„Interdisziplinarität“ ist ein zentrales Schlagwort – wo gibt es sie in der Chirurgie, wo fehlt sie und was fehlt konkret, um sie umzusetzen?
Interdisziplinarität hat sich in der Chirurgie zwangsweise durch die zunehmende Spezialisierung und Ausweitung konservativer und interventioneller Methoden und Therapien ergeben. Selbst innerhalb einer spezialisierten, chirurgischen Fachrichtung sind Subspezialisierungen nicht mehr wegzudenken, sodass das „gemeinsame Arbeiten am Patienten“ automatisch in den Vordergrund tritt. Beispiele für fachübergreifende Interdisziplinarität finden sich vor allem im onkologischen Bereich und weiten sich zunehmend auf andere Spezialgebiete wie Herz-, Gefäß- und Thoraxchirurgie, perioperative Medizin etc. aus. Schwierigkeiten bei der Umsetzung liegen in erster Linie in der Finanzierung, sodass es mitunter schwierig bis unmöglich wird, interdisziplinäre Ambulanzen zu führen, bei denen der Patient im Mittelpunkt steht und sich alle Disziplinen simultan um ihn bemühen.
Wie wichtig ist die Zusammenarbeit zwischen den Fachgesellschaften und wird das in der Praxis auch gelebt?
In Zeiten limitierter Ressourcen und steigender Ansprüche vonseiten des öffentlichen Gesundheitswesens ist ein Zusammenrücken der Fachgesellschaften unerlässlich. Galt es früher noch, sich von benachbarten Fachgesellschaften abzugrenzen und Tätigkeitsbereiche für sich in Anspruch zu nehmen, so ist dies heute und in Zukunft aufgrund limitierter Ressourcen nicht mehr möglich, sodass die Kooperation praktisch erzwungen wird. Die erwähnte Interdisziplinarität ist ein Teil davon. Die Tatsache, dass ein Präsident einer assoziierten Fachgesellschaft das Amt des Präsidenten der Chirurgie ausübt, ist ein weiterer wichtiger Aspekt, der diese Kooperationen weiter verstärken soll.
Das Motto des Kongresses ist „Innovation trifft Reformation“. Was bedeutet für Sie in diesem Zusammenhang Innovation?
Innovation wird sehr oft gleichgesetzt mit Erfindung, wobei in erster Linie ein Produkt oder eine Technik gemeint ist. Innovation steht jedoch ganz allgemein für einen Erneuerungsprozess, der auf den ersten Blick nicht unbedingt mit Erfolg gleichzusetzen ist. Viele Innovationen haben eine lange Durststrecke zu überstehen, bis sie von Erfolg gekrönt sind. Während die Entwicklung und Einführung neuer Produkte gut nachvollziehbar sind, sind Erneuerungsprozesse durch systematische Wissensgenerierung in Form von multizentrischen Studien schwierig umzusetzen, jedoch auf Dauer nachhaltiger, weil sie nicht den Produktionszyklen der Wirtschaft unterliegen. Ein gutes Beispiel für kontinuierliche Innovation in unserem Gesundheitssystem ist die weltweit anerkannte Mammakarzinomstudie, die über Jahrzehnte hinweg kontinuierlich durch multizentrische und interdisziplinäre Beteiligung zu einer Erneuerung und Verbesserung in der Behandlung dieser Entität geführt hat.
Helfen Innovationen Kosten sparen oder verursachen sie Kosten?
Im Prinzip helfen sie sparen, da Erneuerungsprozesse immer auf Evidenz und Einsparung von Ressourcen ausgerichtet sein sollen. Da jedoch zunehmende Prozessdifferenzierung wesentlich mehr Komplexität beinhaltet und auch im technischen Bereich die Grenze des Machbaren sich immer weiter nach oben verschiebt, bedarf es großer Anstrengungen, die damit assoziierte Kostenexplosion zu verhindern. Auch wenn diese Kostenschere heutzutage bei jeder neuen Entwicklung berücksichtigt wird, ist die Kosteneffizienz oft für den Krankenhausträger nicht unmittelbar nachvollziehbar, weil der Benefit nicht in seinem Entscheidungsbereich wirksam wird.
Kommen Innovationen beim Patienten auch an oder ist es schwierig, sie aus der Forschung in den Markt zu bekommen?
Die Hürden für die Einführung neuer Produkte werden durch Regulationen immer höher, sodass es für kleinere Institutionen oder gar Einzelkämpfer schwierig bis unmöglich wird, neue Erfindungen zum Patienten durchzubringen. Dies führt auch dazu, dass Forscher von vornherein die Kooperation mit der Industrie suchen, um im Wettlauf der Umsetzung neuer Ideen erfolgreich zu sein und die Innovation an den Patienten zu bringen.
Kann interdisziplinäre Zusammenarbeit Innovationen – oder kreative Ideen – fördern?
Bewegung und Spannung treten immer im Bereich von Grenzflächen auf. Ich halte interdisziplinäre Zusammenarbeit nicht nur für notwendig und zweckdienlich, sondern sehe darin einen Jungbrunnen für kreative Ideen. Kreative Ideen entstammen immer aus Problemstellungen, die in Zeiten zunehmender Komplexität nur in einer Gruppe erarbeitet werden können und damit auch eine vielschichtige Abdeckung der Problemlösung garantieren.
Welche Highlights dürfen Besucher am Kongress erwarten?
Neben technologischen Themen wie Translationale Forschung und Tissue Regeneration sowie Roboter und Virtuelle Realität sind interessante Beiträge in Bezug auf interdisziplinäres Notfallmanagement sowie Gesundheitsökonomie zu erwarten. Aber auch die Ausbildung unter den neuen Bedingungen des Arbeitszeitgesetzes wird unter Einbeziehung der Erfahrungen in Deutschland und der Schweiz breit erörtert, um innovative Lösungen herauszuarbeiten.