Wer kennt sie nicht aus den US-amerikanischen Fernsehserien, die „Emergency Rooms“, wo rund um die Uhr alle eingelieferten Patienten unabhängig von Verletzung und Alter von erfahrenen Medizinern versorgt werden. Die Realität in Österreich sieht anders aus. Erst wenige Spitäler setzen auf zentrale Notfallaufnahmen und wer als „Notfall“ in eine Ambulanz kommt, tritt oft wenig erfahrenen und überarbeiteten Jungärzten gegenüber, ist mit langen Wartezeiten konfrontiert und wird dann – je nach diensthabender Fach-Profession – in unterschiedlichste Diagnosestraßen geleitet. Aufgrund der Sonderfachbeschränkung dürfen Internisten keine Schnittwunden vorsorgen oder Chirurgen nicht ins Ohr sehen. Der Bauchschmerz wird vom Gynäkologen als Eierstockentzündung behandelt, vom Chirurgen als Blinddarmentzündung und vom Internisten als Gastritis. Alle Behandelnden geben ihr Bestes, sind aber dennoch angesichts der Fülle der Anforderungen auf verlorenem Posten und erst recht wieder auf die Unterstützung von Fachambulanzen angewiesen. Zudem hängt es auch davon ab, wer den Patienten einliefert und auf wen er zuerst trifft – sind es Angehörige, Taxifahrer oder die Rettung? Und entscheidet der Portier am Eingang, wo denn der Verletzte am besten aufgehoben ist? Wenig wundert es daher auch, dass die Hauptbeschwerdepunkte von Patienten im Bereich der Wartezeit und der mangelnden Kommunikation liegen und die größte Hausforderung für das medizinische Personal der Faktor „Patientensicherheit“ bei steigender Arbeitsbelastung ist. Studien haben zudem auch gezeigt, dass unter diesen Bedingungen mehr Laboruntersuchungen als oft nötig angeordnet werden und damit auch eine Kostenschere aufgeht, die schwer zu schließen ist.
International gesehen sind die Probleme, mit denen Spitäler in der Notaufnahme zu kämpfen haben, kaum anders, jedoch werden sie in vielen Ländern mittlerweile durch zentrale Notfallaufnahmen mit entsprechender fachlicher Expertise gelöst. So bekommt man etwa in den USA, in Großbritannien, Belgien, oder Italien tatsächlich etwas von „Reality TV“ zu spüren: Hier stehen erfahrene Fachärzte für Notfallmedizin in der Notaufnahme rund um die Uhr zur Verfügung, kümmern sich rasch und kompetent um die Patienten und reduzieren damit Wartezeiten, Kosten und die Belastung der Fachkollegen auf den Spezialambulanzen. Österreich ist noch ein weißer Fleck auf der Landkarte der Fachärzte für Notfallmedizin und das wird, geht es nach der Ärztekammer, auch noch eine Weile so bleiben. „Kein Sonderfach in Sicht“, bestätigte Dr. Thomas Holzgruber jüngst im Rahmen der Jahrestagung der Österreichischen Vereinigung für Notfallmedizin. „Mit den 45 Sonderfächern liegen wir im europäischen Mittelefeld “, so Holzgruber und ergänzt: „Die Ärztekammer spricht sich nicht gegen zentrale Aufnahmen und Erstversorgungsstationen aus, wir wollen aber kein Sonderfach, denn in der Praxis werden die Berufsausübungsfelder jetzt schon immer schmäler.“ Holzgruber fordert aber auch klar politische Konsequeznen, denn: „Einerseits sollen die Patientenströme von den Spitälern in den niedergelassenen Bereich umgeleitet werden, andererseits gibt es nicht mehr Kassenverträge. Neue Berufsbilder lösen das Problem nicht“, ist der Ärztekammervertreter überzeugt.
Naturgemäß gegenteilig sieht Dr. Prof. Wilhelm Behringer, Präsident der Österreichischen Vereinigung für Notfallmedizin (AAEM) die Entwicklung: „Eine hochwertige, evidenzbasierte und kosteneffektive Notfallbehandlung kann nur ein gut ausgebildeter Facharzt für Notfallmedizin sicherstellen. Solch ein Facharzt für Notfallmedizin wird auch nötig sein, um die neu geschaffenen Notfallzentren wie etwa im Krankenhaus Nord adäquat betreiben zu können.“
Der Mediziner ist überzeugt, dass mit einem optimierten Notfallmanagement durch speziell für Notfälle ausgebildete Notfallmediziner Ressourcen eingespart und Kapazitäten sinnvoller als bisher genützt werden könnten. „Spitäler mit zeitgemäßen Qualitätsansprüchen benötigen auch im Sinne eines modernen Risikomanagements entsprechende medizinische Versorgungsstrukturen an der Eintrittsschnittstelle“, so Behringer. Die AAEM fordert schon seit Jahren die Einführung des für Österreich neuen Sonderfaches „Notfallmedizin“, denn die Vorteile sind aus seiner Sicht überzeugend: klare Zuständigkeit für alle Notfälle, die ins Krankenhaus kommen, damit die Vermeidung von Fehl- und Mehrfachzuweisungen und dadurch kürzere Behandlungszeiten für die Patienten. „Gleichzeitig eröffnet sich ein Potenzial zur Einsparung stationärer Aufnahmen durch eine kompetente Evaluierung und sofortige Therapie in der Notfallabteilung. Nur in Ausnahmefällen sollte die Beiziehung eines Konsiliararztes eines anderen Sonderfaches bzw. die Zuweisung an eine Spezialambulanz notwendig werden“, so Behringer und ergänzt: „Die Daten der Klinik für Notfallmedizin aus dem AKH Wien belegen, dass rund 90 Prozent der Patienten der Notfallambulanzen ambulant behandelt werden können. Die Einführung des klinischen Sonderfaches Notfallmedizin bedeutet auf keinen Fall einen Verlust an Aufgaben für andere Sonderfächer, im Gegenteil, sie führt zu einer Entlastung der Kollegen anderer Sonderfächer, die sich klar auf die ganz spezifischen Akutfälle ihres Sonderfaches konzentrieren können.“
Unterstützung bekommt der Verband auch von der European Society for Emergency Medicine (EuSEM). Die Gesellschaft forderte bereits seit vielen Jahren die Einführung des Facharztes für Notfallmedizin in Europa. Die Dauer der Weiterbildung beträgt nach diesem Curriculum fünf Jahre, von denen mindestens drei Jahre in einer zentralen Notaufnahme gearbeitet werden müssen. Emergency Medicine ist in der European Union of Medical Specialists eine eigenständige Sektion, in der EU in 13 Ländern ein eigenständiges Sonderfach und in drei Ländern ein Zusatzfach. In Österreich haben im Jahr 2008 an der Notfallmedizin interessierte Ärzte die Österreichische Vereinigung für Notfallmedizin gegründet mit dem Ziel, einen Facharzt für Notfallmedizin in Österreich zu etablieren.