Umfrage

Wie ist die Branche auf die Endemie vorbereitet?

Durch die aktuelle Pandemie bekamen Desinfektionsmittel eine neue Aufmerksamkeit. Eine große Herausforderung sehen wir dabei, dass aufgrund der Knappheit zu Beginn gesetzliche Rahmenbedingungen für Produktion, Lieferketten und Qualitätsmanagement zum Teil aufgeweicht, aber dann nicht mehr entsprechend nachverfolgt wurden. So sind sogenannte Notfallzulassungen seit einem Jahr nicht mehr zulässig. Trotzdem gehen wir davon aus, dass weiterhin nicht gesetzeskonform hergestellt wird und diese Mittel auch im Handel vertrieben werden. Hier fordern wir wieder die strikte Einhaltung der Gesetze und mehr Kontrollen.
Sonja Reinberger Sprecherin der AUSTROMED- Branchengruppe Desinfektion und Hygiene
Das Ende wird sich schon langsam einstellen, aber vielleicht nicht so schnell, wie wir uns das jetzt wünschen. Und eine Endemie ist nicht harmlos, nur weil sich der Name verändert hat. Wir können heute nicht abschätzen, welche Virusvarianten noch entstehen werden oder ob noch ganz andere Herausforderungen für das Gesundheitswesen kommen werden. Was wir aber heute schon sagen können: Wenn es darum geht, Leistungen an den Patienten zu bringen, so ist vermehrt Flexibilität gefordert. Wir haben alle erlebt, wie rasch neue Maßnahmen beschlossen wurden und alle Betriebe gefordert waren, ebenso rasch darauf zu reagieren. Die Logistik wird eine besondere Herausforderung werden. Am Anfang der Pandemie war die Ware nicht verfügbar, aber die Logistik hätte gut funktioniert. Das ändert sich jetzt. Viele Produkte aus Fernost kommen hier verzögert an, und damit meine ich nicht nur die Medizinprodukte und In-vitro Diagnostika selbst, sondern auch wesentliche Produkte, die wir zur Leistungserstellung benötigen. Spürbar ist das zum Beispiel in der IT, wo es immer wieder zu Lieferverzögerungen kommt.
DI Peter Bottig Sprecher der AUSTROMED-Branchengruppe In-vitro Diagnostik
Allgemein überzeugt ist man von der Sinnhaftigkeit und Aufrechterhaltung der Impfpflicht. Fraglich ist, ob man künftig neue Mitarbeiter nach ihrem Impfstatus auswählen wird (dürfen). Als Arbeitgeber wird man wohl gut daran tun, nicht nur Mitarbeitern, die für OP-Begleitungen zum Einsatz kommen, eine Hepatitis-Impfung zu finanzieren, sondern nun allen in der Medizintechnik tätigen Mitarbeitern auch einen jährlichen Corona-Booster.
DI Martin Glöckler Sprecher der AUSTROMED-Branchengruppe Diabetes
Es stellt sich im Moment die Frage, wie lange wir noch in einer Pandemie leben. Mit dem Blick in die Zukunft zeigt uns die Pandemie in sehr klarer Weise sehr viele noch ungelöste Problembereiche im Gesundheitswesen: den Pflegenotstand, insbesondere die Betreuung von pflegebedürftigen Menschen zu Hause. Auch bei der Digitalisierung stellt sich die Frage: Wie kann Österreich in vielen Bereichen aufholen? Sind Digitalisierungsbestrebungen nur ein Aufflammen gewesen oder können wir eine nachhaltige Etablierung zustande bringen?
Mag. Martina Laschet Sprecherin der AUSTROMED-Branchengruppe Verbandstoffe

Wie stellen Sie sich das „neue Normal“ vor?

