Vor SARS-CoV-2 waren SARS-CoV und H5N1. Die Ausbreitung dieser beiden Viren führte nicht nur zur Erstellung eines ersten Pandemieplans für Österreich, sondern auch zum Ankauf von Atemmasken im großen Stil. Neun Millionen waren es insgesamt, doch von SARS-CoV und H5N1, der sogenannten Vogelgrippe, war nichts zu spüren. Die Masken blieben Ladenhüter, die Republik hatte sich vorab verpflichtet, Restbestände zu kaufen und hortete 7 Millionen Masken – ein Umstand, über den immer wieder gewitzelt wurde, doch nicht mehr im Jahr 2020. Die Masken konnten heuer zumindest teilweise „reaktiviert“ werden.
Wie konnte es so weit kommen, dass ganz alltägliche Medizinprodukte zur Mangelware wurden? Die Globalisierung der Märkte ist wohl die richtige Antwort. Die internationale Beschaffung vor allem in Billiglohnländern führt zur Reduktion der Kosten, günstigeren Preisen und schafft neue Märkte. „Die Risiken, die wir im Normalbetrieb aber immer in Kauf genommen haben, liegen in längeren Lieferzeiten, hohen Abhängigkeiten und politischer Instabilität im Herkunftsland. Bei Verbrauchsmaterial herrscht auf dem österreichischen Markt ein starker Wettbewerb aus dem Ausland, speziell dem asiatischen Raum. Diese Wettbewerber bieten die Produkte häufig günstiger an. Spitäler bündeln zunehmend ihr Einkaufsvolumen, um so noch mehr Preisdruck zu erzeugen“, bringt es Gerald Gschlössl, Präsident der AUSTROMED, auf den Punkt. Was im bisherigen Alltag wenig Grund zur Sorge bereitete, veränderte sich in der weltweiten Krise praktisch über Nacht: Die Verbreitung des Coronavirus ausgehend von China schränkte ab Anfang 2020 plötzlich die Überseeproduktion, die Reisefreiheit und den Transport massiv ein. Auch in Europa schlossen sich die Grenzen und das Leben stand still. Das machte nicht nur Medizinprodukte, sondern auch Ressourcen in der niedergelassenen medizinischen Versorgung oder der Heimkrankenpflege plötzlich zu einem mehr als knappen Gut. Das Gesundheitswesen stand im Fokus der Aufmerksamkeit wie noch nie zuvor – nicht nur in der Politik, sondern auch in der Bevölkerung. Die große Abhängigkeit vom freien Waren- und Dienstleistungsverkehr, einer tragenden Säule der Europäischen Union, war deutlich spürbar.
Innerhalb von Österreich fehlen nach wie vor einheitliche, an aktuelle Gegebenheiten angepasste Richtlinien zur Bevorratung mit Medizinprodukten. Die Bundesländer oder Einrichtungen des Gesundheitswesens haben jeweils ihre eigenen Pandemiepläne. Der österreichische Pandemieplan ist seit vielen Jahren „in Überarbeitung“, die Dringlichkeit fehlt bis heute. Die Bevorratung mit Medizinprodukten, die in einer Gesundheitskrise essenziell für das Funktionieren von Leistungen in Spitälern oder Ordinationen sind, ist aber nicht nur eine Frage des politischen, sondern auch des finanziellen Willens: „Lagerhaltung kostet Geld, entweder den Medizinprodukte-Hersteller und -Händler oder den Verantwortlichen in den Krankenhäusern. Geld, das während der Corona-Krise plötzlich kein Kriterium mehr war“, sagt Gschlössl. Medizinprodukte-Hersteller und Händler, die über ein gutes Netzwerk an Zulieferern und Rohstofflieferanten verfügen, reizten alle ihre Möglichkeiten aus und versuchten die Lücken zu füllen, wo es möglich war. Sogar neue Unternehmen wurden gegründet, um den bis heute begehrten Mund-Nasen-Schutz hierzulande herzustellen. „Eine Dauerlösung kann aber die Bevorratung auf Kosten der Betriebe nicht sein“, betont der AUSTROMED-Präsident.
