Stabilität ist nicht selbstverständlich

Die Rahmenbedingungen scheinen auf den ersten Blick gut: Strenge regulatorische Anforderungen schützen etablierte Unternehmen vor kurzfristigem Wettbewerb durch neue Marktteilnehmer. Gleichzeitig fördern sie Innovationen mit hohen Qualitätsstandards, was Vertrauen bei Gesundheitseinrichtungen sowie Patientinnen und Patienten schafft. Die Branche investiert stark in Forschung und Entwicklung, wodurch regelmäßig neue Produkte auf den Markt kommen und mit innovativen Lösungen Effizienzpotenziale gehoben werden. Viele Medizinprodukte-Unternehmen sind international tätig und können wirtschaftliche Schwankungen in einzelnen Regionen ausgleichen. Alles in allem klingt das nach einer erfreulichen Entwicklung – warum die Lage dennoch angespannt ist und die Krisenfestigkeit der Medizinprodukte-Branche immer wieder aufs Neue auf die Probe gestellt wird, beschreiben AUSTROMED-Präsident Gerald Gschlössl und Mag. Philipp Lindinger, Geschäftsführer der Interessensvertretung der Medizinprodukte-Unternehmen.

Wie widerstandsfähig ist die Medizinprodukte-Branche gegenüber Krisen?
Gschlössl: Die Medizinprodukte-Branche gilt als resilient, weil sie bisher einer Reihe an wirtschaftlichen, technologischen und gesellschaftlichen Herausforderungen sehr gut standhält. Der wichtigste Grund für diese Widerstandsfähigkeit ist eine konstante Nachfrage, denn Gesundheitseinrichtungen sind auf einem langfristigen Betrieb aufgebaut. Damit sind die Kundenstruktur und die Finanzierung über die Krankenversicherungen stabil und das Geschäft gut planbar.

Das klingt sehr erfreulich und so, als gäbe es wenig Verbesserungspotenzial, oder doch?
Gschlössl: Die vielen Vorteile haben leider genauso viele Nachteile. Aktuell ist im Gesundheitssystem die Finanzlage besonders angespannt und das beeinträchtigt die Resilienz. Der Österreichischen Gesundheitskasse haben im Vorjahr 400 Millionen Euro gefehlt. Für heuer wurde ein Fehlbetrag von 800 Millionen Euro veranschlagt. Das wirkt sich direkt auf unsere Branche aus, denn die Kassen sparen und das bekommen wir direkt zu spüren, ohne darauf Einfluss zu haben. Die Erträge sinken und wir als Unternehmen sind gefordert, Sparpotenziale zu heben. Das wird sich möglicherweise in einer Reduktion von Arbeitsplätzen auswirken, kann aber auch zulasten der Versorgung für die Versicherten gehen. Beides ist für den Wirtschaftsstandort Österreich nicht von Vorteil.

Welche Bedeutung haben in diesem Zusammenhang Innovationen?
Gschlössl: Der Kostendruck bei den Krankenhausträgern seitens der Politik ist so hoch, dass Innovation nicht zugelassen wird. Innovationen sollen helfen, Prozesse und die Versorgung effizienter zu machen. Doch neue Produkte haben auch ihren Preis und wenn Medizinprodukte-Unternehmen Innovationen in die Erstattung bringen wollen, müssen diese maximal gleichpreisig oder „aufwandsneutral“ bleiben. Das ist natürlich schwierig, denn die Entwicklung von Innovationen kostet Geld und eine Verbesserung der solidarischen Gesundheitsversorgung kann nicht allein auf die Unternehmen übergewälzt werden.

Welche Lösung sehen Sie hier?
Gschlössl: Es braucht eine bessere Sicht auf die Gesamtsituation in Österreich. Die stets geforderte sektorenübergreifende Denkweise muss hergestellt werden, damit man Potenziale für neue Prozesse oder Innovationslücken überhaupt erkennen kann. Eine Reihe an Verbesserungsmaßnahmen könnte die Digitalisierung bringen, die aber auch nur funktionieren kann, wenn sie für alle Gesundheitsanbieter und Leistungsempfängerinnen und -empfänger gleichermaßen vorangetrieben wird. Es macht keinen Sinn, den intra- und extramuralen Sektor getrennt zu betrachten und Lösungen zu entwickeln, die von den Userinnen und Usern nicht angenommen werden. Das ist weder effizient noch innovativ. Zum Beispiel bei Ausschreibunge: Wird nach dem billigsten Produkt gesucht, wird das Risiko der Liefersicherheit an die Unternehmen ausgelagert.
Lindinger: EU-weit, aber auch in Österreich wird auf höchster politischer Ebene ein Bürokratieabbau gefordert. Es zahlt sich aus, zu analysieren, wo es tatsächlich Effizienzpotenziale gibt, damit auch das Thema der Resilienz ernst genommen werden kann. Wenn Medizinprodukte-Unternehmen nicht mehr resilient sind, dann wird das die gesamte Gesundheitsbranche treffen und am Ende auch die Versorgungssicherheit gefährden.

