Herausfordernde Rahmenbedingungen sorgen einerseits dafür, dass es Innovationen zunehmend schwerer haben, zum Anwender und zum Patienten zu kommen. Gleichzeitig haben „intelligente“ Produkte größere Chancen sich durchzusetzen. Warum das so ist, erklärt Univ.-Prof. Dr. Lars-Peter Kamolz, MSc, Leiter von COREMED – Kooperatives Zentrum für Regenerative Medizin.
Die JOANNEUM RESEARCH Forschungsgesellschaft mbH entwickelt Lösungen und Technologien für Wirtschaft und Industrie in einem breiten Branchenspektrum. In ihrem Zentrum für Regenerative Medizin „COREMED“ am MedCampus Graz liegt der Schwerpunkt auf medizinischer Grundlagenforschung sowie präklinischer und klinischer Forschung, die sehr eng mit Partnern der Industrie kooperiert und gleichzeitig mit der nationalen und internationalen Forschungslandschaft sehr gut vernetzt ist.
Welche Schwerpunkte mit Fokus auf Medizinprodukte werden bei COREMED gesetzt?
Grundlagenforschung hat einen großen Schwerpunkt im Bereich Inflammation, und damit bei Themen wie Wundheilung und Narbenbildung. Wir wollen diese Prozesse besser verstehen. Daraus entstehen dann in Kooperation mit der Industrie neue Produkte sowie Therapiemöglichkeiten.
Der zweite Bereich, der für die Medizinprodukte-Unternehmen von Bedeutung ist, sind Produkttests. Gerade im Hinblick auf die neuen EU-Verordnungen MDR und IVDR sind Nachweise zur Funktion, Sicherheit, Qualität und Wirkungsweise von Medizinprodukten von zunehmender Wichtigkeit. Hier arbeiten wir auch intensiv mit Abteilungen der plastischen Chirurgie zusammen, sodass die Grundlagenforschung direkt zum Anwender kommt und das Feedback rasch wieder in die Praxis der Betriebe zurückgespielt wird. Mediziner, die täglich am Patienten arbeiten, kennen die Bedürfnisse sehr genau. In der Wundbehandlung gibt es schon sehr viele Produkte, die aus derartigen Kooperationen entstanden sind.
Österreich gilt eher als innovations- und wissenschaftsskeptisches Land. Welchen Stellenwert haben Innovationen im Gesundheitswesen unter diesem Aspekt?
Hier passiert schon ein Umdenken. Es geht nicht mehr darum, Wunden zu behandeln, sondern auch, sie zum Abheilen zu bringen, denn jeder Tag mehr Liegezeit kostet Leid und Geld. Daher sind zum Beispiel Innovationen im Bereich von Verbandsstoffen direkt kostenwirksam – im Spital, beim Personal und damit auch volkswirtschaftlich.
Die EU-Verordnungen MDR und IVDR legen die Latte für Innovationen hoch. Kommen neue Produkte überhaupt noch rechtzeitig zu den Patienten?
Ganz im Gegenteil. Ich denke, dass man nun viel stärker interdisziplinär entwickeln muss und damit intelligente Produkte größere Chancen bekommen und für Scheininnovationen gar nicht erst Zeit und Geld verschwendet wird. Natürlich sind die Anforderungen strenger geworden, das heißt aber, dass bewusster mit Innovationen umgegangen und viel mehr schon in der Planung vorweggenommen wird.
Was muss eine Innovation aus Sicht eines Mediziners „leisten“ können, um Kostensparpotenziale zu eröffnen?
Das ist ganz einfach an einem Beispiel erklärt: Ein moderner Verband soll nicht einfach eine Wunde abdecken, sondern muss schon mehr können, und zwar bei der Diagnose, der Therapie und der Wundheilung unterstützen. Sensor- und Indikatormaterialien können das. Damit schafft er mehr Komfort für Patienten und das Personal, denn niemand davon will täglich einen Verbandswechsel.
Was muss eine Innovation aus Sicht des Forschers „leisten“ können?
Forscher wollen etwas Neues, Bahnbrechendes entdecken und nachhaltige Veränderungen bewirken. Genau genommen haben wir das gleiche Interesse: Wir wollen Prozesse verstehen und Ergebnisse positiv verändern.
Was darf Innovation kosten und wer muss investieren?
Grundlagenforschung wird meist mit öffentlichen Geldern finanziert, sobald die ersten Anwendungen daraus entstehen, sind es oft Unternehmen, die sich beteiligen. Je früher eine Vernetzung stattfindet, desto besser. Das stellt sicher, dass die Forscher nicht an der Industrie vorbeientwickeln und die Industrie nicht an den Klinikern vorbeiarbeitet. Lange Zeit war es verpönt, mit der Industrie zu kooperieren, um die Unabhängigkeit der Forschung sicherzustellen. Mittlerweile haben wir aber alle erkannt, dass gute Kooperationen eine Grundlage sind, um auch praxistaugliche Ergebnisse zu erhalten. Wir brauchen beides – einen gewissen Grad an Unabhängigkeit, aber auch Wünsche und Vorgaben der Unternehmen.