Schulterschluss

Wer in der Gesundheitspolitik, bei Stakeholdern oder auch am internationalen Parkett gehört werden will, hat im Verbund klar bessere Chancen – erst recht, wenn es um ein junges Feld wie digitale Gesundheitsanwendungen (DiGAs) geht. Im Frühjahr hat sich daher der Verband Digitale Gesundheitsversorgung Österreich – kurz Health Pioneers – formiert und will als Branchenverband die Interessen aller Hersteller von Digital-Health-Anwendungen in Österreich vertreten. Ziel ist es, die Förderung der digitalen Gesundheitsversorgung zu verbessern.
Die Etablierung der unabhängigen Interessensvertretung der österreichischen Digital-Health-Industrie ist aber nur der erste Schritt. Langfristig wollen die Gründer den innovativen und wirtschaftlich starken Industriezweig gemeinsam weiterentwickeln. Ein zentraler Aspekt ist die Repräsentation der österreichischen Digital-Health-Industrie gegenüber nationalen und internationalen Entscheidungsträgern und die Zusammenarbeit mit anderen Interessenverbänden der digitalen Gesundheitstechnologie-Industrie im In- und Ausland. Lukas Seper, hat die Health Pionieers mit auf den Weg gebracht und beschreibt die Herausforderungen, die Gründer – besonders im Bereich digitaler Gesundheitsanwendungen – in Österreich haben und welche Lösungen möglich sind.
Wie kam es zur Gründung der Health Pioneers?
Ich bin selbst Gründer eines Start-ups und hatte die „typischen“ Probleme, die Jungunternehmer in Österreich vorfinden. Die Wartezeiten bei administrativen Anforderungen sind lang und es ist schwierig, an Stakeholder heranzukommen. Noch schwieriger ist es, dann auch in absehbarer Zeit Zusagen zu erhalten oder klare Vereinbarungen zu treffen. Kurz gesagt: Für uns bewegt sich alles zu langsam, zu intransparent und zu unverbindlich. In so einer Situation sucht man sich Gleichgesinnte, um Erfahrungen auszutauschen. Eine Gruppe aus der Gründerszene im Gesundheitswesen hat bald festgestellt, dass wir nicht organisiert sind, und das ist ein Hindernis. So entstand die Idee, einen Branchenverband für Start-ups zu Gründen. Die Kriterien: Das Unternehmen ist jünger als zehn Jahre und beschäftigt sich mit der Digitalisierung der Gesundheitsversorgung.
Gibt es Vorbilder dazu?
Ja, in Deutschland gibt es den Spitzenverband Digitale Gesundheitsversorgung e.V. Er tritt als gemeinsame Stimme aller E-Health-Anbieter und Förderer in Deutschland an, vertritt seine Mitglieder gegenüber den anderen Partnern des Gesundheitssystems, der Politik und der Öffentlichkeit.
Wir haben in Österreich die AUSTROMED als Interessensvertretung der Medizinprodukte-Unternehmen. Wo gibt es hier Überschneidungen oder gemeinsame Themen?
Ich sehe die Health Pionieers keinesfalls als Konkurrenz. Wir widmen uns in erster Linie den Anliegen der Gründer und ihren Lebenswelten. In der AUSTROMED sind große, etablierte Unternehmen oder Konzernen Mitglieder, die ganz anderen Herausforderungen gegenüber stehen. Insofern ergänzen sich unsere Anliegen in vielen Bereichen. Unsere Schwerpunkte sind digitale Gesundheitslösungen sowie Arbeitsabläufe, die damit zusammen hängen. Da geht es oft gar nicht um Medizinprodukte. Daher sehe ich insgesamt Schnittmengen aber auch ganz eigene Themen.
Der Branchenverband ist von Digital-Health-Innovatoren getragen. Was genau verstehen Sie unter „Innovation“?
Innovation ist kein Selbstzweck. Eine Innovation – die Erfindung von neuartigen Produkten und Services – braucht Anwender, einen Markt und muss Mehrwert schaffen.
Es gibt mittlerweile unzählige Start-ups und Förderungen im Gesundheitswesen. Ist unsere Gesellschaft – vielleicht gerade durch die Krise – innovationsfreudiger geworden?
