Österreich hat Unternehmen einiges zu bieten: Neben der Erfahrung auf den Wachstumsmärkten Osteuropas gibt es etwa eine gut entwickelte Infrastruktur und ein stabiles politisches System. Rund 2.800 technologieorientierte Forschungs- und Entwicklungs (F&E)-Institute sowie 60 Centers of Excellence, die international auf ihrem Gebiet führend sind, verbinden die Anliegen der Wirtschaft mit dem Know-how der Wissenschaft. Und doch sehen die Medizinprodukte-Unternehmen nicht nur Vorteile am Standort Österreich. Nach Angaben einer Studie des Industriewissenschaftlichen Instituts orten die befragten Betriebe einen hohen bis sehr hohen – und nicht immer nur positiven – Einfluss auf ihre Wettbewerbsfähigkeit in den Bereichen Gesundheitssystem (94,5 %), bei der Refundierung (88,9 %), der Gesetzgebung (83,3 %) sowie bei der Vergabepraxis bei öffentlichen Aufträgen (81,5 %). Auch technische Anforderungen durch Sicherheitsvorschriften und Standards beeinflussen einen Großteil der Befragten (61,1 %). Vor dem Hintergrund einer starken Abhängigkeit von Vergütungsregeln und dem historisch gewachsenen Erstattungssystem ist es nicht immer leicht, mit innovativen Produkten erfolgreich auf dem Markt zu punkten.
Und das, obwohl die Medizinprodukte-Branche breit aufgestellt ist: Rund 500.000 unterschiedliche Produkte sind täglich in der Prävention, Diagnostik und Behandlung oder Rehabilitation im Einsatz und ermöglichen eine hochwertige Patientenversorgung. Dass Innovation nicht bei allen Produkten und Dienstleistungen der Branche gleich aussehen kann, liegt daher auf der Hand. „Grundsätzlich gilt es zu unterscheiden, ob es sich um Innovationen für das Gesundheitssystem, also die Anwender und Betroffenen, handelt, oder ob wir von Innovationen für das Unternehmen sprechen. Auch muss eine Innovation nicht immer der große Wurf sein, schon die Veränderung einer Verpackung kann innovativ sein“, bringt DDr. Herwig Schneider, Geschäftsführer des Industriewissenschaftlichen Instituts, die Bandbreite des Themas auf den Punkt. Unternehmensextern sind Faktoren wie Kooperationspartner oder Netzwerke von Bedeutung, die gepflegt werden wollen. Unternehmensintern sind es traditionelle Strukturen, die mit neuen Entwicklungen Schritt halten müssen. „Aktuell ist das zum Beispiel die Digitialisierungskompetenz, mit der in Unternehmen Strukturkapital aufgebaut und innovatorisches Potenzial genutzt werden kann“, sagt Schneider. Innovationen managen heißt das Gebot der Stunde, denn: „In den Betrieben ist enormes
Wissen vorhanden. Jetzt gilt es, diesen Pool anzuzapfen, Mitarbeiter teilhaben zu lassen und den Prozess in die richtigen Bahnen zu lenken. Denn Innovation ist kein Produkt aus einem vorgegebenen Prozess, sondern ein Ergebnis, das sich aus vielen Ideen der Mitarbeiter ergibt, die sich an diesem Prozess mehr oder weniger engagiert beteiligen.“
Was einfach klingt, ist in der Praxis durchaus herausfordernd und umfassend: Innovationsmanagement als systematische Planung, Steuerung und Kontrolle geht weiter über ein paar kreative Ideen hinaus. Sie beschäftigt sich nicht nur mit der Entwicklung von guten Ideen, sondern arbeitet zielgerichtet auf die Verwertung und Umsetzung in wirtschaftlich erfolgreiche Produkte und Dienstleistungen hin. „Dienstleistungen sind gerade in der Medizinprodukte-Branche das Stichwort. Gesamtlösungen für die Praxis sind gefragt, und das erfordert auch organisatorische Lösungen aufseiten der Anbieter“, betont Schneider.
