrastmittel einzuspritzen und so den Arterienverschluss im Röntgenbild sichtbar zu machen, beseitigte er beim Zurückziehen des Katheters unbeabsichtigt die Blockade. Auf dem Röntgenbild war deutlich zu sehen, dass das Blut wieder ungehindert fließen konnte. Diese Entdeckung stellte Dotter am 10. Juni 1963 in einem anderthalbstündigen Vortrag auf dem Kardiologiekongress in Karlsbad vor. Dotter galt Anfang der 60er-Jahre nicht nur als medizinische, sondern auch als handwerkliche Koryphäe. Die Kathetermedizin steckte zu dieser Zeit noch in den Kinderschuhen. Wie viele Radiologen bastelte sich auch Dotter seine Instrumente in Heimarbeit – aus Teflonfolie, Gitarrenseiten, Tachometerwellen und Elektrokabeln lötete er die ersten Katheter selbst zusammen.

Amputation verhindert

Den Prototypen des „Dotter dilatation set“, mit dem ihm die erste Gefäßweitung gelang, hatte er in einem Hotelzimmer in Chicago mit einer geliehenen Lötlampe gebaut. Dieser Erfinderblick auf die Welt war es wohl auch, der Dotter die Tragweite seiner Entdeckung unmittelbar verstehen ließ. Schon in seinem ersten Bericht über das Ereignis beschreibt Dotter die medizinischen Möglichkeiten vom Ballonkatheter bis zum Stent.
Am 14. Januar 1964 kam die neue Technik erstmals gezielt zum Einsatz. Die 82-jährige Laura Shaw wurde mit Durchblutungsstörungen im linken Bein, die auf einen Verschluss der Beinschlagader zurückzuführen waren, in die Uniklinik Oregon eingeliefert. Nachdem sie sich mehrfach weigerte, der empfohlenen Amputation zuzustimmen, wandte sich der behandelnde Arzt an Dotter. Dieser fand heraus, dass die Ursache für die Durchblutungsstörung eine verstopfte Oberschenkelarterie war, diese Stenose wurde mit einem von ihm entwickelten Katheter behoben. Schon nach wenigen Minuten war der Fuß wieder durchblutet, eine Woche später konnte die Patientin mit zwei gesunden Beinen entlassen werden.

Durchbruch bei Herzkrankheit

Trotz der spektakulären Erfolge der neuen Technik blieben die meisten Ärzte skeptisch, zumal Dotters Motto „Wenn ein Klempner es mit Rohren kann, kann ich es mit Blutgefäßen“ wenig zu seiner Reputation in der Ärzteschaft beitrug. Erst der deutsche Kardiologe Dr. Andreas Grüntzig verhalf der Katheterdilatation 15 Jahre später zum Durchbruch. 1974 weitete er erstmals ein verengtes Herzkranzgefäß mit einem selbst entwickelten Ballonkatheter. Auch Grüntzig war im Bezug auf die Instrumente noch auf Heimarbeit angewiesen: Alle Ballonkathetermodelle wurden von ihm selbst in seiner Küche hergestellt, bis 1976 die Firmen Schneider und Cook die Entwicklung und Produktion übernahmen. Im Jahr 1980 überschritt die Anzahl der durchgeführten Ballondilatationen bereits die Grenze von 1.000 Operationen.

