Was sind die Aufgaben des Supply Chain Intelligence Institute Austria, kurz ASCII?
Wir müssen frühzeitig erkennen können, dass es zu Engpässen in einer Lieferkette kommt und somit noch bevor eine tatsächliche Versorgungsknappheit eintritt. Damit können wir die Wertschöpfungsketten resilienter, robuster und sicherer machen, aber auch eine evidenzbasierte Grundlage für Entscheidungsträger bereitstellen und proaktiv aufzeigen, wie Lieferketten optimal umgebaut werden müssen, sodass in Zukunft ein nachhaltigeres und effizientes Wirtschaftssystem entsteht.
Wer sind die Gründer?
Während der Pandemie rückte das Thema Versorgungssicherheit immer stärker in den Fokus. In den nationalen Krisenstäben waren auch Vertreter des Complexity Science Hub vertreten. Es hat sich rasch gezeigt, dass das Wissen und die übergreifende Aufklärungskompetenz in Österreich fehlt, um frühzeitig drohende Engpässe von Produkten erkennen zu können. Auf Basis dieser Erfahrungen entstanden einzelne Projekte und schließlich die Idee eines Institutes, das alle notwendigen Kompetenzen in sich vereint. Gegründet haben schließlich der Complexity Science Hub, die FH OÖ, der Verein Netzwerk Logistik und das Wirtschaftsforschungsinstitut WIFO. Gemeinsam wollen wir ein weltweit führendes Forschungsinstitut werden, das sich mit lieferkettenbezogenen Fragestellungen datenbezogen auseinandersetzt. Das Projekt wird vom österreichischen Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft (BMAW) mit 7,5 Millionen Euro sowie vom Land Oberösterreich mit 2,5 Millionen Euro unterstützt.
Welche Themen stehen konkret im Mittelpunkt Ihrer Arbeit?
Es geht um die Lieferketten und ihre Rolle in den globalen Wirtschaftskreisläufen. Wir haben erlebt, dass einzelne „Flaschenhälse“ der Liefernetzwerke die Versorgung von sehr vielen Ländern beeinflussen können und diesem Thema wollen wir präventiv auf den Grund gehen. Darüber hinaus hängen viele Zukunftsthemen direkt mit Liefernetzwerken zusammen. Jeder Technologiewechsel bedingt immer, dass sich auch die Produktionsnetzwerke daran anpassen müssen. In vielen Bereichen wissen wir derzeit noch nicht, wo Limitationen auftauchen. Damit im Zusammenhang steht die Reduktion von Emissionen, nachhaltige Wirtschaftssysteme oder eine klimaneutrale Mobilität. Wir wissen heute noch nicht, wie dazu die künftigen Produktionsnetzwerke aussehen werden. Das sollten wir uns aber überlegen, bevor man Maßnahmen ergreift, um dann festzustellen, dass damit vielleicht nur kurzfristig Effizienzpotenziale gehoben werden konnten, langfristig aber unerwünschte Effekte auftreten könnten.
Gab es diese Form der Forschung bisher nicht?
Ein Großteil der Forschung über Logistik und Lieferketten geschah bisher aus der Perspektive der Unternehmen. Auf Systemebene gibt es bislang wenige Forschungserkenntnisse. Das wollen wir am ASCII jetzt ändern. Dazu braucht es eine interdisziplinäre Sichtweise auf komplexe Systeme. Die Expertise des Complexity Science Hub auf Datenebene wird dabei eine zentrale Rolle spielen, um aus dieser enormen Menge von Daten evidenzbasierte Erkenntnisse ableiten zu können. Darüber hinaus bringen wir viel Erfahrung im interdisziplinären Arbeiten mit und sind es gewohnt, datengetriebene Ergebnisse in verschiedenen Kontexten so aufzubereiten, dass sie als Grundlage für fundierte Entscheidungen dienen können.
Wie können einzelne Unternehmen vom ASCII profitieren?
Wir sind ein gemeinnütziges Forschungsinstitut und kein Consultingunternehmen. Dennoch steht natürlich die angewandte Forschung im Vordergrund und da müssen wir unbedingt die Sichtweisen der Industrie mitnehmen.
Jeder Betrieb kennt vermutlich die eigenen Abhängigkeiten im Markt und möchte mit dem Mitbewerb auch wenig Daten austauschen. In immer mehr Branchen teilen Unternehmen mittlerweile anonymisierte Daten über ihre Lieferbeziehungen und ermöglichen damit auch Forschung mit diesen Daten. So kann etwa dann ein Ampelsystem auf Basis eines Echtzeitmonitorings für Wertschöpfungsnetzwerke frühzeitig signalisieren, wo Probleme zu erwarten sind. Dieses Monitoring würde ein Unternehmen allein nicht erfassen können, weil es branchenübergreifende Daten dazu benötigt. Am Ende wird dann ein ganzer Sektor durch eine bessere Planbarkeit insgesamt stabiler.
Eine Lehre aus der Pandemie ist, Standorte in Europa zu stärken und Produktionen wieder hierher zu verlagern. Wie realistisch ist das aus Ihrer Sicht?
Wir sehen jetzt, wenn Produkte in großen Mengen, aber mit geringen Margen hergestellt werden, dann verlagert sich die Produktion zwangsläufig in Länder, die billig produzieren können. Wir werden auch in Zukunft Produkte im Gesundheitswesen haben, die wir nicht lokal herstellen können – weil es die Rohstoffe nicht gibt oder weil es sich einfach nicht rechnet. Will man dennoch lokal produzieren, braucht es Förderungen dazu – das ist eine politische Entscheidung, die vielleicht auch nicht allein in Österreich getroffen wird. Entscheidungsträger müssen klar festlegen, wo unsere Stärken liegen und welche Industrien wir demnach hier haben wollen.
Das löst aber nicht das Problem, dass Engpässe auftreten – etwa bei Vorlieferanten –, dann hilft die Produktion im eigenen Land auch nicht weiter. Dennoch kann über unsere Forschungsergebnisse sichtbar werden, dass es vielleicht schon hilfreich sein kann, bei den Vorlieferanten zu diversifizieren und so Abhängigkeiten zu vermindern. Hilfreich ist es auf jeden Fall, stabile Lieferantenbeziehungen zu haben, um über Engpässe rechtzeitig informiert zu sein und dann ausweichen zu können.
Wie sehen Ihre nächsten Meilensteine aus?
Wie werden die Lieferkettenthematik mit übergreifenden Risiken assoziieren, wie zum Beispiel geopolitischen Unstimmigkeiten oder Handelskriegen, sowie mit den Auswirkungen des Klimawandels, dessen Bewältigung neue Produktionsstrukturen und Geschäftsmodelle erfordern wird. Kurz gesagt: Wir müssen die Produktions- und Wertschöpfungsnetzwerke besser kennenlernen. Da es dazu keine vollständigen Daten gibt, werden wir sie aus vielen unterschiedlichen Quellen zusammensammeln müssen. In nächster Instanz wollen wir verstehen, wie sich die Netzwerke verändern, wie anfällig sie für Schocks sind und wie wir sie so gestalten können, dass sie sicherer und nachhaltiger werden, ohne dabei Effizienz einbüßen zu müssen.