Moderne Supermärkte machen es vor: Die Zahl der unterschiedlichen Produkte steigt rasant an – ordinäre Kartoffelchips gibt es mittlerweile in mehr als zehn verschiedenen Geschmacksrichtungen und selbst Taschentücher sind in nicht enden wollenden Design- und Duftnoten erhältlich, die Zahl der Zahnpastamarken hat sich in den letzten 20 Jahren etwa verfünffacht – ganz zu schweigen von der Qual der Wahl des richtigen TV-Senders – und der Markt an Frühstückszerealien ist unüberschaubar geworden. So gibt es etwa in den USA mittlerweile mehr als 200 verschiedene Sorten! Unterm Strich kaufen die Konsumenten dennoch selten Exotisches, eher Bewährtes und sind angesichts der zunehmenden Vielfalt auch nicht spendabler, geschweige denn zufriedener. Denn der Wert der enormen Produktvielfalt hat auch seinen Preis – und das ist nicht zuletzt mit ein Grund, warum auch im Gesundheitswesen eine Trendwende eingesetzt hat. Sowohl Medizinproduktehersteller als auch Krankenhäuser haben ihre Beschaffungspolitik grundlegend verändert. Zentralisieren und Standardisieren heißt das Gebot der Stunde, denn es muss gespart werden. Und das geht – sowohl auf Anbieter- als auch auf Nachfrageseite – nur dann, wenn möglichst viele gleichartige Produkte angeboten bzw. abgenommen werden.
Die stete Sortimentserweiterung von Unternehmern und Herstellern verdeutlicht, dass hohe Produktvielfalt für Unternehmen ein bedeutendes Marketinginstrument ist, um Kunden anzuziehen und zum Kauf zu motivieren. Gleichzeitig ist sowohl in der Praxis als auch in der Forschung eine intensiver werdende Diskussion der negativen Auswirkungen (über)großer Sortimente auf das Entscheidungsverhalten und die Zufriedenheit der Kunden zu beobachten.
Untersucht wurde von Kahn/Morales (2001), dass die Produktvielfalt zwei grundlegende Funktionen erfüllt: einerseits das Bedürfnis nach Abwechslung, das tendenziell in Produktkategorien beobachtet wird, in denen im Laufe der Zeit viele Entscheidungen zu treffen sind, die eher mit geringem Risiko verbunden sind, wobei eine hohe Vertrautheit mit den angebotenen Produkten vorhanden ist. Handelt es sich hingegen um einmalige oder seltene Käufe, steigt durch die Vielfalt die Chance, das Richtige dabei zu haben. Ein Hersteller, der eine hohe Anzahl an Produkten und Produktvarianten am Markt anbietet, setzt auf den Partizipationseffekt. Er eröffnet einem Unternehmen neue Märkte durch die Einführung zusätzlicher Produkte oder Produktvarianten, denn nur so gelingt es Käufer hinzuzugewinnen, die bislang Konkurrenzprodukte erworben oder gar keine Käufe in der jeweiligen Produktkategorie getätigt haben. Aus Sicht der Händler erfüllt hohe Produktvielfalt zwei wesentliche Funktionen: Zum einen wird dadurch die Sortimentskompetenz des Händlers betont und zum anderen die positive Wahrnehmung des Geschäftes gestärkt.
Hersteller und Händler erweitern demnach ihr Produktangebot, um neue Marktanteile zu gewinnen. Daher hat sich die Produktvielfalt in den letzten 20 bis 30 Jahren insbesondere bei Verbrauchs- und Gebrauchsgütern vervielfacht – nicht nur im Konsumgüterbereich, sondern auch im Sektor der medizinischen Verbrauchsprodukte.
Nicht nur Verwirrung und Überforderung angesichts der Vielfalt haben aufseiten der Konsumenten zu einem Umdenken geführt. Einkaufen wurde immer mehr zu einem “Decision-Making-Marathon”, der die Bereitschaft Entscheidungen zu treffen nicht gerade positiv beeinflusst hat und auch die Zufriedenheit mit Einkaufsentscheidungen ist nachweislich proportional zum wachsenden Angebot gesunken. Broniarczyk, Hoyer und McAlister (1998) haben die Folgen reduzierter Produktauswahl wissenschaftlich untersucht und dabei unter anderem festgestellt: Wenn Einzelhändler die in einer Produktkategorie angebotene Artikelzahl um 25% senken, führt das zu einer positiveren Einschätzung der angebotenen Auswahl und Vielfalt.
