„Wir brauchen einen institutionenübergreifenden Gesundheitsversorgungsgipfel mit allen Stakeholdern, um die Fülle von Baustellen im österreichischen Gesundheitssystem zu beseitigen“, ist Dr. Johannes Steinhart, Obmann der Bundeskurie niedergelassene Ärzte und Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer überzeugt und weiter: „Daher soll auch der Gipfel so lange dauern, bis die wesentlichen Fragen konsensuell beantwortet sind.“ Eine mutige Forderung angesichts der langen Entscheidungshorizonte, die heimische Politiker in vielen Fragen an den Tag legen. Als eine der größten Baustellen nennt Steinhart die Folgen des Krankenanstalten-Arbeitszeitgesetzes. „Ein konstant hohes Arbeitsaufkommen bei gleichzeitiger Reduktion ärztlicher Arbeitszeit ist nur zu bewältigen, wenn auch die Mitarbeiterzahl aufgestockt wird. Aber Personalabbau, De-facto-Aufnahmestopps und Überstundenverbote verschärfen die Lage noch“, so Steinhart.
Wer Spitalsleistungen zurückfährt, erhöht den Zulauf zu den Ordinationen. „Ambulanzentlastung durch Verlagerung von Leistungen in den niedergelassenen Bereich ist eine Kernforderung der Ärztekammer – aber das kann nicht ohne Investitionen und Reformen umgesetzt werden“, ist sich der Ärztekammervertreter sicher. Die Forderung der ÖÄK nach 1.400 zusätzlichen Kassenstellen zielt darauf ab, obwohl damit erst lediglich das Niveau von vor 17 Jahren wieder erreicht wird, aber noch keine substanziellen Verbesserungen eingetreten sind. Dazu kommt die künstliche Verknappung von Ressourcen durch Deckelungen und Degressionen.
Dass ein solches System überhaupt noch funktioniere, sei zu einem guten Teil den Wahlärzten zu verdanken, deren Zahl in den vergangenen zehn Jahren auf zuletzt 9.790 angestiegen sei. „Die Politik leistet sich also ein für Ärzte denkbar unattraktives System und das, obwohl auch Österreich massiv von Ärztemigration und Ärztemangel betroffen ist“, weiß der Mediziner. Die Zahl der Humanmedizin-Absolventen ist von 2003 auf 2015 nicht gestiegen, der Anteil ausländischer Studierender hat sich hingegen mehr als verfünffacht. Das heißt, dass ein wesentlicher Teil der Medizinstudenten nicht als Arzt in Österreich arbeiten wird. „Hier müssen die Bildungspolitiker rasch gegensteuern, und zwar gemeinsam mit der Gesundheitspolitik, die gleichzeitig für bessere Arbeitsbedingungen sorgen muss, damit möglichst viele Jungmediziner im Land bleiben“, forderte der ÖÄK-Vizepräsident.
In Sachen Primärversorgungsgesetz hält Steinhart fest: „Der Entwurf ist für uns Ärzte inakzeptabel, weil das einzige Ziel die Aushebelung des Gesamtvertrags, also des Kollektivvertrags zwischen Kammer und Sozialversicherung zu sein scheint.“ Weiters erinnerte er an den „Kostendämpfungspfad“ im Zuge der Gesundheitsreform 2013: „Angesichts der schwachen Konjunktur, der wachsenden Bevölkerung und der neuen medizinischen Möglichkeiten kann die Orientierung am BIP nur auf massive Leistungseinschränkungen hinauslaufen.“