Neben Masken waren im Zuge der Corona-Krise insbesondere Desinfektionsmittel, Beatmungsgeräte und In-vitro-Diagnostika gefragte Medizinprodukte. Mit der Entwicklung eines Impfstoffes gegen SARS-CoV-2, tauchen neue Fragen auf, etwa zur Impfstrategie auf nationaler und internationaler Ebene und den Spezifizierungen des Impfstoffes an sich. Daraus leitet sich ab, welche Medizinprodukte es braucht, um die Impfung dann auch möglichst rasch und sicher verabreichen zu können. „Auch hier sind die Prozesse bis zum Ende durchzudenken, und zwar rechtzeitig. Glaubt man den Medien, so steht der Impfstoff vor der Tür und soll schon zu Jahresanfang zur Verfügung stehen. Ähnlich verhält es sich mit den Antigentests, die jetzt in die Teststrategie der Bundesregierung integriert werden. Für alle diese Produkte und ihre Anwendung benötigt es auch Medizinprodukte. Impfdosen anzukaufen macht noch keine Impfung“, erklärt Gschlössl.
Dass die Medizinprodukte-Branche durchaus zu bestimmten Produkten, die möglicherweise von Knappheit bedroht sein könnten, einen Pufferlagerbestand aufrechterhalten oder Produktionen nach Österreich holen kann, steht für die AUSTROMED außer Frage – doch zu welchem Preis? Zudem macht eine Lagerhaltung für einen Zeitraum über zwei oder drei Monate für manche Produkte aufgrund der Haltbarkeit keinen Sinn, sodass sie im Falle neuerlicher Krisen wie der aktuellen – wenn etwa Rohstoffe aus Asien nicht kommen – die Problematik nicht löst, sondern lediglich verschiebt. „Am Ende regelt sich der Markt über den Preis“, bringt es Gschlössl auf den Punkt und ergänzt: „In der Krise waren viele Spitalseinkäufer bereit, OP-Masken aus Vorarlberg zu kaufen, die aufbereitet werden konnten. Der Preis war jedoch extrem hoch, denn auch die Aufbereitung schlägt sich mit Kosten zu Buche. Ich denke nicht, dass man außerhalb der Krise weiterhin auf solche Lösungen zurückgreifen wird.“Daher ist es Gschlössl wichtig, dass die Medizinprodukte-Betriebe nicht nur in Ausnahmesituationen als vertrauenswürdiger Partner herhalten müssen, sondern auch in der Aufarbeitung der Krise eine ebenso wichtige Rolle spielen. Dass es dazu einen Plan braucht, wie die Vorsorge für künftige Krisensituationen aussehen könnte, liegt auf der Hand. Der weltweite Trend zum Lean Management und der Just-in-Time-Lieferung von Produkten zwingt dringend zu einem Neu-Denken von Ausnahmesituationen. „So schlank wie möglich und so billig wie möglich kann weder im Normalbetrieb und erst recht nicht im Krisenfall funktionieren“, warnt der Experte. Gleichzeitig gilt es zu überlegen, wie die Lieferketten abgesichert sein müssen und welche Rohstoffe oder Fertigprodukte auf Lager liegen können und müssen. „Wir können nicht auf alle möglichen Krisenszenarien vorbereitet sein, die ja nicht immer in Form eines Virus auftreten müssen. Dieses Mal waren es die Beatmungsgeräte, die gebraucht wurden, das nächste Mal sind es vielleicht Dialysegeräte oder Herzschrittmacher, die benötigt werden, wir wissen es nicht. Schutzkleidung und Desinfektion werden vermutlich in jeder Gesundheitskrise ein Dauerbrenner sein“, ist Gschlössl überzeugt. Ein dringender Wunsch der AUSTROMED ist es daher, gemeinsam mit den jeweiligen Bundesministerien und den Gesundheitslandesräten, aber auch den Blaulichtorganisationen die passenden Konzepte für mehrere Beschaffungsvarianten und eine rollierende Lagerhaltung auszuarbeiten, die ein breites Krisenszenario abdecken. Zugrunde liegt das Credo „Panik vermeiden und aus den Erfahrungen lernen“.