Primary Nursing in der Akutgeriatrie

Primary Nursing (PN) ist ein ganzheitliches, bedürfnisorientiertes Pflegeorganisationskonzept – beginnend bei der Aufnahme bis hin zur Entlassung und stellt somit einen Paradigmenwechsel im Krankenhausalltag dar. PN wurde in den USA entwickelt, die Verbreitung im europäischen, insbesondere österreichischen Raum ist jedoch sehr rudimentär. Eine Pflegekraft übernimmt die Verantwortung für den gesamten Pflegeprozess von der Aufnahme bis zur Entlassung, die Pflege ist dadurch so organisiert, dass eine umfassende, kontinuierliche und individuelle Pflege verbessert wird. Die Stationsleitung übernimmt „nur“ noch das Stationsmanagement. „Es ist das Pflegeorganisationskonzept der Zukunft, denn aus dem demografischen, ökonomischen, medizinischen und technischen Fortschritt ergibt sich die Notwendigkeit, Arbeitsprozesse am Versorgungsbedarf der Patienten auszurichten sowie künftig die Prozesse einerseits so kostengünstig wie möglich zu gestalten und andererseits die Qualität der erbrachten Leistungen kontinuierlich zu verbessern und das Wichtigste – die Beziehungsarbeit – nicht zu vernachlässigen“, beschreibt Andrea Sallegger, BSc, MSc, Pflegedienstleiterin der Albert Schweitzer Klinik II und Albert Schweitzer Hospiz, den Ansatz. Als Projektleiterin begleitet sie die Implementierung und laufende Adaptierung des Konzeptes im Bereich Akutgeriatrie und Remobilisation in der Grazer Albert Schweitzer Klinik.
Primary Nursing ermöglicht den einzelnen Pflegefachkräften, auf der Handlungsebene den Prozess der pflegerischen Versorgung neu und individuell zu gestalten. Damit werden alle weiteren auf den Patienten bezogenen Prozesse beeinflusst, denn im Zentrum aller organisatorischen Überlegungen steht die zu betreuende Person („Patient first“). Darüber hinaus trägt ­Primary Nursing durch die Orientierung am Menschen zur weiteren Professionalisierung der Pflege und zur höheren Mitarbeiterzufriedenheit bei.

Höhere Arbeitszufriedenheit

Dieses internationale Konzept wurde mit Unterstützung und nach Impulsgebung des Institutes für Pflegewissenschaft der Med Uni Graz zwischen 2012 und 2014 als Pilotprojekt im Bereich der Akutgeriatrie und Remobilisation mit insgesamt 100 Betten in interdisziplinären ­Arbeitsgruppen nach den Bedürfnissen des alten ­Menschen im PDCA – plan, do, act, check – Zyklus modifiziert. Ziele wurden definiert, wie die individualisierte pflegerische Versorgung, eine Verbesserung der Arbeitsabläufe oder die Verbesserung der Angehörigenarbeit zu gestalten ist.
Für die Aufgabenbereiche der Primary Nurse, Associate Nurse und Stationsleitung wurden entsprechende Stellenprofile definiert. Die Elemente von Primary Nursing „Verantwortung“, „Kontinuität“, „Direkte Kommunikation“ wurden mit allen Mitarbeitern gemeinsam erarbeitet und 2015 erfolgte eine systematische Evaluierung mittels des IzEP© (Instrument zur Erfassung von Pflegesystemen). „Die fünf Merkmale Pflegekonzeption, Arbeitsorganisation, Pflegeprozess, Kommunikation, Rollenverständnis wurden dabei ebenfalls untersucht und ergaben eine flächendeckend 74,5%ige Umsetzung von Primary Nursing in der Akutgeriatrie. Mit Primary Nursing ist sowohl die Zufriedenheit der Patienten als auch die der Mitarbeiter deutlich gestiegen“, betont Sallegger.n

 

Im Gespräch: Andrea Sallegger

Welche Ziele wurden mit dem Projekt konkret verfolgt?
Im Mittelpunkt standen die Steigerung der Patienten- und Mitarbeiterzufriedenheit, die individualisierte pflegerische Versorgung, die Verbesserung der Arbeitsabläufe, die Optimierung der Informationsflüsse im interdisziplinären Team und die Verbesserung der Angehörigenarbeit. Letztendlich führt das zu einem zunehmenden Bewusstsein bei den Pflegekräften, dass sie dem Patienten gegenüber für die Pflege verantwortlich sind.
Welche Herausforderungen brachte das Konzept auf der Management-Ebene?

Die Veränderung betraf sehr viele Professionen, allein in der Pflege galt es, über 65 Mitarbeiter zu sensibilisieren und im Sinne des Change Managements eine nachhaltige Änderung von Handlungs- und Kooperationsmustern zu erwirken. PN betrifft darüber hinaus nicht nur die Pflege, sondern das gesamte interdisziplinäre Team, da Informationsflüsse, ärztliche Visiten, interdisziplinäre Besprechungen etc. neu strukturiert wurden. Neben der Sensibilisierung und Wissensvermittlung wurde dieses Projekt in der Balanced Score Card und in weiterer Folge in den Jahreszielvereinbarungsgesprächen der Pflegedienstleitung und Stationsleitungen verankert.