Nadelstichverletzungen: Zwischen Risiko und Wirtschaftlichkeit

Nirgendwo ist die Gefahr, sich durch Verletzungen an Kanülen, Lanzetten, Skalpellen usw. mit lebensbedrohlichen Erregern wie dem HI-Virus oder dem Hepatitis-C-Virus zu infizieren, so groß wie in Gesundheitseinrichtungen. Gleichzeitig wird dem Thema hier – oft unter dem Vorwand der Wirtschaftlichkeit – nach wie vor zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Und das, obwohl sich durchschnittlich jeder Mitarbeiter einmal im Jahr verletzt und damit das Risiko einer Infektion auf sich nimmt.

Bereitschaft unterschiedlich

Dass sich die meisten Nadelstichverletzungen verhindern lassen, ist nicht erst seit der Umsetzung der Nadelstichverordnung in nationales Recht vor knapp einem Jahr bekannt, doch wurde der Einsatz von medizinischen Sicherheitsprodukten zur Vermeidung von Stich- und Schnittverletzungen sowie sonstigen Gefährdungen im Berufsalltag – angeregt durch die Richtlinie 2010/32/EU – vermehrt zum Thema. „In manchen Produktbereichen wurde bereits zu 100 % umgestellt und die Bereitschaft zum Einsatz von Sicherheitsprodukten liegt sehr hoch, zum Beispiel bei Sicherheits-Venenverweilkanülen. In anderen Bereichen ist das ­Bewusstsein kaum ausgeprägt, darunter fallen beispielhaft die zentralvenösen Katheter. Oftmals finden wir sogenannte ­Safety-Produkte in Anwendung, die streng genommen nicht den Anforderungen von Sicherheitsprodukten entsprechen. Die Entscheidung, ob es sich schlussendlich um ein sicheres Produkt handelt, wird oft nicht dem Anwender überlassen, sondern aus rein wirtschaftlichen Betrachtungen gefällt“, fasst Dipl. BW Christian Braun, Geschäftsführer B. Braun Austria, seine Erfahrungen seit dem Inkrafttreten der Verordnung zusammen.

Begleitmaßnahmen wirken ­bewusstseinsbildend

Um mehr Licht in die „Dunkelziffer“ der Umstellungsraten in Gesundheitseinrichtungen zu bringen, wäre eine Erhebung vonseiten des Arbeitsinspektorats erforderlich. Parallel dazu braucht es aber auch eine offene Gesprächskultur mit den beschaffenden Stellen und den Entscheidungsebenen in den Kliniken. „Oft entsteht der Eindruck, dass das medizinische Fachpersonal der Meinung ist, dass in kontrollierten Umgebungen die Verwendungen von Sicherheitsprodukten obsolet ist. Dabei gilt allerdings, dass immer davon ausgegangen werden muss, dass ein Risiko zur Verletzung besteht“, weiß Braun.
Der wohl beste Schutz vor Schnitt- und Stichverletzungen ist die Reduktion der Anwendung spitzer oder scharfer Gegenstände. Als die beste Alternative haben sich hier nadelfreie Systeme bewiesen, wie zum Beispiel nadelfreie Zuspritzports oder Kunststoffkanülen. Zusätzliche Begleitmaßnahmen wie mögliche Schutzimpfung, eine risikobewusste Arbeitsorganisation oder die korrekte Entsorgung medizinischer Instrumente runden das Maßnahmenspektrum ab. Braun bestätigt, dass sich das Einkaufsverhalten der Kunden in dieser Hinsicht merklich verändert hat. „Beschaffende Stellen fragen aktiv nach Sicherheitsprodukten nach und beginnen die Qualität von Sicherheitsmechanismen zu bewerten“, so der Experte.
Dienstgeber sind gefordert, den Mitarbeitern die entsprechenden Möglichkeiten zu bieten – das heißt konkret, dass für einen Ersatz ­spitzer und scharfer durch nichtgefährdende Instrumente zu sorgen ist und Sicherheitsprodukte zum Einsatz kommen, die Stich- und Schnittverletzungen oder Blutkontakte verringern, wie zum Beispiel Sicherheitslanzetten, intravenöse Kanülen mit Kanülensicherung, ­Butterfly mit Schutzmechanismus, Blutkulturflaschen-Adapter oder G-Lifter für implantierte Infusionssysteme. Darüber hinaus sind Entsorgungs- und Abwurfbehälter zur Verfügung zu stellen, aber auch mehrlagige Handschuhe, Spezialschürzen für den OP oder Kunststoff- statt Glasröhrchen tragen zu einer sicheren Arbeitsumgebung bei.

Datenbank für ­Sicherheitsprodukte

Die AUSTROMED Arbeitsgruppe „Vermeidung von Schnitt- und Stichverletzungen“ hat gemeinsam mit der AUVA, der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt, eine Datenbank für medizinische Sicherheitsprodukte erstellt. Die Produktdatenbank enthält Angaben zu im Handel erhältlichen Medizin- und Sicherheitsprodukten sowie ein Hersteller- und Lieferantenverzeichnis. Die Datenbank ist Teil des Projekts „Informationsmedien für Gesundheitsberufe“ und als Service für die Anbieter von Gesundheitsdienstleistungen in Österreich gedacht. Damit soll das Ziel der „zero tolerance“ bei Stich- und Schnittverletzungen maßgeblich unterstützt und höchste Sicherheitsstandards sollen geschaffen werden. Offen bleibt nach wie vor der Wunsch nach einem zentralen Meldere­gister für Stich- und Schnittverletzungen.

 

Worauf ist bei der Anschaffung und Einführung von Sicherheitsprodukten zu achten?
  • Der Sicherheitsmechanismus soll integraler ­Bestandteil des Instrumentes sein.
  • Passive, selbstaktivierende Schutzsysteme sind den aktiven, durch den Anwender zu aktivierenden Schutzsystemen vorzuziehen.
  • Falls eine Aktivierung durch den Anwender notwendig ist, soll diese mit einer Hand erfolgen können.
  • Die Aktivierung des Sicherheitsmechanismus soll erkennbar sein (hör- oder sichtbar).
  • Der Sicherheitsmechanismus darf nicht umkehrbar sein.
  • Das Sicherheitsprodukt soll nach Möglichkeit in die Produktreihe der Institution integrierbar sein.
  • Es soll keine prinzipielle Änderung der ­Anwendungstechnik notwendig werden.
  • Es darf sich daraus keine Gefährdung für den Patienten ergeben.