Medizinprodukte & Meinungen II

Roland Pfleger
Arbeitsgruppe Patientensicherheit
»Die Nachfrageplanung und die Vereinfachung von Liefer- und Produktionsketten würde viel zur Versorgungssicherheit beitragen.«

© privat

Was bedeutet für Sie ­Versorgungssicherheit?
Ich würde hier meine berufliche nicht von meiner privaten Meinung trennen: Als potenzieller Patient ist es mir natürlich wichtig, gute medizinische Versorgung – besonders im Akutfall – zu dem Zeitpunkt, in dem ich sie benötige, zu erhalten.
Hat sich diese Sichtweise aufgrund der Pandemie verändert?
In der Pandemie hat sich positiv gezeigt, dass Österreich sehr gut im europäischen Vergleich mit Intensivbetten ausgestattet ist – trotzdem ist es eng geworden. Vor allem im Pflegebereich, wo wir nicht genügend Personal haben, sodass wichtige elektive Eingriffe verschoben werden mussten. Wir alle haben gelernt, dass unsere Lieferketten stabiler werden müssen. Wir haben aber auch demonstriert, dass wir in Krisenzeiten als Industrie unsere Kapazitäten anpassen können – von der Bereitstellung von Spritzen zu Infusionspumpen zu Ventilatoren.
Anhand welcher Kriterien würden Sie Versorgungs­sicherheit messen?
Als Patient wäre es die Frage, wie lange ich auf gute Versorgung warten muss. Als Klinik an meinen Wartelisten und als Firma messen wir beispielsweise „OTIF“ (on time in full) – also wie viele Prozent der eingegangenen Aufträge zeit- und volumensgerecht geliefert werden können.
Wo sehen Sie aktuell positive ­Entwicklungen, wenn Sie an das Thema Versorgungssicherheit ­denken?
Positiv haben wir als Medizinprodukte-Industrie gezeigt, wie wir Kapazitäten schnell aufbauen können.
Wo sehen Sie hingegen ­Optimierungspotenzial?
In der Nachfrageplanung – sowohl intern als auch in der Zusammen­arbeit mit Kunden, der Vereinfachung von Liefer- und Produktionsketten und in der engeren langfristigen Zusammenarbeit zwischen der Industrie und ihren Abnehmern.
Was muss aus Ihrer Sicht nun der nächste Schritt konkret sein, um das Thema Versorgungssicherheit in ­wünschenswerte Bahnen zu lenken?
Eine genaue Aufarbeitung der Probleme während der Pandemie – nur so können wir erkennen, welche Hebel wir bedienen müssen – und das geht nur gemeinsam mit allen Beteiligten.

DI Georg Schönig
Arbeitsgruppe Vergabewesen
 

»In der Krise haben viele Medizinprodukte Unternehmen gezeigt, wie rasch und flexibel sie agieren können – wenn man sie lässt.«

© Foto: studio horak/Sandra Horak

Das wertvollste Gut der Menschen ist deren Gesundheit. Daher ist eine der zentralen Aufgaben unserer Arbeitsgruppe im Rahmen der AUSTROMED, die bestmögliche Versorgung von Patienten und Anwendern mit hochqualitativen Medizinprodukten zu gewährleisten. Die EU-Richtlinie 2014/24 für die öffentliche Auftragsvergabe ermöglicht dem Gesetzgeber, speziell im hochsensiblen Bereich der Medizinprodukte die Qualität wieder den ihr gebührenden Stellenwert zu geben. Auch der Schutz von Klein- und Mittelbetrieben, die einen Großteil der heimischen Unternehmensstruktur ausmachen, ist hier vorgesehen und mehr als zu begrüßen.


