In Fachambulanzen, beim Facharzt oder beim niedergelassenen Allgemeinmediziner fehlt es an Ressourcen zur Betreuung chronisch Kranker. Das spüren auch die etwa 600.000 Typ-2-Diabetiker in Österreich, die neben ihrer Erkrankung vor allem mit strukturellen Mängeln zu kämpfen haben: die Überlastung im Spitalssektor, die fehlende Refundierung von Betreuungsleistungen im niedergelassenen Bereich und ein Disease-Management-Programm, das weit weg von „flächendeckender Versorgung“ läuft. Eine fehlende multiprofessionelle Infrastruktur verschärft die Situation, denn gerade bei Diabetes wäre die Zusammenarbeit mit Diätologen, Bewegungsexperten, Physiotherapeuten oder Wundmanagern dringend erforderlich.
Je früher eine adäquate Betreuung einsetzen würde, umso besser – sprich kostengünstiger und Lebensqualität verlängernder – wäre das Ergebnis für Betroffene und für das System. Viele Patienten würden gar nicht erst in den Ambulanzen landen, wenn sie schon rechtzeitig im niedergelassenen Bereich adäquat betreut gewesen wären. Derzeit ist der niedergelassene Bereich über weite Strecken aber nicht versorgungswirksam. Primärversorgungszentren bieten daher durchaus eine große Chance, den Spitalsbereich zu entlasten und gleichzeitig eine standardisierte und flächendecke Versorgung für jene sicherzustellen, die auch die ärztliche Versorgung am dringensten benötigen, nämlich chronisch Kranke. Die geplanten Primärversorgungeinrichtungen (PHC) sollen kürzere Wartezeiten, längere Öffnungszeiten und eine Entlastung der überforderten Ambulanzen bringen.
Eine zentrale Drehscheibe in der Primärversorgung soll nach wie vor der Hausarzt sein. „Ob in einem Zentrum, als einzelne Praxis oder in einem losen Netzwerk ist für den Patienten nicht so wichtig. Wir wissen aus Umfragen, dass 93 % der Befragten den Hausarzt als ersten Ansprechpartner besonders schätzen“, gibt Prim. Dr. Reinhold Pongratz, Ärztlicher Leiter der Steiermärkischen Gebietskrankenkasse, Einblick. Gefragt sind daher neue Formen der Zusammenarbeit, die gewährleisten, dass das auch so bleibt und darüber hinaus noch weitere Vorteile, wie etwa eine Versorgung zu Randzeiten oder die Bündelung von Know-how, möglich werden. „PHCs schaffen Vernetzung und Versorgungskoordination gleichzeitig, sie sorgen für kurze Wege und entlasten damit das Gesamtsystem“, so Pongratz.
Versorgungszentren schaffen zweifelsohne Vorteile für Arzt und Patienten und damit wohl erst recht für jene, die regelmäßig Betreuung benötigen. Derzeit ist dieser Aufwand für die niedergelassenen Mediziner Typ-2-Diabetiker zu betreuen – mit Ausnahme jener im Disease-Management-Programm – mangels Refundierung aber wenig attraktiv. „Nur weil ein Bäcker lange offen hat, sind seine Brötchen nicht besser“, bremst Univ.-Prof. Dr. Thomas Wascher, Präsident der Österreichischen Diabetes Gesellschaft (ÖDG), die Euphorie für PHCs. Er plädiert dafür, dass auch die Qualifikation der Mediziner nachziehen muss und verweist auf Vorbilder, wie etwa in Deutschland. „Wer sich zur Betreuung von Diabetikern nachgewiesenermaßen fortbildet, der kann auch andere Abrechnungsposten geltend machen“, beschreibt Wascher die Vorteile.
Weniger Arztstunden in den Spitälern führen zwangsläufig dazu, dass komplementäre Leistungsanbieter diese zunehmend spürbare Versorgungslücke füllen müssen. „Die Frage für mich ist, was PHCs tatsächlich anbieten können“, gibt sich auch Prim. Dr. Peter Fasching, Vorstand der 5. Medizinischen Abteilung im Wilhelminenspital, vorsichtig optimistisch. Vieles, was derzeit im intramuralen Bereich als selbstverständliche Leistung wahrgenommen wird, wird der niedergelassene Sektor schon allein aus Ressourcengründen nicht anbieten können. „Dazu zählen etwa fremdsprachige Angebote vor allem in Ballungszentren oder die Notfallversorgung rund um die Uhr“, ist Fasching überzeugt und setzt nach: „Ob das im Spital wirklich immer teurer ist, lässt sich derzeit mangels verfügbarer Daten kaum feststellen.“
Preis und Leistung gegenüberzustellen, wird auch einem PHC schlussendlich nicht erspart bleiben. Nur mehr in Expertennetzwerken zu arbeiten ist sicher keine praxistaugliche Lösung, weil dann vor allem multimorbide Patienten, die mehr Generalisten benötigen, auf der Strecke bleiben könnten.