Es existiert definitiv ein höheres Hygienebewusstsein bzw. Hygienemanagement außerhalb des Gesundheitswesens, wie zum Beispiel in Hotellerie und Gastro. Bedenken wie Serviceengpässe bei zahlreichen Mitarbeiter-Krankenständen oder Kundenbeschwerden bis hin zu Imageproblemen bei Ansteckungen im Betrieb sind gegenwärtiger als früher. Bei Gesundheitseinrichtungen sehen wir die positive Entwicklung, dass Termine optimierter vergeben werden, um Wartezeiten und die Anzahl der gleichzeitig anwesenden Patienten zu minimieren. Wir gehen davon aus, dass mehr Institutionen und Unternehmen jetzt aktuelle Notfallpläne vorliegen haben und damit zukünftig schneller auf ähnliche Situationen reagieren können. Ein einfacher, aber effektiver Wunsch für die Zukunft: Alle Menschen achten mehr auf Hygienemaßnahmen, in allen Institutionen des Gesundheitswesens, im Betrieb und auch im Alltag.
Sonja Reinberger Sprecherin der AUSTROMED- Branchengruppe Desinfektion und Hygiene
Wir beobachten schon jetzt, dass der Trend hin zur Privatmedizin größer wird und das wird noch zunehmen. Patienten sind gefordert, gesundheitskompetenter zu agieren und sich mehr denn je um Vorsorge und Prävention aktiv zu kümmern. Das ist auch eine Frage der finanziellen Ressourcen. Hier wird die Diskussion aufbrechen, was sich ein Staat leisten kann und will und wo die Bürger in die Pflicht genommen werden. Die Frage nach Gratistests ist hier nur ein aktuelles Beispiel.Bleiben wird, was die Digitalisierung gebracht hat. Damit meine ich nicht nur ELGA oder das E-Rezept, sondern auch das Arbeitsumfeld, in dem wir uns alle bewegen. Homeoffice wird nicht mehr verschwinden und auch hier wird Flexibilität das Gebot der Stunde sein.
DI Peter Bottig Sprecher der AUSTROMED-Branchengruppe In-vitro Diagnostik
Bei akuten Atemwegsinfekten wird man selbstverständlich Maske tragen. Geschäftliche Termine in Spitälern und Ordinationen werden nach vorheriger Terminvereinbarung erfolgen.
DI Martin Glöckler Sprecher der AUSTROMED-Branchengruppe Diabetes
Das Virus ist gekommen, um zu bleiben – das klingt ein wenig trivial, ist aber auf jeden Fall für die Zukunft ein wichtiger Aspekt. Wir erkennen, dass gerade im Outpatient-Bereich beim hygienischen Verbandwechsel Themen wie Händedesinfektion, hygienische Unterlage, Handschuhe, Mundschutz, Schürze endlich erkannt und umgesetzt wurden. Allein durch die verstärkte Anwendung dieser Maßnahmen kommt es zu einer deutlichen Verbesserung des Wundheilungsverlaufes. Alle Akteure im ambulanten und stationären Bereich waren „gezwungen“, verstärkt miteinander zu kommunizieren bzw. auch neue Wege der Kommunikation zu finden. „Telenursing“ war das Gebot der Stunde. Wir begrüßen diese Entwicklung, fordern aber eine Anpassung der Rahmenbedingungen. Dieser multiprofessionelle und interdisziplinäre Ansatz muss zur Routine und daher vereinfacht werden. Der Zugang zu Verbandstoffen hat sich während der Pandemie verbessert: Die chefärztliche Genehmigung von einzelnen Produkten bzw. Packungsgrößen wurde ausgesetzt. In Gesprächen mit Vertretern in der Politik und dem Gesundheitswesen hat die Branchengruppe Verbandstoffe darauf hingewiesen, dass nun im Zuge der Erkenntnisse aus der Pandemie und der noch immer laufenden Reform im österreichischen Sozialversicherungssystem der richtige Zeitpunkt ist, Prozesse zu überdenken und neu aufzusetzen – zum Wohle der Patienten.
Mag. Martina Laschet Sprecherin der AUSTROMED-Branchengruppe Verbandstoffe

Verändern sich die Kundenbeziehungen zu Anwendern oder zu Patienten?