Die Kompetenzverteilung zwischen Bund, Ländern und Kassen im Gesundheitswesen ist schon seit Jahrzehnten in Diskussion. Wie realistisch ist eine Veränderung?
Gschlössl: Aus der Erfahrung wissen wir, dass es wenig Bewegung gibt, wenn es allen gut geht. Aktuell ist die Finanzlage angespannt und wenn es eng wird, werden Menschen kreativ und zeigen Veränderungsbereitschaft. Wilfried Haslauer, Vorsitzender der Landeshauptleutekonferenz, hat erst kürzlich gefordert, dass die nächsten vier Jahre bis zum nächsten Finanzausgleich intensiv dafür genutzt werden müssen, diese Kompetenzverteilung zu hinterfragen, denn veränderte Zeiten erfordern auch, dass die Zuständigkeiten von Bund, Ländern und Gemeinden überdacht werden müssen, ob sie noch zeitgemäß sind – im Sinne der Steuerzahlenden und der Patientinnen und Patienten.

Wie weit kann die Medizinprodukte-Branche Lösungen anbieten?
Lindinger: Von der Branche werden Preissenkungen erwartet, das ist aber bei einer Erhöhung der Löhne innerhalb der letzten drei Jahre um 15 % nicht realistisch. Neben den Personalkosten hat sich eine Reihe an Rahmenbedingungen verändert: Das gesamte Regulierungssystem ist um ein Vielfaches gewachsen. Die Zertifizierung von Medizinprodukten ist mit den EU-Verordnungen über Medizinprodukte und In-vitro-Diagnostika wesentlich komplexer geworden, darüber hinaus gibt es Regulierungen zu Querschnittsmaterien wie Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Datenschutz, Cybersecurity, HTA und vieles andere mehr. Unternehmen müssen das alles gleichzeitig umsetzen. Gerade für Klein- und Mittelbetriebe kann das die Belastungsgrenze überschreiten.
Auf der einen Seite wünschen sich die Beschaffenden, dass die Branche kostengünstige Produkte anbietet, auf der anderen Seite werden wir von den Regierungen national wie supernational permanent mit neuen Aufgaben betraut. Das trifft zwar auch andere Branchen, aber im Gesundheitswesen haben wir ein Regulierungssystem, das undurchsichtig, ineffizient und überschießend ist und damit enorme Kosten verursacht.

Wer ist jetzt gefordert, lösungsorientierte Angebote zu machen?
Gschlössl: Tatsächlich alle Beteiligten. Die Anforderungen haben ein Ausmaß angenommen, dass nur ein Schulterschluss zwischen Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und auch Gesellschaft gemeinsam etwas bewegen kann und alle in die gleiche Richtung wollen. Das System ist sehr träge, wir wissen schon lange, wie sich die Demografie entwickelt, und dennoch gibt es bis heute keine Lösung. Daher fordern wir klar, dass Entscheidungen schneller getroffen werden.
Lindinger: Die Medizinprodukte-Branche investiert massiv in Digitalisierung und Prozessinnovationen und bemüht sich, durch diese Verschlankung und Flexibilisierung viele der aktuellen Krisensituationen abzufedern.

Welche Rolle spielen Patientinnen und Patienten, wenn es um den Erhalt eines resilienten Gesundheitssystems geht?
Gschlössl: Eine sehr große, denn um Patientinnen und Patienten dreht sich unsere Leistungserstellung. Um die Gesundheitskompetenz der Österreicherinnen und Österreicher steht es nicht gut, daher ist es wichtig, die Selbstverantwortung und Eigenständigkeit der Menschen zu fördern, sodass sie im eigenen unmittelbaren Umfeld kompetent agieren.

Was wären Ihre Wünsche an die neue Regierung im Hinblick auf Resilienz im Gesundheitswesen?
Lindinger: Die Bedeutung der Medizinprodukte-Branche politisch zu unterstützen, im Sinne eines klaren Bekenntnisses zum österreichischen Wirtschaftsstandort. Dazu gehört auch ein Bekenntnis, Innovationen zu fördern, da sie helfen, Behandlungskosten zu senken und die Behandlungsdauer zu beschleunigen. Am wichtigsten ist es, den gordischen Knoten im Bereich der Finanzierung durch Länder, Bund, Gemeinden und Kasse aufzulösen.