„Im Zweifel immer reanimieren“ ist ein Grundsatz in der Reanimationslehre, die Realität stellt sich Rettungsmannschaften aber häufig nicht so einfach dar. Oft werden sie zu Situationen gerufen, in denen ein Mensch aufgrund seines hohen Alters oder einer Erkrankung am Ende seines Lebens steht oder keine Reanimation und Intensivmedizin wünscht. Dann ist der Zeitpunkt gekommen, an dem anstelle des Rechts auf Heilbehandlung das Recht auf würdevollen Tod tritt. Eine Reanimation sollte in diesem Fall erst gar nicht begonnen oder auch beendet werden, wenn die notwendige Information erst im Verlauf des Wiederbelebungsversuchs zur Verfügung steht.
Auch bei Menschen, die nicht am Ende ihres Lebens stehen, die aber aufgrund der Umstände oder der Dauer des Kreislaufstillstands keine Chance mehr haben zu überleben, ist eine Reanimation ethisch nicht vertretbar. Die Aussichtslosigkeit in der Medizin wird durch den Begriff „medical futility“ definiert, der nach den ethischen Richtlinien des Weltärztebundes als eine Heilbehandlung definiert wird, die „keine begründete Hoffnung auf Genesung oder Besserung bietet oder aus welcher der Patient auf Dauer außer Stande ist, irgendeinen Nutzen zu ziehen“. Im Fall der Reanimation muss die Entscheidung für oder gegen eine Behandlung durch den Arzt, in manchen Ländern auch durch die nicht ärztlichen Mitglieder einer Rettungsmannschaft getroffen werden. Gibt es nun allgemeingültige Kriterien, die dem Rettungsteam im prähospitalen Bereich Anhaltspunkte auf „medical futility“ einer Reanimation geben und als Basis dienen könnten, eine Übertherapie zu vermeiden?
Eine der progressivsten Positionen zur Verhinderung einer Übertherapie in der Reanimation vertritt Finnland. Hier ist es den Rettungsmannschaften per lokaler Richtlinie, die auf Studienergebnissen beruht, erlaubt, von Reanimationsmaßnahmen abzusehen, wenn der Kreislaufstillstand unbeobachtet war und eine Asystolie als Erstrhythmus vorliegt. Eine genaue Überprüfung der Definition von „unbeobachtet“ und mögliche reversible Ursachen wie eine Hypothermie oder Intoxikation müssen dabei aber immer berücksichtigt werden. Die American Heart Association gibt sich hier wesentlich zurückhaltender, führt lediglich drei allgemeine Gründe an, wann eine Reanimation nicht begonnen werden sollte:
Die zwei Beispiele zeigen, dass medizinisch-ethische Richtlinien sehr von lokalen ethischen Grundsätzen, aber auch der Zusammensetzung und vom Ausbildungsstand der Rettungsmannschaft abhängen.
In vielen Ländern ohne Notarzt im Rettungsteam werden alle Patienten mit Kreislaufstillstand nach oder unter Reanimation ins Krankenhaus gebracht. Der Anteil der unter Reanimation ins Krankenhaus transportierten Patienten, die dann unmittelbar im Krankenhaus versterben, ist dementsprechend hoch. In den letzten Jahren wurden daher für den prähospitalen Bereich Kriterien entwickelt, die eine Grundlage liefern sollten, so rasch wie möglich nach Beginn der Reanimation zu erkennen, wann die Wiederbelebungsversuche keinen Sinn mehr machen und abgebrochen werden können. Die Universal Basic Life Support (BLS) Termination of Resuscitation (ToR)-Kriterien für Rettungsmannschaften ohne Notarzt wurden aus Beobachtungsstudien entwickelt und in Folge mehrmals validiert. Sie sind auch in den ethischen Teilen der Reanimationsleitlinien der American Heart Association (AHA) zu finden und werden sowohl für die Basisreanimation als auch für erweiterte Reanimationsmaßnahmen empfohlen. Sie umfassen folgende Kriterien:
Grunau et al. konnten in einer rezenten Beobachtungsstudie mit über 4.000 Patienten zeigen, dass 98 % der Patienten, auf die alle diese Kriterien zutrafen, nach Aufnahme im Krankenhaus verstarben. Die Studienautoren zeigten darüber hinaus, dass sich dieser positive Vorhersagewert auf 99.8 % erhöhte, wenn man die ToR-Kriterien nach 30 Minuten, statt nach drei bis sechs Minuten erfolgloser Reanimation evaluierte. Der positive Vorhersagewert der ToR-Kriterien für Sterblichkeit liegt im Vergleich mit anderen diagnostischen Tests sehr hoch. Das muss er auch, schließlich möchte man auf keinen Fall eine Reanimation bei Patienten mit einer realen Überlebenschance beenden. Umfragen haben ergeben, dass für die meisten Notfallmediziner ein prognostischer Test einen positiven Vorhersagewert für Sterblichkeit von mindestens 99.5 % haben sollte. Diese Vorgabe scheint man mit einer Evaluation der ToR-Kriterien nach einer Reanimationsdauer von 30 Minuten erfüllen zu können.
Viele Angehörige haben den Wunsch, bei der Reanimation ihres Verwandten dabei zu sein. Diesem Wunsch wird in vielen Ländern entsprochen, wenn es möglich ist, dass die Angehörigen durch eine qualifizierte Person während der Reanimation begleitet werden. Was in diesem Zusammenhang unbedingt vermieden werden sollte, ist, eine Reanimation aus Rücksicht auf die Angehörigen unnötig zu verlängern. Einerseits ist es dem Patienten gegenüber unethisch, andererseits auch für die Verwandten nicht hilfreich. So gibt es Hinweise, dass Angehörige den Verlust eines nahestehenden Menschen besser bewältigen, wenn seine aussichtslose Reanimation gar nicht begonnen oder vor Aufnahme im Krankenhaus beendet wird. Neben der Diskussion über die Beendigung der Reanimation stellt sich die Frage nach der Aufrechterhaltung des Kreislaufes als Organprotektion im Hinblick auf eine eventuelle Organspende, was aber aufgrund der Komplexität des Themas nicht Gegenstand dieses Artikels ist.
Die Entscheidung, eine Reanimation gar nicht zu beginnen oder zu beenden, ist für den Notfallmediziner oft nicht so einfach zu treffen. Häufig fehlen in den ersten Momenten der Reanimation Informationen über den Patienten und den Hergang des Kreislaufstillstands. Mögliche reversible Ursachen lassen sich ohne weitere Diagnostik oft nicht gut einschätzen. Eine Entscheidung über Leben und Tod des Patienten ist prähospital mit den limitierten Ressourcen und unter hoher Belastung häufig nicht möglich. Bei Übernahme in der Notaufnahme oder auf der Intensivstation ist die Situation dann meist wesentlich klarer. Hier ist dann auch das weiterbetreuende Team aus Ärzten und Pflegern gefordert, gemeinsam mit dem Ersthelfer vor dem Hintergrund der persönlichen Situation des Patienten eine Entscheidung für oder gegen die Weiterführung der Therapie zu treffen, die der Würde und den Wünschen des Menschen, aber auch einer möglichen Aussicht auf gutes Überleben gerecht wird.