Die letzten beiden Jahre haben definitiv bewirkt, dass persönliche Kontakte nachhaltig reduziert werden. Auch im Kundenkontakt nutzen wir vermehrt moderne, digitale Alternativen wie Video-Konferenzen oder Online-Seminare. Eine große Herausforderung sehen wir im fehlenden Bewusstsein für die richtige Anwendung von Desinfektionsmitteln in der Bevölkerung. Seit der Pandemie werden Desinfektionsmittel auch in neuen Kanälen und Bereichen angewendet, die vor März 2020 kein Thema waren, wie zum Beispiel in Schulen. Wir gehen davon aus, dass dies wieder abnimmt, aber in einigen Bereichen nicht ganz verschwinden wird. In der Gastronomie zum Beispiel werden Sauberkeit und Hygiene in Zukunft noch mehr als besonderer Service und Qualitätsmerkmal gesehen als bisher.
Sonja Reinberger Sprecherin der AUSTROMED-Branchengruppe Desinfektion und Hygiene
Hier knüpfe ich an die Digitalisierung an. Sowohl bei B2B als auch B2C haben wir durch Videotrainings, Online-Fortbildungen oder Videosprechstunden viele Vorteile kennengelernt. Vieles geht rascher und ortsunabhängiger. Das traditionelle Bild vom Außendienst, der in der Früh losfährt und abends nach Hause kommt, hat sich mit den digitalen Anwendungen völlig überholt. Persönliche Besuche werden – vor allem bei erklärungsbedürftigen Produkten – nicht völlig verschwinden, aber Termine werden straffer, effizienter und zielgerichteter stattfinden. Aber die Arbeitszeit verteilt sich heute anders und es wird zum Service gehören, mit einem Anwender auch später am Abend noch Videocalls zu führen.
DI Peter Bottig Sprecher der AUSTROMED-Branchengruppe In-vitro Diagnostik
Alle Zeichen stehen auf „digital“, auch zwischen Patient und Industrie. Es haben praktisch alle Patienten ein Smartphone, auch 80-Jährige. Schulungen auf neue Produkte erfolgen online oder über YouTube Videos.
Immer noch sehr mühsam ist es, medizinisches Personal in Krankenhäusern per Videotelefonie zu kontaktieren, ganz zu schweigen von digitalen Kontakten zwischen Patienten und Ambulanzen. Als revolutionär sieht man sich, wenn man den Patienten das Handy auf den Tisch legen lässt, um gemeinsam Clouddaten zu analysieren. Ermutigend ist aber das Positionspapier der Österreichischen Diabetesgesellschaft, in dem es heißt: „Auch über die Pandemie hinaus birgt die Telemedizin großes Potenzial in der Langzeitbetreuung von Menschen mit Diabetes.“ Wir ziehen gerne an einem Strang! Clouddienste sollten umgehend zur Effizienzsteigerung des Arzt-Patienten-Gespräches in Anspruch genommen werden. Es muss ja nicht gleich Telemedizin sein, wo noch viele rechtliche und finanzielle Fragen offen sind.
Direktbelieferungen Versicherter könnten wir getrost mit der Postkutsche durchführen. Angesichts verzögerter, weil analoger, handschriftlich annotierter Aufträge von Kassen würde das keinen Unterschied machen.
DI Martin Glöckler Sprecher der AUSTROMED-Branchengruppe Diabetes
Aufgrund der Erfahrung aus den vergangenen zwei Jahren kann man davon ausgehen, dass sehr viel vom Willen und der Bereitschaft der Kunden abhängt, mit Vertretern aus der Medizinprodukte-Industrie in Kontakt zu kommen. Persönliche Kontakte sind erheblich reduziert worden, mit den schrittweisen Öffnungen hat sich das aber wieder verändert. Hier hat sich gezeigt, wo es vor der Pandemie stabile und gute Partnerschaften gegeben hat – die sind auch während der Pandemie nicht verloren gegangen. Im Moment arbeiten wir mit einem Mix aus persönlichen und telefonischen Kontakten. Bei Fort- und Weiterbildungen ist „hybrid“ State of the Art, doch gerade bei Verbandstoffen ist das „Angreifen“ von Wundprodukten erforderlich, das geht nicht über eine Videokonferenz.
Hauptproblem sind fehlende personelle Ressourcen. Mit innovativen, guten Produkten könnten durchaus Zeit und personelle Ressourcen eingespart werden – dazu ist aber unser Gesundheitssystem – speziell im Bereich der Wundversorgung – sehr innovationsfeindlich! Unser deutscher Schwesternverband, die BVMed, hat sich aktuell diesem Thema in einem 7-Punkte-Diskussionspapier gewidmet. In diesem Statement wird klar ausgeführt, dass „Medizinprodukte und digitale medizintechnologische Lösungen helfen können, Arbeitsprozesse zu verbessern, Ressourcen zu schonen sowie Arbeitsrisiken zu reduzieren“.
Mag. Martina Laschet Sprecherin der AUSTROMED-Branchengruppe Verbandstoffe

Wo hat die Digitalisierung Vorteile, wo stößt sie an Grenzen?

