Ausgehend von der minimalinvasiven Chirurgie (MIC) gingen die Entwicklungen stetig in Richtung einer weiteren Minimierung der Zugänge bis hin zur Single-Incision-Laparoskopie (SIL) und zur Nutzung natürlicher Körperöffnungen (Natural Orifice Transluminal Endoscopic Surgery, NOTES). Dr. Walter Brunner, MSc MBA, Facharzt für Chirurgie und Viszeralchirurgie, Leiter Chirurgie Rorschach, Kantonsspital St. Gallen, Schweiz, gibt einen Einblick in die aktuelle Situation.
Können Sie die Entwicklungen von der offenen bis zum aktuellen Status der minimalinvasiven Chirurgie kurz skizzieren?
Nachdem die MIC in ihren Anfängen massiver Skepsis und Kritik ausgesetzt war, wird die Methode heute differenziert betrachtet: Bisherige Studien und Praxiserfahrungen sprechen neben dem unbestritten besseren kosmetischen Ergebnis klar für eine Reduktion des Traumas und der postoperativen Schmerzen im Vergleich zur offenen Chirurgie, weshalb die MIC mittlerweile in vielen Indikationen als Standard gilt. Allen voran sind dies die Cholezystektomie, die in Österreich bis auf wenige Indikationen ausschließlich laparoskopisch durchgeführt wird, Zwerchfellhernien und die bariatrische Chirurgie. In etwas geringerem Ausmaß konnte sich die MIC auch für Eingriffe am Kolon – mit einem Anteil von etwa 20 bis 30 % österreichweit – für Appendektomie sowie Leisten- und Narbenbrüche etablieren, die Häufigkeitsverteilung schwankt hier jedoch stark zwischen einzelnen Häusern.
Die Weiterentwicklungen haben den Anspruch, das Trauma des Zugangs und das kosmetische Ergebnis weiter zu verbessern – natürlich bei gleich gutem oder besserem postoperativen Ergebnis. Der Weg dorthin führt über die weitere Reduktion und Verkleinerung der Zugänge (Reduced Port Surgery) und Nutzung natürlicher Narben und Körperöffnungen. Unter Single Incision oder Single Port Laparoskopie versteht man den Zugang zum Bauchraum nur über den Nabel, unter NOTES den Zugang über ein Hohlorgan wie der Scheide, des Magens oder beispielweise des Dickdarms. Damit werden sichtbare Narben vermieden und das Trauma an der Bauchdecke vermindert.
Können die Erwartungen in die Praxis umgesetzt werden?
Es ist erstaunlich zu sehen, wie begeistert die neuen Möglichkeiten von Patienten angenommen werden. Gerade das Abbergen größerer Organe über die Scheide führt beispielsweise kaum zu Schmerzen und das schätzen die Patientinnen sehr. Das reicht neben dem kosmetischen Ergebnis aber natürlich nicht alleine, daher gibt es Register und Publikationen, die zeigen, wie gut die Ergebnisse sind. Unsere neueren Daten in Österreich und der Schweiz zeigen hier bereits eindeutig, dass die Risiken und Komplikationsraten in erfahrener Hand mit denen der konventionellen MIC vergleichbar sind. Über 1.100 nachkontrollierte Fälle aus Salzburg zeigen beispielsweise auch das geringe Wundinfektions- und Nabelbruchrisiko. Dazu ist zu betonen, dass chirurgische Eingriffe per se ein gewisses Risiko tragen, das, wie erwähnt bei SIL und NOTES nicht höher ist als bei konventioneller MIC.
Ein Kritikpunkt an der SIL sind die hohen Kosten …
Die Kosten, die sich zum großen Teil aus den teureren Instrumenten ergeben, haben sich in den letzten Jahren sehr günstig entwickelt: Werden für die Kostenkalkulation in der konventionellen MIC Einmal-Instrumente herangezogen, ergibt sich kein wesentlicher Unterschied zu den in der SIL und NOTES verwendeten Instrumenten. Viele der technischen Weiterentwicklungen kommen übrigens auch der konventionellen MIC zugute.
Wie breit wird die SIL derzeit angewendet?
Etwa die Hälfte aller chirurgischen Abteilungen in Österreich, aber auch in der Schweiz haben erste Erfahrungen mit der SIL gesammelt. Unserem Register zufolge wurden bisher in Österreich mehr als 3.500 Eingriffe durchgeführt. Mehr als zehn Abteilungen in Österreich betreiben die Methode auf höherem Niveau. Ähnliches gilt für die Schweiz: Dem Register in der deutschsprachigen Schweiz ist zu entnehmen, dass in diesem Raum 49 % der Krankenhäuser SIL-Eingriffe durchführen. Zum Erhebungszeitpunkt im Oktober 2011 gab es dort sieben Abteilungen, an denen bereits mehr als 40 SIL-Eingriffe durchgeführt wurden, in zwei Häusern waren es bisher mehr als 100. Allein in Rorschach haben wir als inzwischen stärkstes Haus in dieser Technik seit Juli 2011 mehr als 350 Eingriffe durchgeführt, dazu kommen noch unsere NOTES-Eingriffe. Notes ist in Österreich derzeit noch weniger präsent als in der Schweiz. Eine Umfrage an Spitälern in Österreich und der Schweiz ergab, dass 60 % der Abteilungen die Anwendung der SIL ausbauen wollen. Während also einige Häuser im deutschsprachigen Raum die SIL konsequent weiterverfolgen, ist stellenweise auch ein Trend wieder weg von der Ein-Schnitt-Öffnung zu beobachten.
Welche Voraussetzungen bestimmen den Erfolg der neuen Methoden?
Voraussetzung ist zum einen ein OP-Team, das – inklusive der involvierten Pflege – über die nötige Expertise verfügt, zum anderen muss die Infrastruktur gegeben sein, die von entsprechenden OPTürmen über die notwendigen Instrumente und Kameras reicht. Die Grundlage bildet der Wille des Trägers und aller Beteiligten. Um gute Ergebnisse zu erzielen, müssen natürlich alle Abläufe und Sicherheitsschritte der Chirurgie auch und besonders bei minimalinvasiven Eingriffen eingehalten werden. Die Expertise sollte durch das Lernen mit einem erfahrenen Operateur, aber auch durch Training am Modell erlangt werden. In der Praxis sollte die Anzahl der verwendeten Trokare nur schrittweise reduziert werden. Ergeben sich während der Operation Unsicherheiten, muss im Zweifelsfall immer ein zusätzlicher Trokar dazugenommen oder auch auf die offene Operation umgestellt werden. Dazu ist zu betonen, dass der Umstieg von MIC auf die offene Operation keine Komplikation, sondern eine Sicherheitsmaßnahme darstellt! Derzeit können mehr als 90 % aller als MIC geplanten Eingriffe auch als solche beendet werden; die Umstiegsrate hängt neben der Erfahrung unter anderem vom operierten Organ und vom Patientenkollektiv ab.
Nach welchen Kriterien wird für eine OP-Methode entschieden?
Das wichtigste Kriterium ist natürlich die Indikation beim individuellen Patienten. Ist diese gegeben, entscheidet die Expertise des Operateurs. Dabei ist zu betonen, dass es sich bei den unterschiedlichen Techniken nicht um Gegenspieler handelt. Vielmehr gilt es, sich bei der Operationsplanung für „die richtige Technik für den richtigen Patienten“ zu entscheiden.
Quelle: klinik OP, 1/2012