Doz. Dr. Patrick Weninger, Unfallchirurg für Sportverletzungen, leitet eine Spezialpraxis für Knie- und Sportverletzungen in Wien und hat sich unter anderem auf die Therapie von Kreuzbandverletzungen spezialisiert. Im Interview mit DAS MEDIZINPRODUKT nimmt er zu der Frage Stellung, was derzeit Therapiestandard bei Kreuzbandriss ist und stellt eine neue OP-Variante vor.
Die Entscheidungskriterien sind die Instabilität des Knies und die sportliche Aktivität des Patienten. Ein Kreuzbandriss führt immer zu einer Störung der Knie-Kinematik, das heißt, das Knie wird instabil. Auch wenn die Betroffenen diese Instabilität nicht merken, werden die Menisken und der Knorpel abnorm belastet. Die Operation ist die einzige Möglichkeit, die normale anatomische Situation annähernd wiederherzustellen. Ein Kreuzbandriss bei jungen und sportlich aktiven Patienten sollte deshalb operiert werden. Betreibt der Patient keinen Sport und hat im Alltag ein stabiles Knie, kann konservativ, also ohne OP, behandelt werden.
Es gibt die Möglichkeit, das eigene Kreuzband zu erhalten oder es durch eine körpereigene Sehne zu ersetzen. Aus der Literatur weiß man, dass die Rekonstruktion des gerissenen Kreuzbandes innerhalb von drei Monaten erfolgen sollte, damit es zu keinen Sekundärschäden für Menisken und Knorpel kommt. Der Zeitpunkt der OP hängt auch von den Begleitverletzungen ab. Am besten sind die Bedingungen für eine OP, wenn das verletzte Knie annähernd abgeschwollen und frei beweglich ist. Liegt jedoch ein eingeklemmter Meniskus vor, sollte rasch operiert werden. In diesen Fällen kann dann auch gleichzeitig das Kreuzband mitoperiert werden.
Erfolgt eine Operation in der Frühphase der Verletzung, das heißt innerhalb einiger Tage, ist es manchmal möglich, das vordere Kreuzband zu erhalten. Dabei wird das abgerissene Kreuzband bei geeigneter Rissform mit Spezialdübeln am Knochen befestigt. Wir haben diese Technik eben erst in der Fachzeitschrift „Arthroscopy Techniques“ publiziert1, sie funktioniert nicht bei allen Kreuzbandrissen. In den meisten Fällen muss das Kreuzband durch eine körpereigene Sehne ersetzt werden. Dabei werden Sehnen aus dem Oberschenkel oder ein Teil der Patellasehne verwendet.
Ist das Kreuzband gerissen, sind die Anatomie und die Kinematik des Kniegelenkes gestört. Der größte Vorteil der Operation ist die Wiederherstellung der Anatomie. Das kann durch kein konservatives Therapieverfahren erreicht werden. Der Nachteil der Operation im Vergleich zur konservativen Therapie ist das OP-assoziierte Risiko, also zum Beispiel Infektionen, Thrombosen oder Gefühlsstörungen.
Grundsätzlich gilt: Je älter die Patienten sind, desto eher wird man ihnen die konservative, nicht operative Therapie empfehlen. Der Grund: Die Operation soll die Instabilität des Kniegelenkes behandeln und damit einem frühzeitigen Knorpelschaden vorbeugen. Bei vielen älteren Patienten ist dieser Knorpelschaden jedoch aufgrund der langjährigen Belastung und Abnützung des Kniegelenkes schon eingetreten und kann deshalb auch durch eine Kreuzband-OP nicht verhindert werden. Das Patientenalter hat bei hochgradiger Instabilität des Knies – operativ oder nicht operativ – einen untergeordneten Stellenwert.
Was das heißt, sollen zwei Beispiele veranschaulichen: Ein 20-jähriger Patient reißt sich beim Aussteigen aus dem Bus das vordere Kreuzband. Er ist überhaupt nicht sportlich aktiv, hat keine Begleitverletzungen und im Alltag kein Instabilitätsgefühl. Ein anderer Patient, 60 Jahre alt, reißt sich das Kreuzband beim Tennisspielen. Er ist sportlich sehr aktiv und die Instabilität stört ihn im Alltag und beim Tennisspielen. In diesem Fall werde ich die OP eher dem 60-jährigen Patienten empfehlen und den 20-jährigen konservativ therapieren.
Der Grund ist, dass man im Vorhinein nur vermuten kann, welcher Patient eher von einer Operation profitieren wird. Dafür ist sehr viel Erfahrung mit Kreuzbandverletzungen notwendig. Ein weiterer Grund ist, dass viele Studien zum Thema „Behandlung nach Kreuzbandverletzung“ Äpfel mit Birnen vergleichen. Zusätzlich werden immer noch Techniken angewandt, von welchen man sehr genau weiß, dass sie mehr Schaden als Nutzen anrichten. Warum dies nach wie vor der Fall ist, entzieht sich meiner Kenntnis. In vielen Fällen werden die Sehnen-Grafts an falscher Stelle implantiert, sodass eine Instabilität auch nach der OP verbleibt. Es ist dann so, als ob diese Patienten nie operiert worden wären. Die Ergebnisse sind nach solch einer OP natürlich schlecht. Tatsache ist, dass die anatomische Rekonstruktion des vorderen Kreuzbandes allen anderen Therapieoptionen überlegen ist.
Obwohl die Operation sehr standardisiert abläuft, gibt es wahrscheinlich bei keiner anderen orthopädisch-unfallchirurgischen OP so viele Fehlermöglichkeiten wie bei einer Kreuzband-Rekonstruktion. Es gibt Komplikationen während und nach der Operation. Der häufigste Fehler bei der OP ist die falsche Platzierung des Sehnen-Grafts. Das heißt, das neue Kreuzband wird nicht dort implantiert, wo es hingehört. Dadurch kann die Beweglichkeit nach der OP eingeschränkt sein. Die gefürchtetste Komplikation nach der OP ist die Entzündung des Kniegelenkes. In diesem Fall ist es notwendig, dass ein Antibiotikum verabreicht wird. In manchen Fällen ist ein oder sind weitere operative Eingriffe erforderlich. In wenigen Fällen kommt es zur Entwicklung einer Thrombose.
Wichtig ist es, das Knie stabil zu halten. Das gelingt in einigen Fällen durch gezielte Physiotherapie. Dabei wird die Muskulatur trainiert, die koordinativen Fähigkeiten werden geschult und die Beweglichkeit wird verbessert. Bis das Knie wirklich stabil ist, sollten keine Stop-and-go-Sportarten durchgeführt werden.
Das Ziel der Kreuzband-OP ist auch die Wiederherstellung der vollen Sportfähigkeit, das heißt, die sportliche Aktivität vor der Verletzung sollte wieder erreicht werden. Nach der Verletzung ist ein abgestuftes Rehabilitationsprogramm erforderlich. Das bedeutet, dass Ergometerfahren nach ca. vier Wochen möglich ist, Kraul- und Rückenschwimmen nach ca. vier Wochen und lockeres Laufen nach ca. zwei Monaten. Kniebelastende Sportarten sollten frühestens nach neun Monaten durchgeführt werden.
1 Anatomic Double-Bundle Reinsertion After Acute Proximal Anterior Cruciate Ligament Injury Using Knotless PushLock Anchors. Patrick Weninger, M.D., Florian Wepner, M.D., Florian Kissler, M.D., Michael Enenkel, M.D., Christian Wurnig, M.D. In: Arthroscopy Techniques, 2015