Können Sie uns einen kurzen Abriss der wesentlichen Meilensteine seit der Gründung geben?
Historisch gab es bereits unter Maria Theresia mit der „Sanitätshofdeputation“ eine Vorläuferinstitution mit entsprechenden Kommissionen in den Kronländern. Die Gründung des OSR erfolgte 1870 im Reichssanitätsgesetz. Einer der ersten Vorsitzenden war Karl Rokitansky. Der OSR war zum Beispiel mit der Wiener Choleraepidemie 1873 während der Weltausstellung oder dem letzten Pestfall in Wien 1898 befasst und gab auch die Zeitschrift „Das österreichische Sanitätswesen. Zeitschrift für die Veröffentlichungen des k.k. obersten Sanitätsrates.“ heraus. Meine direkten Vorgänger waren der Herzchirurg Ernst Wolner und die Anästhesistin Sylvia Schwarz (2014–2018). In meiner nunmehr dritten Amtsperiode wurden der Innsbrucker Herzchirurg Michael Grimm und die Bioethikerin Christiane Druml als Stellvertreter gewählt.
Welchen Stellenwert hat für Sie der Oberste Sanitätsrat heute in der heimischen Gesundheitspolitik?
Der Oberste Sanitätsrat ist das gesetzlich vorgesehene Beratungsgremium des Bundesministeriums für Gesundheit. Der OSR berät den Bundesminister für Gesundheit in wissenschaftlichen Angelegenheiten des Gesundheitswesens, die in seinen Wirkungsbereich fallen, durch die Abgabe von Empfehlungen.
Hat sich durch die Pandemie etwas an den Aufgaben verändert?
Der OSR war kurioserweise von 1.1.2020 bis 19.3.2021 vakant und aufgrund einer fehlenden Nachbesetzung durch die damals zuständige „Beamtenregierung“ nicht konstituiert. In den letzten beiden Jahren stand die Bekämpfung der Pandemie im Vordergrund der Arbeit des OSR. Im Laufe der Zeit wurden Covid-Arbeitsgruppen und Task Forces in den OSR integriert. Eine wichtige Initiative der vergangenen OSR-Periode, abseits der durch die Pandemie entstandenen Herausforderungen, war die Ausweitung der Kostenübernahme für die HPV-Impfung seit 1.2.2023 bis zum 21. Lebensjahr.
Als Präsident wurden Sie einstimmig wiederbestellt – was bedeutet Ihnen persönlich diese Position?
Ich sehe die einstimmige Wiederbestellung persönlich als großen Vertrauensbeweis und ganz allgemein als Signal, dass die medizinischen Universitäten wichtige Fundamente des österreichischen Gesundheitssystems sind.
Wird sich in Ihrer neuen Amtsperiode etwas verändern? Wenn ja, was?
Das Thema Pandemie wird nach derzeitigem Ermessen nicht mehr das dominante Thema der neuen Amtsperiode sein. Stattdessen wird das Thema „Digitalisierung“ im Fokus stehen, neben den anderen wichtigen Themen, die durch die Pandemie in der letzten Periode in den Hintergrund gedrängt worden sind.
Was sind konkret neue Aufgaben des OSR?
Die Beratung des Bundesministers wird sich aktuell auf das bereits genannte Thema Digitalisierung, aber auch die Frage der Kapazitäten von Intensive Care Units (ICU) beziehen.
Thematisch befasst sich der Oberste Sanitätsrat derzeit mit der Digitalisierung im Gesundheitswesen. Woran wird konkret gearbeitet?
Konkret geht es vor allem um die Einrichtung objektiver Datenstellen und die Frage, wie Gesundheitsdaten am besten nutzbar gemacht werden können. Die Basis dafür liegt im EU Data Governance Act und dem European Health Data Space begründet.
Kann die Digitalisierung Versorgungsengpässe entschärfen?
Digitalisierung sollte jedenfalls eine administrative und inhaltliche Unterstützung für im Gesundheitssystem Beschäftigte, also „Health Care Workers“, sein. Darüber hinaus wird sich die Praxis der Medizin durch erweiterte Digitalisierung – Stichwort „Artificial Intelligence“ – nachhaltig verändern. Mein persönlicher Buchtipp zu diesem Thema ist „Deep Medicine: How Artificial Intelligence Can Make Healthcare Human Again“ von Eric Topol aus 2019.
Die intensivmedizinischen Kapazitäten sind ebenfalls ein neuer Aufgabenbereich. Was ist hier das To-do des OSR?
Hier geht es vor allem um Planung und Erfassung der Kapazitäten in den Intensivstationen sowie die Abstufung der Versorgung. Dass das in Österreich, nicht zuletzt aufgrund der fragmentierten Daten und Verantwortlichkeiten, keine Selbstverständlichkeit ist, haben wir allein während der Pandemie schmerzlich erfahren. Die ICU-Daten sollten harmonisiert erfassbar sein und das Arbeitsumfeld im Intensivbereich muss für Health-Care-Worker attraktiver werden.
Auch Long Covid steht auf Ihrer Agenda. Was soll hier bis wann auf der Ergebnisliste stehen?
Eine eigene Arbeitsgruppe wurde eingerichtet und wird Vorschläge zu inhaltlichen und organisatorischen Aspekten von Long Covid liefern.