Über den Tellerrand

Wieso erfordert die Wundbehandlung eine deutsch­sprachige, länderübergreifende Zusammenarbeit, wenn oft schon national die nötige Aufmerksamkeit fehlt?

Die Diagnostik und Therapie von Patienten mit akuten und chronischen Wunden stellt ein weiterhin zunehmendes interdisziplinär und interprofessionell relevantes Problem dar. Obwohl gerade in den deutschsprachigen Ländern Europas die medizinische Versorgung der Patienten mit akuten und chronischen Wunden auf sehr hohem Niveau betrieben wird und auch breit in den verschiedenen Disziplinen verankert ist, gab es bislang keine wissenschaftliche Gesellschaft, die die verschiedensten Aktivitäten in den deutschsprachigen Ländern aufnimmt, zusammenführt und transnational umsetzt. Es ­haben sich daher schon im Dezember 2011 Vertreter der Schweizerischen Wundheilungsgesellschaft SAfW, der deutschen Initiative Chronische Wunde (ICW) und der österreichischen Wundheilungsgesellschaft (AWA) unter Zustimmung der nationalen Gesellschaften zusammengefunden, um Wund-D.A.CH zu gründen.

Welche Rolle spielen die deutschsprachigen Länder in der internationalen Wund-„Landschaft“ und sind nicht die lokalen Aktivitäten „nahe am Patienten“ gerade in diesem Sektor viel wichtiger?

Im internationalen und selbst im europäischen Vergleich ­prägen vor allem Skandinavier und Therapeuten aus Groß­britannien die Wund-Szene. Deutschsprachige Länder bilden zwar einen der wichtigsten und entwickeltsten Märkte, haben dabei aber sicher noch Aufholpotenzial, was gemeinsame wissenschaftliche, Weiterbildungs- und klinisch-strategische Aktivitäten anbelangt. Es ist richtig, dass regionale und lokale Aktivitäten in der praktischen Wundversorgung eine große Rolle spielen, doch letztendlich geht es ja auch um den Fortschritt in der Behandlung, um den Erfahrungsaustausch und die Verbreitung von Wissen, also um die Vernetzung für ein gemeinsames standardisiertes Vorgehen. Dazu ist die Zusammenarbeit all der vielen lokalen Wundmanager und der verschiedenen medizinischen Fachrichtungen notwendig und mit ein Grund, warum wir erstmals einen länderübergreifenden, interdisziplinären Fachkongress initiiert haben.

Welche Synergien erwarten Sie sich durch den ­Dreiländerkongress?

Die Grundprinzipien der Wundbehandlung sind in allen Ländern ähnlich, es gibt Leitlinien, Standards und Behandlungsempfehlungen. Diese immer wieder neu zu erfinden ist nicht nötig. Was aber den deutschsprachigen Bereich der Wundheilung anbelangt, so finden sich einerseits deutliche Unterschiede in der Stellung und den Aufgaben der Pflege gegenüber England oder den skandinavischen Ländern, wie auch wesentliche Unterschiede bei dem System der Rückerstattung. Deshalb ist es so wichtig, internationale Behandlungsvorgaben auf die Gegebenheiten und Bedürfnisse der deutschsprachigen Länder zu adaptieren und auch für bestimmte lokale in diesem Raum eingeführte Therapien und Maßnahmen eigene Standards zu entwickeln. Letztendlich spielt auch die Fortbildung eine ganz wichtige Rolle, in der durch Anbieten von muttersprachlichen Aktivitäten ein hohes Erfolgsniveau erreicht werden kann.

Ein Kongressthema ist die Diagnostik als Basis der Wundbehandlung. Wie kam es zu dieser Wahl?

Derzeit liegt die Wundbehandlung überwiegend in den ­Händen des Pflegepersonals und Patienten werden auf ihre Wunden und entsprechende Wundauflagen reduziert, ohne die vielfältigen Ursachen dahinter genau zu diagnostizieren. Die erste Frage muss wohl sein, warum der Patient überhaupt eine Wunde hat und wie ich an die Diagnostik herangehe. Viele einfache Maßnahmen der klinischen Inspektion wie etwa die Verschlussdruckmessung werden oft gar nicht durchgeführt. Venen- und Gefäßschäden werden in der Diagnose zu wenig Beachtung geschenkt. Oft wird mit Produkten herumprobiert, ohne klare Aussagen über Ursachen zu haben. Wir wollen vermitteln, dass die Wundbehandlung wichtig ist, aber die kann nur dann gut funktionieren, wenn die gesamte Wundsituation des Patienten am Tisch liegt.

Welche Themen sind aus Ihrer Sicht noch besonders interessant?

Alternative Therapiekonzepte, aber auch Ethik und das Arzt-Patientenverhältnis werden thematisiert. Fragen, was Krankheit auch im Sinne von Kosten bedeutet, müssen genauso diskutiert werden wie die Bedeutung von Placebos, der Forschung oder des neuen Forschungsbereichs der Psychoimmunologie.

 

Wund-D.A.CH versteht sich als Dachorganisation aller deutschsprachigen Vereine und Gruppen, die im Bereich „Management von akuten und chronischen Wunden“ strategisch und operativ tätig sind. Gegründet wurde die Organisation von den Fachverbänden AWA (A), ICW e.V. (D) und SAfW (CH). Ziel ist es, in den deutschsprachigen Ländern und Regionen Europas die Wundversorgung in Theorie und Praxis zu fördern. Wund-D.A.CH ist eine Fachgesellschaft, die länderübergreifend Leitlinien und Publikationen zur Thematik herausgibt und Kongresse organisiert. Schwerpunkt sind die Bereiche Forschung und Lehre.