Als Direktorin für den Zulassungsbereich und Innovation der PHARMIG, des Verbands der pharmazeutischen Industrie, hatte sich auch Helga Tieben für die ausgeschriebene Position beworben und überzeugte im Auswahlverfahren durch ihre fachliche und persönliche Kompetenz. Die Entscheidung der Kommission in der AGES (Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit) war einstimmig. BM Rauch hat in seinen Anfragebeantwortungen vom 30.03.2022 den ausschreibungskonformen Stellenbesetzungsprozess der AGES bestätigt: „ … die Bewerber wurden durch ein Personalberatungsunternehmen im Auftrag der AGES einer Potenzialanalyse unterzogen. Der AGES-interne Recruiting-Prozess sah ein Erstgespräch, ein Hearing vor einer Hearing-Kommission und ein vertiefendes Gespräch vor. Alle zum Hearing eingeladenen Bewerber wurden über Befangenheitsgründe befragt und mussten sich einem Compliance Check durch die AGES unterziehen.“ Darüber hinaus stellte Rauch fest, dass keiner der Bewerber alle idealtypischen Anforderungen der Ausschreibung erfüllen konnte. Die Anstellung von Mitarbeitern liegt in der alleinigen Verantwortung der Geschäftsführung der AGES.
Was dann gegen die neue Leiterin der Medizinmarktaufsicht, Helga Tieben, begann, war eine mediale Hetzjagd, die menschenverachtend war. In den parlamentarischen Anfragen fast aller Oppositionsparteien wurde von der Bestellung einer Pharma-Lobbyistin gesprochen, in einer Diktion, die ich als herabwürdigend empfand. Falsche Bilder und Rückschlüsse durch die parlamentarische Opposition und sonstige Interessensgruppen wurden ventiliert. Da wird eine Neubesetzung der Medizinmarktaufsicht mit einer aufgeheizten Stimmung in Teilen der Bevölkerung hinterfragt und mit dem Hinweis auf absurde Theorien und Mythen von Verschwörungstheoretikern unterlegt. Von anderer Seite wird insinuiert, dass Mitarbeiter in der Pharmaindustrie per se Zweifel in Hinblick auf ihre Transparenz und Objektivität mitbringen.
Das Mit-zweierlei-Maß-Messen ist abstoßend. Heutzutage, da Lobbyisten zu Ministerehren kommen, wird einer langjährigen leitenden Kollegin im Verband der pharmazeutischen Industrie jegliche Integrität und Objektivität abgesprochen, um die Leitung der Medizinmarktaufsicht zu übernehmen. Das Abfeiern einer NGO auf ihrer Homepage, „es sozusagen geschafft zu haben“, die Neubesetzung mit unrichtigen Behauptungen zu verhindern, lässt einen nachdenklich werden. Das Einknicken von BM Rauch gegenüber den NGOs, sonstigen Interessensgruppen und der Opposition zeugt nicht gerade von Rückgrat. Nachdem BM Rauch selbst am 30.03.2022 in seiner Antwort an das Parlament den ausschreibungskonformen Stellenbesetzungsprozess der AGES bestätigt hatte, berichteten die Salzburger Nachrichten zwei Tage später, am 01.04.2022, dass er die AGES Job-Vergabe abblase und die AGES die Leitungsfunktion neu ausschreiben lasse. Sein für mich unglaubliches Argument war, dass er die Bedenken jener Menschen teilt, die in der Covidkrise die Interessen der Pharmalobby hinter den Impfprogrammen und neu entwickelten Medikamenten vermuten?! Er habe als Gesundheitsminister deshalb den Auftrag gegeben, die Neubesetzung der Medizinmarktaufsicht der AGES nochmals zu prüfen. In der Folge ist dann die AGES nach sachlicher Prüfung zum Entschluss gekommen, die Neubesetzung nicht wie geplant vorzunehmen. Am 07.04.2022 nimmt Rauch im Wirtschaftsmagazin ECO weiter Stellung, dass der vorherige Job als Interessensvertreterin nicht geeignet sei, in der Zukunft über Pharma- und Medizinprodukte zu entscheiden. Politische Willfährigkeit hat entschieden und der Gesundheitsminister hat eine transparent zustande gekommene Personalentscheidung einer privatrechtlich organisierten GmbH, der AGES zugehörend, zunichte gemacht. Die AGES wurde übrigens vor vielen Jahren als privatrechtlich organisierte GmbH ins Leben gerufen, um Mitarbeiter aus dem privaten Bereich rekrutieren zu können. Ziel war, Kompetenz und Erfahrung einzukaufen und damit die AGES und Behörden zu stärken!
Die Äußerungen von BM Rauch im Zusammenhang mit der Neubesetzung der Medizinmarktaufsicht sind dazu angetan, Mitarbeiter aus Unternehmen und deren Verbänden herabzuwürdigen. Einer derartigen Diffamierung einer so wesentlichen und innovativen Branche ist ausdrücklich zu widersprechen. Jede Personalentscheidung ist auch eine Entscheidung über die Person und ihrer Vergangenheit, die übrigens jede und jeder hat. Neben den Qualifikationen kommt es auch auf den gesamtheitlichen Blick und die Beurteilung der betreffenden Person an. Die schon bestellte Leiterin wurde aufgrund von anderen Interessen geopfert. Zwei Tage vor dem Amtsantritt zu erfahren, dass man doch nicht gebraucht wird, wünsche ich niemandem. Schon gar nicht, wenn man eine leitende Stellung in einer Interessensvertretung aufgibt. Die Geschäftsführung der AGES hätte sich hier anders verhalten müssen, wenn es tatsächlich Hinderungsgründe für die Anstellung gegeben hätte. Die Hearing-Kommission hatte sich zwar einstimmig für Helga Tieben aufgrund ihrer fachlichen und persönlichen Kompetenz entschieden, wurde aber in ihrer Entscheidung zurückgepfiffen. Der Kollateralschaden ist geschehen und Helga Tieben hat unverschuldet einen großen Reputationsverlust und Schaden erlitten, der existenziell ist.
Aber was sagt uns dieser Prozess für die Zukunft? Sind Mitarbeiter aus Unternehmen bzw. Verbänden nicht geeignet bzw. nicht erwünscht, einen Karriereschritt im Rahmen der öffentlichen Verwaltung zu setzen? Was für ein Armutszeugnis für ein Land, wo parteipolitische Aktivitäten und politischer Hickhack auf dem Rücken von Menschen gemacht werden, die nicht ahnen können, in welche Hände sie ihr Schicksal legen! Gerade die letzten Monate in der österreichischen Innenpolitik sollten uns nachdenklich machen.
Die bestmögliche Versorgung im österreichischen Gesundheitswesen erfolgt auf der Basis einer funktionierenden Zusammenarbeit aller Berufsgruppen. Die Politik hat nicht Gräben aufzureißen, sondern die Verpflichtung, die bestmögliche Gesundheitsversorgung für die Bevölkerung sicherzustellen – das heißt, das Vertrauen in die verantwortlichen Institutionen im Gesundheitswesen zu stärken und keine Zwietracht unter den Stakeholdern säen. Es wäre so einfach, die verantwortliche Politik muss es nur wollen.