Auch wenn die Pandemie auf den ersten Blick wenig mit dem Vergaberecht zusammenhängt, so hat sich doch gezeigt, dass unsere Forderungen aktueller denn je sind! Gerade in der Krise darf die qualitativ hochwertige Versorgung nicht auf der Strecke bleiben. Billigprodukte haben offene Türen im Gesundheitswesen gefunden, ohne dass die sonst so hohen Qualitätsfaktoren als Eignungs-, Auswahl- und Zuschlagskriterien beachtet wurden. Es kann nicht sein, dass Medizinprodukte-Unternehmen tagtäglich strenge rechtliche Anforderungen zu erfüllen haben und im Krisenfall wird ungeachtet von Herkunft und Qualitätsstandards ohne Ausschreibung direkt vergeben.


Die Pandemie hat deutlich gemacht, wie abhängig unser Gesundheitssystem von internationaler Zulieferlogistik ist und wie rasch Rohstoffe oder Produktegruppen knapp werden können. Plötzlich fehlen Alternativen, weil auch Innovation in diesem Sektor früher nie ausreichend gefördert oder gewürdigt wurde. Wir fordern immer wieder, dass der Wirtschaftsstandort Österreich durch entsprechende Vergabekriterien, wie zum Beispiel eine verbrauchsstellennahe Versorgung und Anwenderberatung, sichergestellt sein muss. Wie wichtig diese Forderung ist, hat sich jetzt gezeigt und ich denke, dass das Bewusstsein dafür jetzt auch in der Öffentlichkeit gestiegen ist. Wie weit das in einer Umsetzung konkreter Maßnahmen resultieren wird, ist noch offen.


In der Krise haben viele Medizinprodukte-Unternehmen gezeigt, wie rasch und flexibel sie agieren können – wenn man sie lässt. Ihr Markt-Know-how und ihre agile Anpassungsfähigkeit waren plötzlich überlebenswichtig.­ Ich wünsche mir, dass auch außerhalb der Krise der Stellenwert der Unternehmen beibehalten wird und wir laufend in Gespräche und Pläne einbezogen werden, bei denen die Versorgungssicherheit thematisiert wird.


In der EU-Richtlinie 2015/24 wird darauf hingewiesen, dass die Vorschriften für die öffentliche Vergabe die Teilnahme kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU) an öffentlichen Vergabeverfahren erleichtern soll und es den Vergabestellen ermöglicht wird, die öffentliche Auftragsvergabe in stärkerem Maße zur Unterstützung gemeinsamer gesellschaftlicher Ziele zu nutzen. Das darf nicht nur auf dem Papier stehen, das muss gelebte Praxis werden.


Auch die Zusammenführung und Zentralisierung von Beschaffungen sollte sorgfältig überwacht werden, vor allem in Hinblick auf eine übermäßige Konzentration der Kaufkraft. Der Wert transparenter und innovationsfördernder Vergabeverfahren der einzelnen österreichischen Gesundheitseinrichtungen soll aufrechterhalten bleiben bzw. ausgebaut werden. Sie garantieren eine bestmögliche Gesundheitsversorgung der österreichischen Bevölkerung, erleichtern den Marktzugang für KMUs und sorgen für eine ausbalancierte Wertschöpfung der Medizinprodukte-Unternehmen im Land.


KommR Reinhard Di Lena
Arbeitsgruppe Gesundheitspolitik
»Je schneller die Lieferzeit, desto besser die Versorgungssicherheit.«

