Es ist mehr als irritierend, dass die Pflege als unverzichtbarer Teil der Gesundheitsversorgung im politischen Denken und Handeln immer noch ausgeblendet wird“, bilanziert Ursula Frohner, Präsidentin des Österreichischen Gesundheits- und Krankenpflegeverbandes (ÖGKV), die Ergebnisse des „Pflege-Führungskräfte-Barometers“ 2016. Vor allem in der steigenden Zahl an Vor- und Nachuntersuchungen kommt es nach Ansicht der Expertin aufseiten des Pflegemanagements zu ständiger Mehrbelastung. Dazu kommt, dass Patienten älter und multimorbider werden. Die Anforderungen an die Kompetenz der Pflegekräfte steigen, jedoch halten die Fortbildungsangebote damit nicht Schritt. Während die geburtenstarken Jahrgänge der 1960er-Jahre in Pension gehen, rücken immer weniger Berufseinsteiger nach. Sorgen bereitet Frohner auch die Tatsache, dass viele Krankenhausbetreiber immer öfter noch nicht ausreichend qualifiziertes Personal anstellen. „Nach unserem Selbstverständnis besteht Pflege aber nicht nur aus Routineaufgaben wie Blutabnahmen, EKG-Schreiben oder Infusionen anhängen. Vielmehr geht es uns um die Frage: Wie unterstütze ich jemanden allumfassend in seiner gesundheitsbeeinträchtigten Situation? Während Ärzte fragen: ‚Warum hat jemand diese Symptome?‘ und ihre Diagnosemaßnahmen einleiten, fragen wir uns: ‚Wie kommt dieser Mensch damit zurecht?‘ – das erfordert auch die entsprechende Ausbildung und das Fachwissen“, so Frohner.
Weil solche Klagen seit Jahren ins Leere gehen, hat sich der ÖGKV entschlossen, einen validen Befund über die gesamtösterreichische Pflegesituation auf den Tisch zu legen. Dafür hat das auf Gesundheitsfragen spezialisierte Beratungsunternehmen health care communication insgesamt 1.577 Pflege-Führungskräfte in allen Bundesländern befragt. „Wenn beinahe 60 Prozent eine solch aufwendige Befragung abschließen, zeigt alleine das schon, wie hoch die Brisanz des Themas bei den Betroffenen ist“, erklärt der mit der Leitung der Umfrage beauftragte Arbeitspsychologe Mag. Alexander Engelmann. „Es ist nicht die Führungsarbeit an sich oder die herausfordernde Arbeit am Krankenbett, die den Pflegekräften am meisten zusetzt. Vielmehr werden die Vielzahl an laufenden Veränderungsprojekten und die ökonomischen Rahmenbedingungen als stark belastend erlebt“, gibt Engelmann Einblick.
In der Untersuchung sollten auch Stärken für die Zukunft identifiziert werden. „Die befragten Führungskräfte verfügen trotz aller Probleme über ausreichendes Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und das halten wir aus psychologischer Perspektive für eine der wesentlichen Ressourcen für zukünftige Veränderungen“, ergänzt der Arbeitspsychologe. Hilfe bei der Teamentwicklung, neue Instrumente im Umgang mit Konflikten sowie Methoden zur Stressbewältigung rangieren ganz oben auf der Wunschliste der Führungskräfte. Um eine wirklich prozessorientierte Versorgung auf höchstem Niveau sicherstellen zu können, braucht es aber wohl neue Weichenstellungen und radikal andere Denkmuster. „Ziel muss es sein, dass Strukturen und Abläufe im Klinikalltag künftig von Pflegekräften und medizinischem Personal gemeinsam gestaltet werden“, fordert Frohner. Fazit: Zusätzliche Aufgaben erfordern auch zusätzliche Personalressourcen.