Weltweit gültige Vorschriften zum Schutz von Arbeitnehmern und der Umwelt münden zunehmend in einheitliche gesetzliche Vorgaben, wie etwa die Sorgfaltspflichten entlang der Lieferkette, Risikoanalysen und Maßnahmen, die das ESG-Engagement belegen. ESG steht für „Environmental, Social, Governance“ – Umwelt, Soziales und Unternehmensführung – und bildet die Klammer über das verantwortungsvolle Handeln eines Unternehmens. Und daran führt kein Weg mehr vorbei. Weltweit kommen neue Regularien hinzu, die Unternehmen dazu verpflichten, das Thema Nachhaltigkeit weiter voranzutreiben und ambitionierte Klimaziele umzusetzen. So fokussiert sich die Europäische Kommission mit dem Green Deal auf den Umwelt- und Klimaschutz. Das Konzept sieht vor, dass die Netto-Emissionen von Treibhausgasen in der EU bis 2050 auf null reduziert werden sollen. Die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) der Europäischen Kommission soll Unternehmen ab 2023 zu einer neuen Nachhaltigkeitsberichterstattung verpflichten. Dann werden deutlich mehr Unternehmen ihre Umwelt-, Sozial- und Arbeitnehmerstandards offenlegen müssen als bisher. Das Lieferkettengesetz nimmt deutsche Unternehmen in die Verantwortung, Menschenrechte und Umweltstandards entlang der Lieferkette einzuhalten. Doch aus einer Umfrage von Forrester Consulting im Auftrag von Dun & Bradstreet geht hervor, dass die Vorteile von Investitionen in ESG-Strategien weit über die Vermeidung von Geldstrafen für die Nichteinhaltung von Vorschriften hinausgehen. Gleichzeitig wollen 72 % der Befragten standardisierte Benchmarks, 71 % benötigen Hilfe bei der Automatisierung von ESG-Daten, um die Berichterstattung zu rationalisieren.
Österreichs Wirtschaft und auch die Medizinprodukte-Branche haben sich schon seit Jahren dem Thema Nachhaltigkeit verschrieben. Viel passiert bereits in den Unternehmen, eine strukturierte Erfassung und Dokumentation fehlt hingegen noch häufig. So zeigt etwa eine Befragung des Beratungsunternehmens EY, dass kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) – sie machen den Großteil der heimischen Wirtschaft aus – noch viel Arbeit vor sich haben. Nur ein Drittel dieser Betriebe hat zum Beispiel eine schriftlich verankerte Nachhaltigkeits- und Klimastrategie. Rund vier von zehn Befragten (38 %) haben überdies keinen Maßnahmenplan, um Klimaneutralität zu erreichen, und planen auch nicht, einen solchen zu erstellen. Es ist buchstäblich fünf vor zwölf, denn Gesetzesinitiativen, unter anderem die Corporate Sustainability Reporting Directive, das Lieferkettengesetz oder die EU-Taxonomie- Verordnung werden ESG-Vorgaben einfordern.
Die Medizinprodukte-Branche ist gut gerüstet, denn die AUSTROMED hat die „Arbeitsgruppe Nachhaltigkeit“ gegründet, um die Branche zu unterstützen. „Wir wollen faktenbasierte Grundlagen schaffen und Wege zur Nachhaltigkeit an die Mitgliedsunternehmen kommunizieren“, sagt Sebastian Mörth, Sprecher der Arbeitsgruppe. Ziel ist es, nicht nur über die legistischen Entwicklungen zu informieren, sondern das Thema proaktiv zu bearbeiten. Das heißt zum Beispiel, auf Spannungsfelder hinzuweisen: „Wir wollen als Medizinprodukte-Industrie natürlich sozio-ökonomisch verträglich arbeiten, jedoch stehen die Sicherheit der Patienten und die Versorgungsicherheit an erster Stelle unserer Mission“, so Mörth. Praktische Arbeitsunterlagen sollen gerade KMUs die Arbeit erleichtern. Ein Know-how-Pool trägt zum Austausch bereits erprobten Wissens bei.
Diese praktischen Handreichungen sind enorm wichtig, denn: „Die aktuelle Stimmung entspricht eher einer kollektiven, aber immerhin zumeist positiven Verwirrtheit“, bringt es die Unternehmensberatung Dun & Bradstreet in ihrem ESG-Strategiepapier auf den Punkt. Aus Sicht der Experten ist es gar nicht so einfach, die harten ESG-Kennzahlen mit weichen Faktoren wie sozialer Gerechtigkeit unter einen Hut zu bringen. Dabei legen die Beratungsexperten großen Wert auf die Tatsache, dass wirtschaftlich erfolgreiches Handeln und Verantwortung oder Sinnstiftung kein Widerspruch sein dürfen.
Für die betriebswirtschaftliche Messbarkeit gibt es bereits verschiedene Benchmarks, denen Rahmenwerke wie die Prinzipien für verantwortliches Investieren und die 17 nachhaltigen Entwicklungsziele der Agenda 2030 der Vereinten Nationen zugrunde liegen.
Um vage Begriffe handfest zu machen, entwickelt etwa der Börsenbetreiber Nasdaq gemeinsam mit dem Sustainable Finance Lab (SFL) einen Satz ESG-Kennzahlen, die über den CO2-Fußabdruck hinausgehen und weitere Faktoren einschließen, etwa Demokratieentwicklung, Menschenrechte, soziale Folgen und Geschlechtergerechtigkeit. Laut Kent Eriksson, Professor am Royal Institute of Technology und Direktor des SFL, sind gute Absichten löblich, aber noch mehr zählt, den Fortschritt anhand relevanter, standardisierter Kennzahlen zu messen. „Wenn sich Effekte messen und beziffern lassen, ist es auch möglich, sie finanziell zu bewerten“, so Eriksson in einem Bericht, den das Entrepreneurship and Small Business Research Institute veröffentlicht hat.
Messbarkeit verlangte auch Investorin und Wirtschaftsexpertin Shefali Roy im Rahmen einer Keynote bei der Veranstaltung Power of Data von Dun & Bradstreet. „Ethik ist ein Spektrum. Aber wenn Ethik ein Preisetikett erhält und die Kosten der Nicht-Compliance eingerechnet werden, ist der Blick darauf gleich ein anderer. Dann heißt es: Das machen wir, weil es richtig ist und weil es für uns als Unternehmen von Nutzen ist.“
Ein ESG-zentriertes Firmenethos steht von vielen Seiten unter Druck: Stakeholder, Mitarbeiter, Lieferanten und Investoren wollen von ESG-Kriterien überzeugt werden. Laut einer von IBM durchgeführten Umfrage betrachten 71 % der Beschäftigten und Arbeitssuchenden weltweit umweltfreundliche Unternehmen als die attraktiveren Arbeitgeber.
„Konkret sein“ ist auch für Mörth das Gebot der Stunde, denn: „Greenwashing unterstützen wir nicht.“ Und das mit gutem Grund, denn echtes Engagement und sichtbarer Output sind gefragt und das erfordert klare Ziele und ihre konsequente Verfolgung. „Nachhaltigkeit um jeden Preis darf nicht das Ziel sein. Es braucht einen pragmatischen Ansatz, der unser Kerngeschäft nachhaltiger macht, ohne unseren Auftrag aus den Augen zu verlieren: Patienten gut und sicher zu versorgen. Dazu benötigen wir ein einfaches und vernünftiges System, damit Medizinprodukte-Unternehmen zu überschaubaren Kosten ihre Nachhaltigkeitsbeweise erbringen können.“