Bis zu 80 Prozent des Arbeitsalltags eines Turnusarztes werden für Tätigkeiten wie Patientendaten aufnehmen, Blutdruck messen, Spritzen geben und Infusionen wechseln aufgewendet. Laut der österreichweiten Evaluierung des ärztlichen Qualitätszentrums in Oberösterreich kümmern sich zwei Drittel der angehenden Mediziner „immer“ oder „meistens“ um das „Ausheben von Krankenakten“, das „Messen des Blutdrucks“ und das „Schreiben von EKGs“. Zeit oder Gelegenheit für das selbstständige Verschreiben von Medikamenten, das Durchführen von Untersuchungen, Wundversorgungen oder kleine chirurgische Eingriffe bleibt in Wien nur jedem fünften Turnusarzt.
Schon seit Jahren wird diskutiert, was von diesen Aufgaben Krankenschwestern und -pfleger übernehmen könnten. „Es ist auf keinen Fall so, dass diplomierte Pflegekräfte nicht grundsätzlich bereit wären, Tätigkeiten aus dem allein- oder mitverantwortlichen Bereich zu übernehmen“, betont Ursula Frohner, Präsidentin des Österreichischen Gesundheits- und Krankenpflegeverbands. Auch vonseiten des Pflegegesetzes und dem Stand der Aus- und Fortbildung gibt es zu dieser Mitwirkung ausreichend Möglichkeiten sowie eine ausgezeichnete Basis. „Und sollte eine Pflegekraft das Gefühl haben, neuen Anforderungen aufgrund bislang jahrelang üblicher Arbeitsschwerpunkte nicht gewachsen zu sein, kann dies leicht durch kurze Bildungsimpulse ausgeglichen werden. Es geht ja nur darum, bereits Gelerntes wieder aufzufrischen.“
In den einzelnen Spitälern wird sehr unterschiedlich mit den Ressourcen und Möglichkeiten von Pflegefachkräften umgegangen. „Oft“, so kritisiert Frohner, „scheitert es an jahrelang nicht mehr überarbeiteten dienstrechtlichen Regelungen, dass Pflegekräfte diese Tätigkeiten im mitverantwortlichen Bereich übernehmen.“ Oder es gebe Vorbehalte von Ärzten, die trotz allen Zeit- und Arbeitsdrucks die Angst hätten, etwas von ihrem Prestige oder ihrer Kompetenz zu verlieren, wenn sie Aufgaben an Pflegekräfte abgeben. „Das Gegenteil ist natürlich der Fall: Von einer guten interdisziplinären Zusammenarbeit profitieren nicht nur alle Mitarbeiter im Krankenhaus, sondern auch die Patienten und deren Angehörige – insgesamt steigt die Behandlungs- und Ergebnisqualität.“
Als Beispiel, wie eine solche Kooperation gesetzlich unterstützt werden kann, verweist Frohner auf die heuer in Kraft getretenen Neuregelungen zum Pflegegeld: Bei der Beurteilung, in welche Pflegestufe ein Patient einzuordnen ist, sind nun auch Pflegekräfte hinzuzuziehen. Damit kommt eine wichtige Kompetenz hinzu, die auch die Versorgungsqualität verbessert.
