Neuer Schwung am Arbeitsmarkt?

Von Beginn des Russland-Ukraine-Krieges per Ende April hat Österreich rund 64.000 Flüchtlinge aufgenommen. Nicht alles läuft nach Plan. Während manche Ukrainer rasch in ihren Jobs wieder aktiv werden können, warten andere nach wie vor auf die Zuteilung von Unterkünften, geschweige denn Arbeitsplätzen. Nicht alle nach Österreich geflüchteten Ukrainer beanspruchen staatliche Unterstützung, einige Tausend verzichten darauf. Für viele ist Österreich ein Transitland – ihr Ziel irgendwo anders in Europa. Viele der nach Österreich geflüchteten Ukrainer sind sehr gut ­ausgebildet und möchten nach Kriegsende so schnell wie möglich zurück in ihr Heimatland, um es ­wieder aufzubauen.
Entscheidungsträger sind sich einig, dass ein Arbeitsplatz die Integration ungemein erleichtert und beschleunigt, doch nicht überall sind die Jobchancen gleich gut. Österreichweit herrscht mehr oder weniger ein West-Ost-Gefälle mit großer Nachfrage in den westlichen Bundesländern und deutlich weniger im Osten. In Salzburg kommen etwa im Februar 2022 nur mehr durchschnittlich 1,3 Arbeitslose auf eine offene Stelle. In Wien sind es durchschnittlich siebenmal so viele. In der Gesundheitsbranche besteht allerdings österreichweit ein großer Bedarf an zusätzlichen Arbeitskräften. In den Bundesländern werden ukrainische Flüchtlinge daher gezielt informiert, was sie dafür tun müssen, um ihre Ausbildung in Österreich anerkennen zu lassen. Informationen darüber gibt AST, die Anlaufstelle für Personen mit im Ausland erworbenen Qualifikationen. Über das Sozialministerium müssen Anträge auf Berufsanerkennung gestellt werden.

Arbeitslosigkeit in Krisenzeiten

Derzeit sind rund 300.000 Menschen beim AMS arbeitslos gemeldet oder in Schulung. „Am Arbeitsmarkt ist nach wie vor ein ­positiver Trend erkennbar. Dafür sind neben der noch anhaltenden positiven wirtschaftlichen ­Dynamik auch saisonale Effekte verantwortlich. Die ­weitere Entwicklung ist aber unsicher“, sagte Arbeitsminister Martin Kocher kürzlich über die aktuelle Lage am österreichischen Arbeitsmarkt.
Nun zeigt der Krieg deutliche Auswirkungen. Jene auf den Arbeitsmarkt sind jedoch schwierig einzuschätzen. „Zumindest werden die ­un­­sichere Lage und die Sanktionen die wirtschaftliche Dynamik bremsen und auch die Arbeits­losigkeit langsamer zurückgehen lassen. Stärkere negative Auswirkungen auf Wirtschaft und Arbeitsmarkt sind nicht auszuschließen. Wir sind sehr gut vorbereitet, um die vertriebenen Ukrainer am Arbeitsmarkt bestmöglich zu unterstützen: von der Versorgung mit Information über Kompetenzchecks und Spracherwerbsangebote bis hin zu Weiterbildungen und natürlich der Vermittlung. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang, dass alle Betroffenen Zugang zum Arbeitsmarkt haben. Nach der polizeilichen Registrierung kann dem Arbeitgeber oder der Arbeitgeberin unbürokratisch eine Beschäftigungsbewilligung für die jeweilige vertriebene Person erteilt werden“, so Kocher.
Auch das Arbeitsmarktservice Österreich (AMS) legt sich mit der Einschätzung der Auswirkungen des Krieges auf den Arbeitsmarkt noch nicht fest. „Die Auswirkungen des Krieges in der Ukraine auf den heimischen Arbeitsmarkt sind derzeit noch nicht klar abschätzbar“, so Mag. Mathieu Völker vom AMS Österreich. „Wir gehen davon aus, dass sich der Trend der ­letzten Monate, der ein kontinuierliches Sinken der Arbeitslosigkeit gezeigt hat, fortsetzen wird, vielleicht in etwas abgeschwächter Form. Wirtschaftsforscher schätzen aktuell für 2022 das Wirtschaftswachstum um 1 bis 2 % geringer ein als noch vor ein paar Wochen. Die weitere Entwicklung ist offen und hängt vom Verlauf der Ereignisse in der Ukraine ab. Auch die Frage, wie viele der aus der Ukraine geflüchteten Menschen tatsächlich auch auf den Arbeitsmarkt wollen und können, ist derzeit noch offen.“