Revolution durch Stent-Technologien

Noch einmal ein Jahrzehnt länger dauerte es, bis Dotters Idee, ein Gefäß durch einen Stent, ein kleines Röhrchen, dauerhaft geöffnet zu halten, Wirklichkeit wurde. 1986 setzten Jaques Puel und Ulrich Sigwart die ersten koronaren Stents in eine menschliche Koronararterie ein. 1989 wurde erstmals ein „aufblasbarer“ Stent mit einem Ballonkatheter implantiert. Durch die vom italienischen Kardiologen Dr. Antonio Colombo 1996 entwickelte Hochdruckimplantation und die dadurch erheblich reduzierten Komplikationen kommt es zum endgültigen Durchbruch der Stents.
Seit 2002 sind Medikamente freisetzende Stents (DES – Drug Eluting Stents) verfügbar. DES sind mit Wirkstoffen beschichtet, die gezielt das Zellwachstum hemmen, ohne dabei die Regeneration der Gefäßwand zu behindern. In den ersten Wochen nach dem Eingriff gibt der Stent die Wirkstoffe langsam an das umliegende Gewebe ab. So wird die unkontrollierte Zellvermehrung und somit die Wiederverengung des Gefäßes (Restenose) verhindert und der freie Fluss von Blut und Sauerstoff zum Herzen hin gesichert. Durch DES konnte die Wiederverengungsrate der geweiteten Gefäße von rund 30 Prozent auf unter 10 Prozent gesenkt werden.
Seit 2009 verbindet der Medikamente freisetzende Ballon (Drug Eluting Balloon, DEB) die bewährte PTCA mit der wirkungsvollen pharmazeutischen Komponente des Medikamente freisetzenden Stents. Eine weitere Alternative bieten seit 2012 sogenannte resorbierbare Stents. Diese Gefäßgerüste stützen das Blutgefäß so lange, wie es medizinisch notwendig ist und lösen sich danach langsam auf.

 

Nachgefragt bei…

… PD Dr. Christoph Naber, Contilia Herz- und Gefäßzentrum am Elisabeth Krankenhaus in Essen

Eingesetzt und ­aufgelöst
Im Contilia Herz- und Gefäßzentrum am Elisabeth Krankenhaus in Essen besteht die Möglichkeit, vollständig absorbierbare Gefäßgerüste einzusetzen. Während herkömmliche Stents auch dann im Körper bleiben, wenn ihr eigentlicher Job – die dauerhafte Weitung eines Herzkranzgefäßes – längst erledigt ist, lösen sich die aus Milchsäure bestehenden Stützen nach spätestens zwei Jahren einfach auf. Das Verfahren bietet den Kardiologen erstmals die Möglichkeit einer invasiven Therapie, ohne die körpereigenen Mechanismen dauerhaft zu verändern.
Abb_5
Wie oft wurde das Verfahren der absorbierbaren Gefäßstützen bereits angewandt?
Weltweit wurden bisher deutlich über 10.000 Patienten behandelt, hier im Essen etwa 300. Der Eingriff erfolgt minimalinvasiv.
Warum hat man sich für dieses Material entschieden?
Die Frage war, was sich am besten im Körper auflöst. Metalllösungen korrodieren oder brauchen zu lange, um sich aufzulösen. Also wurde nach einer Substanz gesucht, die problem- und rückstandsfrei wegdiffundiert, und in der Milchsäure wurde man fündig. Die Gefäßstütze löst sich in die Bestandteile CO2 und Wasser auf. CO2 wird einfach ausgeatmet, Wasser ausgeschieden.
Wie oft hat die Auflösung schon geklappt?
Polymilchsäure löst sich je nach Komposition unterschiedlich schnell auf. In unserem Fall erfolgt die Auflösung etwa nach zwei Jahren. Die ersten Studien basieren auf Daten von knapp 1.000 Patienten, für eine kleinere Gruppe von etwa 100 Patienten gibt es bereits Fünfjahresdaten. Bei der überwiegenden Zahl der Patienten haben sich die Gefäßstützen bereits restlos aufgelöst.
Hat diese Therapie auch Schwachstellen?
Theoretisch ja. Derzeit sieht zwar alles nach einem großen Erfolg aus, Milchsäure ist aber deutlich weniger elastisch als Metall. Das bedeutet, dass die Kardiologen bei der Implantation eine andere Vorgehensweise ansetzen müssen als bei Metallstents. Aus Patientensicht könnte man es als Schwachstelle bezeichnen, dass die Therapie noch weniger gut untersucht ist. Die beiden wichtigsten Faktoren bei neuen Therapien sind die Sicherheit und die Effektivität. Derzeit sind die Gefäßstützen aus dieser Warte durchaus empfehlenswert, doch manchmal ergeben sich Unsicherheiten nicht sofort.
Öffnet die Therapie auch andere Optionen, bei denen absorbierbare Stents hilfreich wären?
Absolut. Der Aufwand ist jedoch kein geringer, denn die Gefäßstützen müssen für jede neue Anwendungsform neu konstruiert, formuliert, zugelassen und getestet werden.