Strategische Pläne sind gefragt: Wie Unternehmen die Herausforderungen der neuen Regulatorien meistern können

Über ein Jahr sind die Verordnungen über Medizinprodukte (MDR) und In-vitro-Diagnostika (IVDR) in Kraft. Was hat sich geändert? Was sind die großen Herausforderungen, die es noch zu bewältigen gilt?

Es gibt eine Reihe neuer Anforderungen, daher muss sich die Branche vor allem strategische Gedanken machen, wie firmeninterne Prozesse zur Umsetzung der Regularien neu zu ordnen sind. Das betrifft zum Beispiel das Qualitäts- und ­Risikomanagement, die klinische Evidenz, die ­Vigilanz oder das Labeling. Das Schwierige dabei ist, dass bei der großen Produktvielfalt und durch die unterschiedlichen Risikoklassen auch sehr unterschiedliche Anforderungen auf die Unternehmen zukommen. Was für ein Medizinprodukt gilt, kann bei einem anderen völlig anders aussehen. Es sind also sehr komplexe, unterschiedliche strategische Konzepte zu erarbeiten. Die kurzen Übergangsfristen und die eingeschränkten Ressourcen der Benannten Stellen, Behörden und der Hersteller sind die größten Herausforderungen.
Benannte Stellen können oftmals keine Neukunden mehr aufnehmen. Mit der MDR kommen zudem weitere Hürden für eine Neubenennung auf die Benannten Stellen zu, sodass Experten langfristig nur noch mit rund 40 bis 50 Benannten Stellen für Medizinprodukte in der EU rechnen. Im Gegenzug wächst die Zahl der Produkte, die zukünftig unter die Kontrolle dieser Benannten Stellen fallen, stark an. Mit den ersten Benennungen ist nicht vor Mitte 2019 zu rechnen. Es ist daher sehr unwahrscheinlich, dass mit Geltungsbeginn der MDR am 26. Mai 2020 ausreichend Benannte Stellen zur Verfügung stehen werden. Für die Hersteller verkürzt sich hierdurch außerdem nochmals die Übergangszeit, da sie keinen autorisierten Ansprechpartner für eine Neuzertifizierung gemäß MDR haben.
In der BVMed Herbst-Umfrage 2018 zeigen sich sehr deutlich die Ängste aller Beteiligten. Als Folge der MDR-Implementierung befürchten 64 Prozent der Unternehmen, dass Produkte aus ökonomischen Gründen vom Markt genommen bzw. nicht auf den Markt gebracht werden. 89 Prozent der Unternehmen erwarten, dass die ­Kosten und damit auch die Preise der Medizinprodukte durch die MDR-Folgen steigen werden. Der Druck werde dabei insbesondere auf KMUs steigen, sagen 58 Prozent der Befragten. Knapp die Hälfte der Unternehmen (40 Prozent) ­erwartet, dass durch die MDR-Folgen künftig die Patientenversorgung leiden wird.

Patientenschutz und Patientenwohl haben höchste Priorität im Medizinprodukterecht. Doch scheint das Pendel derzeit in die andere Richtung auszuschlagen: Verhindert „zu viel“ Regulierung, dass Innovationen überhaupt noch Platz haben?

Der Patient steht immer im Vordergrund. Medizinprodukte sind eine „Besondere Ware“ mit einem hohen ethischen Anspruch.
Ein Unternehmen benötigt unterschiedliche Strategien für jedes Produkt – immer unter dem Aspekt, welche davon noch ökonomisch eine Überlebenschance haben. Für große Unternehmen ist die Aufgabe zwar komplexer, aber vermutlich einfacher zu bewerkstelligen. Diese werden fokussiert in vielversprechende Produkte und Projekte investieren.
Ein KMU hat nur wenige Möglichkeiten zur Neuentwicklung von Innovationen durch ­diese hohen Investitionsanforderungen. Start-ups werden weniger werden oder nach kurzer Zeit von großen Unternehmen aufgekauft. Die ­jetzige Vielfalt des Marktes wird verschwinden. Förderprogramme der Regierung sind insbesondere für KMUs wichtig. Hier sollten vor allem das Handwerkszeug für die Durchführung von klinischen Untersuchungen zur Erhöhung der klinischen Evidenz und die Erhöhung der regulatorischen Kompetenz unterstützt werden.

Die Europäische Kommission verpflichtete in einem Beschluss vom 19. April 2010 alle EU-Mitgliedsstaaten, die Europäische Datenbank für Medizinprodukte, die EUDAMED, zu nutzen. Wie ist hier der aktuelle Stand?

In EUDAMED werden alle erforderlichen ­Daten zusammengeführt, um die Marktüberwachung für die zuständigen Behörden zu verbessern und die Transparenz zu stärken. Das sind Daten zu Herstellern, Bevollmächtigten und Medizinprodukten, Daten im Zusammenhang mit Bescheinigungen, Angaben gemäß Beobachtungs-, also Marktüberwachung, und Meldeverfahren sowie Informationen zu klinischen Prüfungen. EUDAMED soll ein sicheres Webportal werden, das den Informationsaustausch zwischen den EU-Mitgliedsstaaten sowie der Europäischen Kommission unter­stützen soll. Nach Angaben der EU Kommission ist der Aufbau der Datenbank in Arbeit, aber derzeit gibt es sie noch nicht. Ob diese noch in der Übergangszeit kommt, ist sehr offen. Auch hier müssen für eine Umsetzung der Verordnung dann nationale Zwischenregelungen eingeführt werden. Eventuell ist dies sogar ein Argument, um die Übergangsfristen zu verlängern.

Welches Fazit ziehen Sie im Hinblick auf das Ziel der MDR?

Die Umsetzung der angedachten Maßnahmen kann den Patientenschutz erhöhen. Die Interpretation der Regularien ist aber noch eine große Aufgabe für alle Beteiligten. Die Voraussetzungen für eine zeitgerechte Umsetzung sind noch nicht vorhanden. Daher fordern die Verbände auch eine Verlängerung der Übergangzeiten. Nur so kann auch das Ziel – eine Erhöhung der Sicherheit für den Patienten – erreicht werden.