Zugang zum Arbeitsmarkt und ­Unterstützung für Arbeitgeber

Zumindest erhalten aus der Ukraine Geflüchtete relativ problemlos Zugang zum heimischen Arbeitsmarkt, zu Sozialleistungen und Bildung. Über Jobportale wie www.jobs-for-ukraine.at oder www.pratsya.at werden gezielt ukrainische Arbeitnehmer vermittelt. Der Haken: Nur wenige männliche Arbeitskräfte können davon profitieren, denn die meisten Männer dienen im Krieg. Für die hier ankommenden Frauen mit Kindern braucht es nicht nur Jobs, sondern auch passende Kinderbetreuungsmöglich­keiten. Das AMS verzeichnet vor allem unselbstständig beschäftigte Ukrainer in Österreich, die sich in den Branchen Warenproduktion sowie Handel, Reparatur und Instandhaltung von Fahrzeugen konzentrieren.
Das Bundesministerium für Arbeit begrüßt Initiativen zur Integration ukrainischer Vertriebener auf dem Arbeitsmarkt. In enger Abstimmung mit dem AMS und unter Einhaltung gesetzlicher Bestimmungen des Arbeitsmarktservicegesetzes wird laufend Unterstützung geboten. Sobald die blaue Aufenthaltskarte („Ausweis für Vertriebene“) vorliegt, kann eine Beschäftigungsbewilligung in einem vereinfachten Verfahren erteilt werden. Dabei werden die Beschäftigungsbewilligungen für Vertriebene nicht auf die Saisonkontingente im Tourismus und in der Land- und Forstwirtschaft angerechnet. Eine Beschäftigungsbewilligung für Arbeitskräfteüberlasser ist nicht zulässig.Für eine rasche Abwicklung wird dem AMS ein Antrag auf Beschäftigungsbewilligung und eine Kopie des Ausweises für Vertriebene übermittelt. Auch über das eAMS-Konto für Unternehmen ist eine Antragstellung unter „Services für Ausländerbeschäftigung/Beschäftigungsbewilligung“ möglich. Aus der Ukraine geflüchtete Menschen stehen vor großen Herausforderungen wie etwa eine passende Unterkunft in Reichweite des künftigen Arbeitsplatzes, Mobilität, Deutschkenntnisse, Kinderbetreuung und Integration in ein neues Umfeld. Erfolgskritische Themen im Unternehmen, die – zielgruppenunabhängig – darüber hinaus gehen, sind die Eingliederung in bestehende Teams, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und einiges mehr. Von der Bewältigung dieser Herausforderungen hängt es ab, ob der Einstieg in das Arbeitsleben in Österreich gut gelingt. Medizinprodukte-Unternehmen können nicht nur ein Zeichen setzen, sondern einen entscheidenden Beitrag leisten – und sie ­gewinnen wertvolle Arbeitskräfte für ihr ­Unternehmen.

Vorbild Tourismus?

Aktuell haben rund 1.700 Vertriebene aus der Ukraine in Österreich einen Job gefunden und dürfen bereits arbeiten. Knapp 2000 Beschäftigungsbewilligungen von ukrainischen Flüchtlingen sind beantragt worden. Die meisten haben Jobs in der Gastronomie, der Hotellerie, in Land- und Gartenberufen sowie dem Handel gefunden.
Um dem Fachkräftemangel zu begegnen, gibt es Branchen, die sich besonders aktiv um ukrainische Arbeitskräfte bemühen und vielleicht als Vorbild auch für die Gesundheitswirtschaft gelten könnten. So hat sich etwa ein Vorarlberger Hotelier in Zusammenarbeit mit dem WIFI um einen Basislehrgang bemüht, der den Geflüchteten neben der deutschen Sprache auch grundlegende Fertigkeiten der Tourismuswirtschaft vermittelt. Die Kurskosten sowie die Übernachtung der Lehrgangsteilnehmer werden vom AMS übernommen. Der erste Kurs mit 50 Teilnehmern ist schon ausgebucht, weitere Termine sollen folgen.