DI (FH) Heinz Ringler ist stv. Leiter der Medizintechnik in der OÖ Gesundheitsholding GmbH. Er gibt Einblick, warum eine Mehrlieferanten- und Mehrprodukt-Strategie künftig in den Vordergrund rücken werden.
Was bedeutet Versorgungssicherheit im Gesundheitswesen für Sie in Ihrer beruflichen Funktion und welche Rolle spielen dabei Medizinprodukte?
Ringler: Versorgungssicherheit ist ein hohes Ziel, das aus Sicht eines großen Spitalsträgers unbedingt angestrebt werden muss. Eine 100-Prozent-Garantie dafür kann es aber seriöser Weise nicht geben, wie man gerade in der aktuellen Pandemie sieht. Medizinprodukte spielen dabei eine besonders wichtige Rolle, da sie für das Funktionieren der medizinischen Versorgung unerlässlich sind.
Sind durch die Pandemie neue Aspekte hinzugekommen oder in den Vordergrund gerückt?
Die Krise zeigte uns klar und deutlich auf, dass alles, was man nicht auf Lager liegen hat, nicht ad hoc verfügbar ist. Zur Veranschaulichung ein konkretes Beispiel: Beatmungsgeräte mussten zur Deckung der akuten Bedarfssituation aufgestockt werden. Drei der im Unternehmen präsenten Hersteller teilten uns sofort mit, nicht termingerecht liefern zu können. Nur einer garantierte einen für uns akzeptablen Liefertermin. Nach ein paar Wochen war jedoch klar, dass auch dieser den Liefertermin immer wieder nach hinten verschob. Um solche Fälle zu berücksichtigen, müssen zukünftig noch gezielter Mehrlieferanten- und Mehrprodukt-Strategien verfolgt werden.
Das ist einerseits produktabhängig und – wie uns Corona zeigte – auch von der Steuerbarkeit von außerhalb des Krankenhauses. Wenn also Beatmungsgeräte innerhalb von den marktüblichen Lieferzeiten von ca. sechs Wochen geliefert werden, dann kann man von Versorgungssicherheit sprechen. Wenn vier Monate auf die erste Teillieferung gewartet werden muss, dann können nur mehr übergeordnete Maßnahmen helfen, die den Anstieg der beatmungspflichtigen Patienten stoppen oder sogar wieder sinken lassen. Jedenfalls darf der Patient kein Versorgungsdefizit bei Medizinprodukten aller Art während seiner Zeit im Klinikum erleiden. Im Falle einer Katastrophensituation kann man aber auch einmal mit einem Narkosegerät beatmen, um das Überleben sicherzustellen.
Ich sehe mich als Schnittstelle, Troubleshooter und biete Lösungen an. Schnellstmöglich müssen bekannt gewordene Probleme gelöst werden. Am Beispiel der Beatmungsgeräte stellten sich folgende Fragen: Erstens, welche Geräte haben wir noch, die geeignet sind zum Beatmen? Oder zweitens, gibt es ausgeschiedene, reparaturbedürftige Beatmungsgeräte vor Ort, die nach dem Prinzip „aus 5 mach 3 funktionsfähige“ instandgesetzt werden können?
In Teamarbeit mit den Medizintechnik-Leitern aller unserer Spitalsstandorte konnten da die besten Ideen generiert und umgesetzt werden. Dies ist sehr wichtig gewesen bei der Erweiterung der ICU-Kapazitäten, speziell bei denen, die aus normalen Bettenstationen entstanden sind. Typische Ausstattungen einer ICU mussten behelfsmäßig aus dem Vorhandenen hergestellt werden.
Wünschen würde ich mir hier, dass das Medizinproduktegesetz (MPG) im Krisenfall nachsichtiger ist, da man entsprechend den geltenden Regelungen mit Eigenleistungen bei Adaptierungen von Medizinprodukten selbst zum Hersteller wird. Das neue MPG 2021 geht im Abschnitt 14 § 82 auf Krisensituationen ein, aber eine Ergänzung, wonach eine Eigenherstellung unter Wahrung des Schutzes des Lebens und der Gesundheit von Patienten geregelt wäre, fehlt noch.
Die Geschäftsführung unseres Unternehmens war während der gesamten Krise in viele Prozesse involviert und bekam hautnah mit, wo das Nadelöhr ist. Es gibt daher jetzt einen gemeinsamen Schulterschluss zum Thema Lagerhaltung bzw. ein Zentrallager für alle OÖ-Kliniken. Die Herausforderung wird sein, das wirtschaftliche Maß an Bevorratung der richtigen Güter zu finden. Dieses Mal waren es Schutzkleidungen, Masken, Beatmungsgeräte, extrakorporale Kreislaufunterstützungsgeräte (ECMO) usw. Das nächste Mal könnte das vulnerabelste Organ anstatt der Lunge zum Beispiel die Niere sein und es geht dann um Akut-Dialysegeräte. Man kann nicht alles auf Verdacht hin bevorraten. Die Geräte müssten ebenso einer Wartung im Lager unterzogen werden, ansonsten wäre ein Einsatz im Bedarfsfall wiederum nicht zu garantieren.
Wir können das nur gemeinsam mit den Herstellern der Medizinprodukte stemmen. Die Hersteller müssen mehr Zulieferware auf Lager haben. Mit Just-in-time-Lieferketten kann die Versorgungssicherheit nicht hergestellt werden. Ebenso, wie bereits angesprochen, ist es notwendig, mehr Lagerkapazität auf unserer Seite zu generieren, dann haben wir den notwendigen Puffer für den Krisenfall.
Man muss dafür Geld in die Hand nehmen, aber jeder ins Gesundheitswesen investierte Euro kommt über kurz oder lang auch wieder der Allgemeinheit zugute. Eine aufgrund der aktuell gemachten Erfahrung alles in Betracht ziehende Gesamtkostenrechnung würde aus meiner Sicht rechtfertigen, wieder vermehrt Medizinprodukte in Europa herzustellen. Ich bin mir sicher, dass sich das rechnet! Bisher war der Faktor Versorgungssicherheit nicht im Rechenmodell integriert. 9/11, Pandemien, ein querstehendes Schiff im Suezkanal usw. dürfen nicht der Grund sein, dass die Versorgungssicherheit von lebensrettenden Medizinprodukten in Europa leidet. Wir müssen wieder mehr auf den Produktionsstandort Europa Wert legen.
Wir könnten bestimmte versorgungskritische Geräte im Zuge von Neu-Investitionen weiter auf Lager legen, anstatt sie einer Ausscheidung zuzuführen. Im Krisenfall ist es besser, alte Geräte wieder „fit to use“ zu machen, als gar keine zu haben. Derzeit reichen die Lagerkapazitäten dafür allerdings nicht aus. Bauprojekte müssen diesem Umstand in Zukunft Rechnung tragen. Ich halte was davon, wenn dies vor Ort in jeder Klinik passiert, denn die Medizintechniker kennen ihre Geräte genau und wissen, wie sie schnell wieder einsatzfähig zu machen sind. Wenn alle Altgeräte in ein zentrales Lager gehen, verlieren wir diesen notwendigen Bezug und können das nicht mehr sicherstellen.
Mein Zeithorizont ist hier großzügiger, aber vielleicht gibt es zumindest schon einen Plan einer Lagerhalle in zentraler Lage von OÖ. Aber innerhalb eines Jahres wäre schön, wenn es der Wissenschaft gelingt, einen Art „Universal-Impfstoff“ gegen Corona zu entwickeln, der gegen alle noch kommenden Mutationen wirkt.