Was in Zukunft passieren wird, war nie vorhersehbar, doch verschärft sich dieser Umstand aktuell dadurch, dass die Innovationszyklen immer kürzer werden und der internationale Wettbewerb zugenommen hat. Was heute noch als gute Lösung gilt, kann sich morgen bereits überholt haben. Ein Ausruhen auf einmal erreichten Lorbeeren ist nicht mehr möglich. „Gesundheitsbetrieben ist das sehr wohl bewusst und ihre Anstrengungen sind groß. Dabei gibt es noch eine Reihe zusätzlicher Hürden, die in anderen Branchen weniger stark ausgeprägt sind. Dazu zählt etwa der sehr stark reglementierte Markt, der die Gesetze der herkömmlichen Innovationsökonomie nahezu außer Kraft setzt“, erklärt der Experte. Doch genau hier sieht er die Chancen für die heimischen Betriebe, auch in Zukunft im Wettbewerb die Nase vorne zu haben: „Ja, die Spielregeln sind hart, aber die heimischen Unternehmen sind Musterschüler, wenn es darum geht, enge Spielräume für sich gut zu nutzen“, ist Schneider überzeugt. Dennoch plädiert er dafür, dass bei aller Härte der Wettbewerb weiterhin fair bleiben muss, etwa bei Ausschreibungen.
Nicht nur auf betrieblicher Ebene muss Innovation organisatorisch passend verankert sein, um erfolgreich zu sein. Auch auf politischer Ebene braucht es Strukturen, die Neues fördern. Das muss nicht immer in Form höherer ökonomischer Anreize sein, oft geht es einfach darum, vorhandene Spielräume zu lockern und Neues einfach zuzulassen. „Es macht Sinn, nicht für, sondern mit Unternehmen innovativ zu sein, und gerade das Gesundheitswesen ist prädestiniert dafür, auch anderen Branchen neue Impulse zu geben, etwa der Kunststoffindustrie, der IT oder der Medizintechnik. Wenn jeder tut, was er gut kann, und wir das auf makroökonomischer Ebene vernetzen, haben alle Vorteile“, ist Schneider überzeugt.
Was innovativ ist, ist nicht immer offensichtlich, sondern wird im Wechselspiel von vergangener Erfahrung und künftiger Erwartung bestimmt. Dazu braucht es eine Innovationskultur, die in Österreich im Hinblick auf die „kontinuierliche Verbesserung“ besonders ausgeprägt ist. Die heimischen Betriebe sind wahre Meister im Aufnehmen von Signalen ihrer Kunden und der Übersetzung dieser Wünsche in marktfähige Angebote. Aufgrund der klein- und mittelständischen Struktur fehlt es aber an der Chance zu radikalen Innovationsstrukturen. Und schließlich macht es die Innovationsneigung der Bevölkerung nicht einfacher, die Fehler nie verzeiht. Doch auch hier sieht Schneider Licht am Horizont: „Ein Format wie die PULS 4 Startup-Show 2 Minuten 2 Millionen wäre vor einigen Jahren in Österreich noch undenkbar gewesen. Ich habe den Eindruck, dass sich das Forschungs- und Innovationsverständnis entwickelt, auch wenn die Anerkennung und Wertschätzung für diesen harten Arbeitsprozess oft noch fehlt.“
In Zeiten disruptiver Veränderungen durch Digitalisierung fordern wir für das Gesundheitswesen: „Raus aus der Raunzerzone und rein in den Silikon Valley Spirit“. Auch hier sind nicht alle Start-ups automatisch erfolgreich, aber es geht um das „Begreifen von Arbeit“. Spannung, Inspiration, Mut und ein unerschütterlicher Glaubeprägen diese „Play-forward-Kultur“. Denn nur wer aktiv etwas ausprobieren kann, Lösungen sucht und verwirft, dabei gewinnen, aber auch scheitern darf, wird sich entwickeln!