„Was nicht sein kann, ist, dass einfache Tätigkeiten im Spitalsalltag an Pflegekräfte weitergegeben werden, ohne dass es irgendwelche ausgleichenden Maßnahmen gibt“, denn, so Frohner, „der Arbeitsdruck auf diese Berufsgruppe ist jetzt schon sehr hoch.“ Deutsche Studien zeigen, dass in diesem Feld der Wunsch, etwas beruflich anderes zu machen, weil der Druck zu groß wird, sehr rasch geäußert und immer wieder auch umgesetzt wird. Außerdem ist die Zahl der Frühpensionierungen im Pflegesektor besonders hoch. Das alles führt immer wieder zu hohen Personalfluktuationen und großen Schwierigkeiten bei der kontinuierlichen Aufrechterhaltung einer guten Versorgung. Nötig ist eine ernst gemeinte, institutionalisierte Entlastung von Pflegefachkräften. Dass dies keine Fiktion ist, zeigen etwa aktuelle Umstrukturierungen beim oberösterreichischen Spitalsträger gespag. „Es geht vor allem auch um Tätigkeiten wie Betten machen, Essen verteilen oder Raumpflege, die davon abhalten, die Aufgaben zu übernehmen, für die Pflegefachpersonen eigentlich qualifiziert sind“, so Frohner. In Oberösterreich wurden Aufgaben neu verteilt und Pflegende beginnen damit, mehr medizinische Routinearbeiten zu übernehmen, die sonst bei Ärzten hängen bleiben. Als Entlastung kommen extra ausgebildete Stationsassistentinnen zum Einsatz. Ein Ausgangspunkt war hier sicher auch, dass es Spitälern im Land ob der Enns immer schwerer fällt, ausreichend Turnusärzte zu finden. Dazu kommt die Altersentwicklung auch bei Ärzten und Pflegekräften: Das Durchschnittsalter im Gesundheitsbereich liegt bei 40 oder bereits höher – auch dies macht Umstrukturierungen und neue Arbeitszeitmodelle nötig. Orientierung können aktuelle Projekte wie in den Spitälern in Schwarzach (Pongau) und Zell am See (Pinzgau) geben, wo den Pflegemitarbeitern 100 flexible Arbeitszeitmodelle zur Auswahl stehen. Aktiv unterstützt werden auch die Übergänge vor, während und nach der Karenz. Ein anderes Projekt zur Entlastung der Pflege gibt es in der Stadt Salzburg: Seit Jahresmitte kommen an Pilotstationen der Landeskliniken „Servicemitarbeiter“ zum Einsatz. Sie sind unter anderem dafür zuständig, das Essen und Getränke auszuteilen, Betten zu überziehen, Botendienste zu übernehmen und in den Zimmern aufzuräumen. Gleichzeitig nehmen diese neuen, extra ausgebildeten Kräfte an den Morgenbesprechungen teil. So können auch sie Rückmeldungen von Patienten weitergeben und bleiben in Bezug auf aktuelle Betreuungsschwerpunkte auf dem Laufenden. Damit sind sie ebenso ein mitverantwortlicher Teil der Betreuungsteams. An der Innsbrucker Klinik gibt es seit einigen Jahren sehr positive Erfahrungen mit den sogenannten „Abteilungshilfen“. Jede Station kann auf eine solche unterstützende Kraft zurückgreifen – deren Schwerpunkte sind hauswirtschaftliche Tätigkeiten, Unterstützung der Stationsküche, Durchführung von Reinigungsarbeiten und Organisation der Reinigung der Stationswäsche. Seit Jänner des Vorjahres gibt es in Innsbruck medizinische Organisationsassistenten. Sie koordinieren die nötigen Untersuchungstermine, also etwa CT, MR, Röntgen, Labor usw., und übernehmen Aufgaben im oft zeitaufwendigen Entlassungsmanagement. Laut Frohner ist ein ähnliches Konzept auch in Graz in Umsetzung begriffen. „Dies alles sind kleine und wichtige Schritte auf einem weiten Weg, der noch viele Umstrukturierungen mit sich bringen wird müssen.“
Weniger begeistert von diesen Entwicklungen zeigt sich die Bundeshauptstadt Wien: KAV-Generaldirektor Wilhelm Marhold verwies zwar zuletzt stolz auf die Segnungen der schon länger vorhandenen „Rahmenleitlinie Medizin und Pflege“, auch bekannt als Spritzenerlass, die Ärzte und Pflegepersonal zu „bestmöglicher Zusammenarbeit“ verpflichtet. „In der Realität bleibt es aber bei Stückwerk – für die Pflege entlastende Maßnahmen gibt es nach dem Zufallsprinzip bzw. werden sie danach verteilt, ob das Verhalten von Pflegekräften als ausreichend ‚kooperativ‘ wahrgenommen wird.“ Grundsätzlich gehe aber der Trend in Österreich in die richtige Richtung. Allerdings müssten dazu eigentlich auch Veränderungen bei der Entlohnung, besonders im niedergelassenen Bereich, gehören – hier sei die Bezahlung oft sehr schlecht bzw. werde erwartet, Überstunden umsonst zu leisten. Walter Aichinger, Präsident des Roten Kreuzes Oberösterreich, wies zuletzt darauf hin, dass bis zum Jahr 2020 in Österreich etwa 17.000 zusätzliche Vollzeitkräfte im Bereich der Pflege im extramuralen Bereich fehlen würden. Frohner verweist dazu darauf, dass es zwar im Spitalsbereich zu Einsparungen und damit Entlassungen kommt, da Betten im Akutbereich eingespart werden. Diese Pflegekräfte könnten sich dann aber eine Tätigkeit in der mobilen Pflege aus wirtschaftlichen Gründen oft nicht leisten und würden ihr Heil in anderen Berufen suchen.