Seit Anfang des Jahres ist die Erstverordnung von Medizinprodukten durch diplomiertes Pflegepersonal möglich. Das Gesetz ist in Kraft. Mag. Elisabeth Potzmann, Präsidentin des Österreichischen Gesundheits- und Krankenpflegeverbands (ÖGKV), beschreibt den Prozess und die erforderlichen Voraussetzungen.
Wie ist diese Änderung zustande gekommen?
Potzmann: Das hat eine lange Geschichte. Im Zentrum stehen die dringend erforderlichen Befugniserweiterungen für den gehobenen Dienst in der Gesundheits- und Krankenpflege und das bereits bis dahin gesetzlich vorgesehene Recht auf Weiterverordnung, das nie umgesetzt wurde. Das Gesundheitssystem entwickelt sich rasant, die Anforderungen werden komplexer. Das Gesundheits- und Krankenpflegegesetz verhält sich dazu träge. Die Aufgabe eines Berufsverbandes ist es, das aufzugreifen und einer gesetzlichen Regelung zuzuführen. Ständiges Arbeiten im Graubereich ist den diplomierten Pflegepersonen auf Dauer nicht zumutbar. Das haben wir bei der Verordnung der Medizinprodukte erfolgreich umgesetzt. Hier kam erschwerend hinzu, dass gerade Mitarbeitende in der mobilen Pflege viel Zeit auf der Suche nach Medizinern für eine Verschreibung zugebracht haben. Gelang das nicht, etwa zu Randzeiten, mussten Klienten häufig ins Krankenhaus gebracht werden. Das sollte nun Geschichte sein.
Dazu braucht es Änderungen in verschiedenen Bundesgesetzen. Sind diese beschlossen?
Soweit es die Erst- und Weiterverordnung betrifft, ja. Das GuKG bekam den § 15a dazu und im ASVG eine Änderung im § 350, allerdings mit einem Ablaufdatum. Offenbar ist in der Pflege das Recht nicht für immer erkämpft. Als Berufsverband beobachten wir diese Entwicklung sehr genau.
Hat die Einschränkung auf pflegerelevante Medizinprodukte Auswirkung in der Paxis?
Das ist eine praktisch nicht zu beantwortende Frage. Der Grund dafür ist vielfältig. Das GuKG und das ASVG arbeiten mit unterschiedlichen Begriffen und die Kataloge der Versicherungen sind nicht harmonisiert – weder zwischen den Bundesländern noch zwischen den unterschiedlichen Versicherungen. Zudem verändert sich die Liste der verordenbaren Medizinprodukte naturgemäß laufend. Es gibt somit noch keinen bundesweit einheitlichen Katalog, den wir uns wünschen würden. Die Pflegefachpersonen stellen Verordnungen gemäß der vorliegenden Pflegediagnose und ihrer dazugehörigen Fachlichkeit aus. Das bedeutet, sie müssen wissen, was sie bestellen können und dies ausreichend begründen. Gegebenenfalls müssen sie bei der Versicherung, der Apotheke oder dem Bandagisten nachfragen, ob die Kosten übernommen werden. Das wird in Tirol anders sein als im Burgenland.
Wer darf erstverordnen und welche Voraussetzungen braucht es dafür?
Verordnen kann laut Gesetz jede diplomierte Pflegeperson. Aber die Kostenübernahme seitens der Sozialversicherung erfolgt nur über Einhaltung der in der Krankenordnung definierten Bedingungen. Nachdem diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegepersonen im ASVG nicht als Gesundheitsdiensteanbieter gelistet sind – was aus Sicht des Berufsverbandes dringend nötig wäre –, können diese keine Vertragspartner werden. Um sie in das System der Sozialversicherung eingliedern zu können, müssen die Kollegen eine Fortbildung beim Berufsverband machen. Danach erhalten sie von der Österreichischen Gebietskrankenkasse (ÖGK) eine Identifikationsnummer und Verordnungsscheine. Folglich können sie ausgesuchte Medizinprodukte verordnen.
Was sind die Inhalte der Fortbildung?
Die Fortbildung „Erstverordnung von Medizinprodukten durch DGKP“ dauert vier Unterrichtseinheiten und findet in den Räumlichkeiten der ÖGK statt. Inhaltlich geht es um Gesetze und Prozesse, die einzuhalten sind. Angeboten wird die Fortbildung über den Berufsverband, der den gesamten bisherigen Prozess begleitet hat. Die Anmeldung ist unter www.oegkv.at möglich.
Wie funktioniert die Erstverordnung nun?
Aus Sicht der Patienten ändert sich nichts in Bezug auf den Kostenersatz und den Bezug der Produkte. Was sich ändert, ist, dass sich die Verordnung wesentlich vereinfacht. Patienten und Angehörige müssen nun nicht mehr, nachdem die Pflegefachperson ihren Bedarf auf einen Zettel geschrieben hat, damit zum Hausarzt, danach zum Bandagisten und dann auf einen neuerlichen Besuch der Pflegefachperson warten. Das geht nun in einem Schritt: Die Person, die mit dem Produkt arbeitet, kann dieses auch besorgen.
Welche Vorteile ergeben sich daraus?
Dadurch ergibt sich eine organisatorische, zeitliche und versorgungstechnische Win-win-Situation. Ärzte und ohnehin überfüllte Ordinationen werden entlastet, das diplomierte Personal spart Zeit und hat eine höhere Arbeitszufriedenheit. Bei Herstellern und Vertreibern von Medizinprodukten kann zielgerichteter bestellt werden. Patienten kommen schneller und niederschwelliger zum passenden Medizinprodukt. Bei der Verschreibung wird großer Wert auf Qualität und Handhabbarkeit gelegt, sodass Patienten einen messbaren Nutzen haben. Eventuell ändert sich dadurch künftig auch etwas im Angebot, das bleibt abzuwarten.
Durch die passgenauere Verschreibung erwarten wir eine Kostenreduktion. Wesentlich wird aber sein, dass durch die raschere Versorgung Folgekosten eingespart und viel Leid verhindert wird. So etwa, wenn eine chronische Wunde verheilt, anstatt zu einer Amputation zu führen, oder wenn durch zeitgerechten Einsatz von Antidekubitus-Systemen ein Druckgeschwür verhindert wird.
Können Sie schon sagen, wie sich die Änderung in der Praxis bewährt?
Der Prozess ist „work in progress“. Ich bin sicher, dass wir laufend nachbessern müssen, aber der Anfang war wichtig. Ein Thema, das wir rasch angehen müssen, ist die ableitende Inkontinenzversorgung, die derzeit nicht durch Pflegefachkräfte verordenbar ist. Das ist unlogisch und unpraktisch, denn so kann etwa kein Kondomurinal bestellt werden. Ich bin sicher, im Laufe des Jahres werden sich noch weitere Themen auftun. Aber erst einmal freuen wir uns, dass unsere Fachlichkeit zunehmend gesetzlich anerkannt wird. Die Befugniserweiterung zur Verordnung war erst der Anfang!