© privat

Was bedeutet für Sie Versorgungssicherheit?
Für mich bedeutet Versorgungssicherheit im Gesundheitswesen, dass jeder Patient seine entsprechende Diagnostik und Therapie uneingeschränkt zum Zeitpunkt des Bedarfs erhält. Die Medizinprodukte und natürlich Personal spielen eine große Rolle, da ohne diese keine präzise Diagnostik und Therapie möglich ist.
Hat sich diese Sichtweise aufgrund der Pandemie verändert?
Die Pandemie hat die Abhängigkeit von den Produktionsstätten außerhalb der EU verdeutlicht. Auch die Wichtigkeit von Lieferketten und großen Lagerbeständen ist stark in den Vordergrund gerückt. Weiters hat man auch die Erfahrung gemacht, dass man viele persönliche Kontakte mit Ärzten über den Weg der Digitalisierung erledigen kann. Der Mangel an Fachpersonal ist nun sehr verstärkt in den Vordergrund getreten, sowohl in der Produktion als auch bei den jeweiligen Lieferanten, Händlern, Reparatureinrichtungen etc.
Anhand welcher Kriterien würden Sie Versorgungssicherheit messen?
Aus meiner Sicht kann man die Versorgungssicherheit anhand der Lieferzeiten der Medizinprodukte an die Anwender messen. Das heißt, wenn heute der Bedarf zum Beispiel an einem weiteren Untersuchungsraum ist und die Lieferung rasch erledigt werden kann. Je schneller die Lieferzeit, desto besser die Versorgungssicherheit – ab Bestellung bis zur Lieferung des Medizinproduktes an den Anwender.
Wo sehen Sie aktuell positive Entwicklungen, wenn Sie an das Thema Versorgungssicherheit denken?
Während der Pandemie hat man die Abhängigkeit von Rohstoffen und Produktionen in asiatischen Ländern sehr stark zu spüren bekommen. Daraus resultierend sehe ich den Trend, dass wieder mehr nach Europa zurückgeholt wird bzw. der Wille da ist. Das heißt, es werden Konzepte überlegt, Produktionsstätten wieder in der EU aufzubauen und mehr auf „made in EU“ zu zählen.
Wo sehen Sie hingegen Optimierungspotenzial?
Optimierungspotenzial sehe ich derzeit bei der Lagerhaltung – auch bei den Gesundheitseinrichtungen. Das heißt, die komplette Lagerhaltung sollte nicht nur auf den Lieferanten bzw. Händler abgewälzt werden, sondern die Kunden sollten sich ebenfalls einen gewissen Lagerstand aufbauen, um die längeren Produktions- und Lieferzeiten etwas abzufedern. Weiters sehe ich die Wichtigkeit, dass es wieder mehr Konkurrenz bei wichtigen Grundprodukten geben muss, so sollte etwa eine Chip-Produktion in der EU aufgebaut werden. Heute sind einige wichtige Grundprodukte in einer Hand und dieser Produzent diktiert den Markt.
Was muss aus Ihrer Sicht nun der nächste Schritt konkret sein, um das Thema Versorgungssicherheit in wünschenswerte Bahnen zu lenken?
Wir müssen die Impfquote steigern, um auch personelle Ausfälle zu vermeiden. Weiters wäre es wichtig, die Produktionen in Europa zu stärken.

Johann Glantschnig, LL.M.
Arbeitsgruppe Regulatory
»Das Verständnis für die rechtlichen Rahmenbedingungen wird immer wichtiger und ermöglicht Unternehmen, den Markt  längerfristig erfolgreich mit Produkten zu versorgen.«

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Was bedeutet für Sie Versorgungssicherheit?

Versorgungssicherheit hat zwei Seiten: Eine stabile Supply Chain ist wichtig, um ausreichend produktionswichtige Materialien und Leistungen für die Produktion beziehen zu können und damit die Bereitstellung von qualitativ hochwertigen Medizinprodukten am europäischen Markt sicherzustellen.

Hat sich diese Sichtweise aufgrund der Pandemie verändert?

Das Wichtigste ist sicherlich die Aufrechterhaltung der Produktion – das hat eine durchgängige Versorgung erst ermöglicht. Dafür ist wiederum der Bezug von entsprechenden Schutzaus­rüstungen, die in vielen Fällen selbst Medizinprodukte sind, eine absolute Notwendigkeit. Stabile Partnerschaften mit Lieferanten und Kunden haben sich klar als einer der entschei­denden Erfolgsfaktoren in der Pandemie erwiesen.
Was in Nicht-Krisenzeiten selbstverständlich war, wurde von den Kunden in Zeiten von Versorgungsengpässen als neuer Wert erkannt: Österreichische Unternehmen fühlen sich ihren Stammkun­den am europäischen Markt verpflichtet und haben die Versorgung mit Medizinprodukten kontinuierlich und bestmöglich aufrechterhalten, was insbesondere bei verknappten Bedarfsmaterialien wie beispielsweise medizinischen Handschuhen wichtig war. Natürlich konnten wir in der Krise nicht jeden einzelnen Kundenwunsch berücksichtigen, aber auch andere Faktoren, wie etwa eine offene Kommunikation mit den Partnern, sind wichtiger denn je.
Die Pandemie hat uns die Schwächen in der Versorgung mit Medizinprodukten eindeutig aufgezeigt. Neben den Schließungen von Grenzen und Logistikwegen hat zu Beginn der Pande­mie auch die nationale Exportkontrollgesetzgebung (v.a. in Deutschland) die Versorgung mit einigen für die Bekämpfung der Pandemie besonders kritischen Medizinprodukten durcheinandergebracht. Wir hätten vor der Krise nicht gedacht, dass Exportgenehmigungen in Drittländer benötigt werden, wie das vorübergehend der Fall war.