Im Gesundheitswesen gibt es viele Gründungen im Digitalsektor, weil er als großer Problemlöser für fast alles gesehen wird. Die Erwartungen an digitale Anwendungen sind hoch: Sie sollen das Versprechen auf Effizienzsteigerung, bessere Zugänge zu Information, bessere Steuerung von Patientenströmen auch erfüllen. Ehrlicherweise sind wir aber über weite Strecken noch sehr entfernt davon, dass sich digitale Gesundheitsanwendungen so auf die Versorgungsqualität auswirken.
Was kann der Berufsverband in diesem Zusammenhang leisten?
Es ist ähnlich wie im österreichischen Fußball: Wir haben zahlreiche Topspieler in der Jugend, aber der Sprung in die europäischen Profiligen und Topmannschaften ist die Herausforderung. Als Verband wollen wir vor allem Information and Education betreiben. Wir haben eine starke Grundlagenforschung und zahlreiche außeruniversitäre Institutionen, die ihre Produkte aber meist anderswo auf den Markt bringen. Die Transformation vom Wissen zum Umsetzen fehlt oftmals in Österreich, obwohl alle erforderlichen Bedingungen erfüllt wären. Wir haben beispielsweise eine der größten europäische Gesundheitskassen, die ÖGK, doch mir ist kein Innovationsprojekt mit Start-ups bekannt, das von der ÖGK auch unterstützt werden würde. Es liegt dabei nicht an einzelnen engagierten Menschen innerhalb der Institutionen, sondern am politischen Willen und den entsprechenden Strukturen.
Wer macht es besser?
Wir schauen gerne nach Finnland. Dort gibt es ein absolutes Grundvertrauen in die Institutionen und viele erfolgreiche Spin-offs. Gesundheitsdaten werden ohne Misstrauen der Forschung zur Verfügung gestellt und das Land hat eine absolut hochwertige datengetriebene Gesundheitsversorgung.
Wäre ein digitales Versorgungsgesetz, wie es Deutschland hat, eine Lösung?
Auf jeden Fall. Wir brauchen einen Rahmen, am besten gleich auf europäischer Ebene.
Die EU-Regulatorien für die Medizinprodukte-Branche (MDR und IVDR) werden immer wieder als großer Hemmschuh für Innovationen genannt. Wie sehen Sie das?
Die Währung eines Start-ups ist Vertrauen, daher sind diese Regulatorien absolut notwendig, damit wir uns überhaupt im Markt behaupten können. Seit wir mit XUND unser Produkt als Klasse 2a nach Medical Device Regulation zertifieren konnten, fragt uns niemand mehr ob, sondern nur mehr wo wir unser Produkt auf den Markt bringen wollen. Wir haben erst kürzlich ein Investment aus den USA bekommen, weil man in Übersee überzeugt war, dass wir und insbesondere europäische Digital-Health-Start-ups Qualität liefern. Wir denken aber diese Anforderungen von Anfang an mit und sind auch ein vergleichsweise kleines Unternehmen. Ich kann mir schon vorstellen, dass für große etablierte Player der Aufwand jetzt enorm ist. Da wird es unweigerlich zu einer Marktbereinigung kommen.
Was würden Sie sich wünschen?
Gebt den Start-ups Projekte und nicht einfach nur Fördergeld. Förderprojekte sind kein Anreiz für Investoren, die möchten skalierbare Ergebnisse sehen. Zudem haben wir enorm viele Pilotprojekte, die nie den Schritt in den Regelbetrieb schaffen. Wir brauchen – auch in der Politik – einen Schulterschluss mit einer klaren Strategie und einem langfristigen Budget, wenn sich an der Gesundheitsversorgung etwas ändern soll. Die Digitalisierung ist dann ein Teil davon. Es braucht eine gezielte Förderung für regulatorische Anforderungen wie die MDR und IVDR. Zertifizierungen sind teuer, da müssen alle in Vorleistung gehen und manche hochinnovativen Start-ups verhungern mangels Finanzierung auf der Reise dahin. Die Schaffung eines Innovationsfonds für Projekte zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung, wie zum Beispiel Heal Capital in Deutschland, der professionell geführt wird und nicht politisch besetzt ist, wäre wünschenswert.