Was bedeutet Versorgungssicherheit im Gesundheitswesen für Sie als Vorsitzende des Bundesverbandes Selbsthilfe Österreich und welche Rolle spielen dabei Medizinprodukte?
Widhalm: Versorgungssicherheit bedeutet mir sehr viel, weil es darum geht, Patienten gut, richtig, umfassend und auch rechtzeitig zu versorgen. Medizinprodukte spielen dabei sowohl in der niedergelassenen als auch in der stationären Betreuung eine wichtige Rolle. Ein aktuelles Beispiel dafür sind Tests. Als Vorsitzende der Hepatitis Hilfe arbeite ich persönlich schon sehr lange mit Schnelltests, weil wir es dabei mit Infektionskrankheiten zu tun haben. Dafür gibt es eine ganze Reihe guter und anerkannter Tests am Markt, bis zur Pandemiezeit waren sie aber überhaupt nicht im Fokus der Gesundheitspolitik, wurden weder beachtet noch gefördert. Nur die ganz besonders teuren Tests wurden bezahlt, Schnelltests nicht.
Das hat sich – abgesehen von den Corona-Tests – bis heute nicht geändert. Dabei tragen solche Tests wesentlich zur Versorgungssicherheit bei. Im Hepatitis-Bereich zum Beispiel gibt es immer noch sehr viele Menschen, die gar nichts von ihrer Infektion wissen. Mit einer verbesserten Teststrategie könnte man vielen davon nicht nur früher helfen, sondern auch einen guten Überblick bekommen, wie sich die Situation tatsächlich darstellt. Ich habe daher schon wiederholt angeregt, die Gunst der Stunde in der Pandemie zu nutzen und mit den SARS-CoV-2-Antigen-Schnelltests gleich auch andere Tests mitzumachen. Das wäre technisch überhaupt kein Problem. Es gibt Geräte am Markt, die haben die Größe einer Nähmaschine und man könnte mit ihnen binnen 25 Minuten alle gängigen PCR-Tests machen. Jeder Hausarzt könnte sie anwenden – kann sie sich aber nicht leisten, weil sie 80.000 Euro kosten und seine Leistung nicht erstattet wird, weil das von einem Labor gemacht werden muss. Ganz Amerika arbeitet damit, aber bei uns geht das nicht. Jeder Versuch, das zu ändern, wurde von der Labor-Lobby sofort boykottiert. Mit meiner Anregung bin ich bislang immer auf taube Ohren gestoßen. So etwas käme nicht infrage, weil es die Menschen verunsichert, wurde argumentiert. Ich halte das für einen völlig falschen Ansatz in der Gesundheitspolitik.
Manchmal fehlt es – wie schon besprochen – am Budget, manchmal am Wissen über Medizinprodukte, manchmal ist es aber schlicht ein Organisationsproblem. Was den Einsatz von Medizinprodukten im Spital betrifft, wie damit umgegangen wird, da habe ich einen guten Einblick, schließlich bin ich selbst vier Jahre meines Lebens im Krankenhaus gelegen, davon drei Monate auf der Intensivstation. Es gibt zum Beispiel einfache, wasserdichte Duschverbände, damit frisch Operierte duschen können. Die stehen aber in öffentlichen Spitälern meist nicht zur Verfügung. Man muss sie sich selbst organisieren und bezahlen. Da geht es aber um das Wohlbefinden von Patienten, das halte ich wirklich für eine Notwendigkeit. Ich habe auch erlebt, dass Handschuhe ausgegangen sind, weil die Lieferung nur einmal in der Woche erfolgt. Also wurden die Handschuhe beim Bettzeugwechsel selbst bei Patienten mit Infektionserkrankungen zwischen den einzelnen Betten nicht gewechselt.
In vielen Gesprächen haben Klinikärzte darüber geklagt, wie lange sie innerhalb der Spitalsorganisation darum kämpfen müssen, um ein bestimmtes Medizinprodukt zu bekommen. Bis es dann so weit ist, sind manche der Geräte gar nicht mehr en vogue. Und da kommen wir wieder zurück zur Preisgestaltung. Viele Medizinprodukte sind preislich sehr hoch – es liegt die Vermutung nahe, dass sie künstlich hochgehalten werden. Natürlich muss man die hohen Entwicklungskosten berücksichtigen, aber was wollen wir denn? Wollen wir Medizinprodukte mit möglichst hohen Margen verkaufen oder wollen wir, dass die Gesundheit der Bevölkerung steigt? Will man Letzteres, muss man Medizinprodukte auch leistbar für Spitalserhalter oder auch für niedergelassene Ärzte machen und die Kosten müssen von der ÖGK übernommen werden.
Man sollte in Entscheidungsprozessen mehr auf unabhängige Experten vertrauen, die darauf achten, dass diese im Sinne des Patientenwohls entschieden werden und nicht politische Interessen im Vordergrund stehen. Und natürlich müssen Vertreter der Patientenorganisationen stärker in die Gremien aufgenommen werden. Die EU ist hier sehr vorbildhaft und trommelt das schon seit Jahren, zum Teil mit Erfolg. Wo Patientenvertretungen in den Gremien sitzen, schauen Entscheidungen oft ganz anders aus. Wir selbst werden nur selten eingeladen, meistens müssen wir uns aktiv einmischen, um gehört zu werden – oder auch, um nicht gehört zu werden. Ein Medizinprodukte-Hersteller hat zum Beispiel vor einigen Jahren eine Injektionsnadel auf den Markt gebracht, die nach dem Stich mittels Schutzröhrchen geschützt wurde. Ein immenser Sicherheitsfaktor für Ärzte und Patienten, wenn man bedenkt, dass jährlich ca. 2.000 Nadelstichverletzungen zu verzeichnen sind. Trotzdem wurde das System bis heute in den öffentlichen Spitälern nicht voll implementiert. Da fehlt mir jedes Verständnis dafür. Überall wird der Sparstift angesetzt, der Patient hat nicht immer das Gefühl, dass er im Mittelpunkt steht.