Anhand welcher Kriterien würden Sie Versorgungssicherheit messen?

Die wesentlichen Kriterien sind sicher Lieferzuverlässigkeit und vorausschauende Planbarkeit.

Welche Rolle übernehmen Sie in Ihrer Rolle als Sprecher der Arbeitsgruppe Regulatory Affairs der AUSTROMED bei der Sicherstellung von Versorgungssicherheit? Welche Rolle würden Sie sich wünschen?

Mit der Arbeitsgruppe Regulatory Affairs haben wir in den letz­ten zwei Jahren im Rahmen der Umsetzung der neuen Medizin­produkteverordnung der EU viele Auslegungsfragen für unsere Mitglieder im Dialog mit den Behörden klären können und einen neuen, konstruktiven Dialog aufgebaut. Das Verständnis für die rechtlichen Rahmenbedingungen wird immer wichtiger und ermöglicht Unternehmen, den Markt längerfristig erfolgreich mit Produkten zu versorgen.

Wo sehen Sie aktuell positive Entwicklungen, wenn Sie an das Thema Versorgungssicherheit denken – insbesondere jene mit Medizinprodukten?

Ein wesentlicher positiver Aspekt ist sicher, dass das Thema Versorgungssicherheit mit Medizinprodukten durch die Pande­mie bei allen Marktteilnehmern (Behörden, Versorgungseinrichtungen, Industrie) mehr Aufmerksamkeit erfahren hat. Kundenseitig nehmen wir erste Maßnahmen wahr, mit denen die Versorgung und die dahinerstehenden Lieferketten genauer analysiert werden. Die im letzten Jahr beschlossenen Investiti­onsprämien für den Gesundheitsbereich sind auch ein positives Signal für den Wirtschaftsstandort.

Wo sehen Sie aktuell Optimierungspotenzial, wenn Sie an das Thema Versorgungssicherheit denken – insbesondere jene mit Medizinprodukten?

Viele Medizinprodukte, insbesondere Basisprodukte wie einfache Verbrauchsartikel, kommen oft aus Ländern mit ganz anderen Rahmenbedingungen. Wenn wir Versorgungssicherheit garantieren wollen, müssen wir auch auf die Rahmenbedingungen achten. Wir tragen zum Beispiel unsere fairen Arbeitsbedingungen auch in die anderen Länder, in denen wir produzieren, und der Kunde schätzt diese Standards auch.
Genau solche Aspekte sollten im Einkauf von Medizinprodukten durch ausschreibende Stellen eine höhere Bewertung erfahren.

Was muss aus Ihrer Sicht nun der nächste Schritt konkret sein, um das Thema Versorgungssicherheit in wünschenswerte Bahnen zu lenken?

Ein wesentlicher Schritt wäre meiner Meinung nach ein klares Bekenntnis zum Bestbieterprinzip und eine verstärkte Berücksichtigung von Zertifizierungen in den Bereichen Umwelt und Nachhaltigkeit bei Ausschreibungen.

Wenn wir in einem Jahr das Gespräch noch einmal führen, was soll sich verändert haben?

Ich würde mir wünschen, dass das Thema Versorgungssicherheit eine breitere öffentliche Diskussion erfährt.