Die Vorteile digitaler Kommunikation liegen auf der Hand: Jederzeit Zugriff auf Informationen, keine Fahrtzeiten, Informationen werden viel schneller an eine größere Anzahl an Kunden transportiert. Die Kommunikation ist um ein Vielfaches effizienter.
Auf der anderen Seite gibt es weniger oder keine Möglichkeit für prompte Rückfragen. Viele Kundenbedürfnisse ergeben sich erst im persönlichen Gespräch – und genau da¬raus entstehen Ideen für Produktverbesserungen und neue Produktentwicklungen. Zu ¬bedenken ist auch, dass nicht jeder Anwender Zugang zu digitaler Kommunikation hat.
Sonja Reinberger Sprecherin der AUSTROMED-Branchengruppe Desinfektion und Hygiene
Das Arzt-Patienten-Verhältnis ist von großem Vertrauen geprägt, da wird auch künftig nicht alles digital gehen. Aber wir werden uns umstellen müssen, kurze Gespräche oder Beratungstermine werden nicht mehr vor Ort stattfinden, auch nach dem Ende der Pandemie nicht. Ich denke hier werden wir lernen, aus beiden Welten das Beste mitzunehmen und zu integrieren.
DI Peter Bottig Sprecher der AUSTROMED-Branchengruppe In-vitro Diagnostik
Ohne Außendienst kein Vertrieb, das wird auch die Digitalisierung nicht ändern, aber sie erlaubt die Konzentration auf den persönlichen Austausch. Unterlagen werden noch während des Gespräches oder unmittelbar nach dem Besuch vom Tablet gesendet.
DI Martin Glöckler Sprecher der AUSTROMED-Branchengruppe Diabetes
Viele digitale Entwicklungen sind gut und sollen auch bleiben – das spart Zeit und Kosten und vereinfacht vieles. Gerade im Bereich der Verbandstoffe ist aber ein persönlicher Kontakt erforderlich – neue Produkte, neue Anwendungsmöglichkeiten, Training und Fortbildung funktionieren in unserem Bereich nur durch den persönlichen Kontakt. Es wird aber in Zukunft eine Mischung von persönlichem Kontakt und digitaler Kommunikation sein.
Mag. Martina Laschet Sprecherin der AUSTROMED-Branchengruppe Verbandstoffe

Wo sehen Sie für das heurige Jahr die größten Herausforderungen?

Einerseits stehen wir einer Rohstoffknappheit gegenüber. Weiters steigen global die Kosten für Produktion und Transport massiv an. Aufgrund vieler COVID-Erkrankter funktionieren die Versorgungsketten noch nicht optimal. In den Jahren vor der Corona-Pandemie wurden Läger zentralisiert und Bestände reduziert. Wir als Branchengruppe empfehlen dringend, dass Sicherheitsbestände wieder erhöht werden, um mittel- und langfristig Verfügbarkeit zu gewährleisten. Auch der Datenschutz und die Implementierung neuer, digitaler Lösungen im Gesundheitswesen stellen Herausforderungen für die Industrie dar.
Sonja Reinberger Sprecherin der AUSTROMED- Branchengruppe Desinfektion und Hygiene
Wir müssen die Chancen auf neue Kundenbeziehungen nutzen. Vor allem kleinere und mittlere Unternehmen, die ja einen Großteil der Landschaft in Österreich ausmachen, können hier von der Digitalisierung profitieren. Gleichzeitig wird es aber eine Herausforderung sein, gerade in den nächsten Monaten, den „Lockdown-Modus“ abzulegen und uns hinter den Bildschirmen wieder hervorzutrauen und aktiv zu werden. Die virtuelle Welt bietet ja auch gute Chancen, sich zu verstecken und die Anonymität für sich zu nutzen. Genau das darf nicht passieren. Die Pandemie und die Endemie lehren uns, dass wir flexibler sein, aber auch mutiger auf neue Chancen zugehen müssen. Change Management ist auch keine Eintagsfliege, das wird bleiben. Das heißt für die Betriebe aber auch, dass wir uns auf viele Risiken einlassen müssen, die wir entweder gar nicht kannten oder die wir früher geschickt ausgespart haben. Mutig auf Neues zugehen wird wohl die wichtigste Strategie werden.
DI Peter Bottig Sprecher der AUSTROMED-Branchengruppe In-vitro Diagnostik
Wir hoffen endlich auf eine Kassenharmonisierung!
DI Martin Glöckler
Sprecher der AUSTROMED-Branchengruppe Diabetes
Die Forderungen aus dem Weißpapier der AUSTROMED haben mehr denn je ihre Berechtigung und werden durch die derzeitige Situation bestätigt. Bei den Versorgungsketten gibt es noch immer Verbesserungsbedarf. Die ständige Verfügbarkeit von Produkten ist nicht selbstverständlich, es kann nicht produziert werden, wenn Rohstoffe für die Produkte selbst, aber auch für die Verpackungen oder Container für den Transport fehlen. Explodierende Kosten im Bereich von alternativen Logistikvarianten sind über die Preise unserer Produkte schon lange nicht mehr abgedeckt. Es braucht eine Änderung in der Standortpolitik: Die Standorte Europa und Österreich müssen gefördert werden.
Mag. Martina Laschet Sprecherin der AUSTROMED-Branchengruppe Verbandstoffe

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