Seit die Kostendiskussion im Gesundheitswesen ihre Poleposition in der Gesundheitspolitik eingenommen hat und unverändert hält, wurden auch die Bereiche der Beschaffung und Logistik in vielen Krankenhäusern Zug um Zug verändert. Während früher eine Reihe von Mitarbeitern ihre Wünsche und Bestellungen an die Materialverwaltung abgeben konnten, sind es heute zentrale Gremien, die darüber entscheiden, was, wann und wie viel gekauft wird. Medizinproduktehersteller, die bislang möglichst breit aufgestellt waren – gemäß dem Motto “es wird schon was dabei sein, das passt” -, waren umso besser im Rennen, je mehr noch zusätzlich auf Sonderwünsche der Kunden eingegangen wurde. “Die Zeit, in der Ärzte oder OP-Schwestern Alleinentscheider waren, ist vorbei. Mit der Etablierung von Einkaufsabteilungen sind persönliche Vorlieben für oder gegen Produkte bzw. Hersteller deutlich in den Hintergrund getreten und der Preis sowie Zusatzleistungen als Entscheidungskriterien wichtig geworden”, weiß Christian Pree, MBA, Division Management B. Braun Austria GmbH und ehemals Leiter des Zentralbereichs Einkauf der Vinzenz Gruppe. Parallel zu den weiter sinkenden Budgets wurden schließlich die Einkaufsentscheidungen weiter zentralisiert. “Das war der Zeitpunkt, als dann auch erstmals die Sortimentsentscheidungen auf ihre Zusammensetzung hinterfragt wurden und eine Standardisierung des Angebots ins Spiel kam”, erklärt Pree. Der Grund liegt auf der Hand: je größer die gekaufte Menge, desto besser ist der preisliche Verhandlungsspielraum. Ein Argument, das auf beiden Seiten zieht – Hersteller können mengenoptimiert produzieren, Einkäufer preisoptimiert kaufen. An der Standardisierung von Produkten müssen Hersteller und Krankenhäuser gleichermaßen arbeiten, fraglich ist oft, wer beim berühmten Henne-Ei-Problem den Anfang macht. “Die Harmonisierung von Lieferanten in einer Krankenhausorganisation ist keine Arbeit von Wochen oder Monaten. Die Umstellung allein eines Verbrauchsproduktes kann einen Category Manager oder Leadbuyer mitunter Jahre beschäftigen”, weiß Pree aus Erfahrung und ergänzt: “In den meisten Häusern stehen wir da gerade erst am Anfang. Das Potenzial zu heben wird uns noch lange beschäftigen.”
Zuerst werden Lieferanten harmonisiert, danach die einzelnen Produkte. Der ökonomische Nutzen ist oft hoch, denn Kosten ergeben sich nicht nur durch den Einkaufspreis des Produktes, sondern auch durch das Handling. So kann etwa ein einzelner EDV-Bestellvorgang mit allen Arbeitsschritten, die dazu notwendig sind, zwischen 50 und 100 Euro an Kosten verursachen. Die Zahl der Vorgänge pro Lieferant zu reduzieren ist daher das Gebot der Stunde in vielen Einkaufsabteilungen. Erst wenn dieser Schritt erfolgt ist, kann auch eine Flurbereinigung auf dem Produktsektor erfolgen.
Auf Anbieterseite wollen Medizinprodukteunternehmen keinesfalls den Anschein erwecken, mit ihrer Reduktion der angebotenen Produktvielfalt ihrem Kunden nicht das Beste vom Besten zukommen zu lassen. “Die Angst ist aber unbegründet, denn je mehr die Unternehmen hier als Partner der Anwender agieren, umso besser kann eine Standardisierung durchgeführt werden und das Krankenhauspersonal fühlt sich nach wie vor bestens betreut”, ist Pree überzeugt. Schlanke Sortimente müssen demnach nicht gleichbedeutend mit weniger Service sein und bieten dennoch eine Win-win-Situation für beide Seiten, denn durch standardisierte Produktion, geringe Lagerhaltung und eine langfristige Gesamtplanung wird dem Spargedanken mehr denn je Rechnung getragen und die Lieferperformance der Medizinprodukteunternehmen weiter verbessert. Das zeigt aber auch, dass es nicht die Preise der Produkte sind, die wirklich Kostensparpotenziale eröffnen, sondern die Prozesse darum herum. “Studien aus anderen Ländern zeigen, dass eine Produktstandardisierung nicht notwendigerweise Kosten senkt. Wenn jeder Operateur sein Spezialprodukt einsetzen möchte und es gibt im Schnitt 40 Operateure, so sind das mitunter 40 verschiedene Prozesse. Das verursacht wirklich Kosten – nicht das Produkt, das dann schließlich zum Einsatz kommt”, gibt Pree zu bedenken. Ähnlich verhält es sich mit OP-Sets: Die Idee, zeit- und kosteneffiziente, standardisierte Packages für bestimmte Eingriffe zur Verfügung zu stellen, besticht auf den ersten Blick. Zu hinterfragen ist aber, wann und wo diese Sets, die wenig Vielfalt erlauben, sinnvollerweise eingesetzt werden. Sets bewähren sich dann, wenn Personalressourcen knapp sind, wie etwa in der Nacht. Auch hier gilt: zuerst den Prozess analysieren und dann auf Produktebene standardisieren.
Allein den Produktpreis zu drücken heißt wohl die Pferde von der falschen Seite zu satteln, auch wenn die Industrie nach wie vor bemüht ist, hier ein kooperativer Partner zu sein. Doch Hersteller kommen, insbesondere aufgrund der Verteuerung der Rohstoffkosten, langsam an die Grenze des Machbaren. Zusätzliche Services, die mit angeboten werden, stoßen nicht immer auf Interesse, denn auch sie wirken sich nicht unterm Strich rasch auf den Preis aus, sondern spielen ihre Vorteile mittel- bis langfristig in einer Prozessverbesserung aus. Das setzt aber voraus, dass Kunden ihre Prozesse kennen, um auch Verbesserungen monetär beurteilen zu können …