Was sind die zentralen Themen, die für 2023 im Ausschuss auf der Agenda stehen?
Im Gesundheitsbereich steht für mich nach wie vor die Aufarbeitung der Corona-Pandemie ganz oben auf der Agenda. Corona hat die EU unvorbereitet getroffen und so etwas darf uns nie wieder passieren. Es gibt schon einige Fortschritte und Verbesserungen, wie etwa die Stärkung der EU-Gesundheitsagenturen – der Weg muss aber ganz klar in Richtung einer echten Gesundheitsunion gehen und da bleibt noch viel zu tun. Gleichzeitig müssen wir uns aber auch um die chronischen Probleme im Gesundheitsbereich kümmern. Dazu gehört für mich auch der Kampf gegen die immer weiter steigende Anzahl der Krebserkrankungen in ganz Europa. Auch da hat die EU reagiert und eine Strategie erstellt. Da gibt es aber noch Entwicklungspotenzial, insbesondere im Hinblick auf den Umgang mit Umweltgiften und Pestiziden sowie ihre Auswirkungen für die menschliche Gesundheit. Es muss endlich allen klar sein, dass alles, was wir in die Natur einbringen, letzten Endes auf unserem Teller und damit in unserem Körper landet – und da haben Umweltgifte absolut nichts verloren. Deshalb setze ich mich für eine EU-Forschungsstrategie für nachhaltige und ökologische Pestizid-Alternativen ein.
Hat die Pandemie das Denken der EU zum Gesundheitswesen verändert?
In der Pandemie haben wir ganz klar gesehen, dass jene Mitgliedsstaaten, die ihr Gesundheitssystem nicht kaputtgespart und ausgedünnt haben, besser durch diese Krise gekommen sind. Gleichzeitig hat sich gezeigt, dass nationale Alleingänge, die vor allem zu Beginn der Pandemie auf der Tagesordnung waren, brandgefährlich sind. Daraus ergeben sich auch die wichtigsten Lehren aus der Pandemie: Die neoliberalen Sparphantasien im Gesundheitsbereich haben ausgedient. Wir müssen zurückkommen zum Vorsorgedenken, das Europa immer ausgezeichnet hat. Und wir müssen uns besser vernetzen, um eine effektive Zusammenarbeit im Fall einer neuen Gesundheitskrise sicherzustellen. In diesem Bereich ist in den letzten Monaten schon vieles gelungen. Die Rückkehr zum Vorsorgedenken ist aber ein langfristiger Prozess.
Die Versorgungssicherheit war immer wieder ein großes Thema in den letzten Jahren. Sehen Sie das Problem gelöst, wenn eine neuerliche Pandemie auf uns zukommt?
Die Versorgungssicherheit ist ein entscheidender Teil des Vorsorgedenkens. Aber die Herausforderungen in diesem Bereich lassen sich nicht im Handumdrehen lösen. Wir haben uns zu lange darauf verlassen, dass alles, was wir brauchen, in anderen Teilen der Welt hergestellt wird und praktisch auf Knopfdruck zu unserer Tür geliefert wird. In der Pandemie haben wir gesehen, dass wir uns auf diese Lieferketten nicht verlassen können. Der Krisenvorsorge und dem Krisenmanagement in Bezug auf Arzneimittel und Medizinprodukte muss stärkere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Daher muss die EU jetzt damit beginnen, die Abhängigkeiten zu reduzieren und wichtige Produkte wie Arzneimittel und medizinische Bedarfsgüter selbst herzustellen. Dazu braucht es ein viel besseres Forschungsumfeld mit einem intensiven Austausch zwischen privater und öffentlicher Forschung.
Die MDR und IVDR sind nach wie vor für die Unternehmen der Medizinprodukte-Branche schwer zu stemmen und hemmen Innovationen – wie beurteilen Sie diese Entwicklung?
Diese Regelungen muss man auch vor dem Hintergrund ihrer Entstehung sehen. Da gab es gravierende Probleme mit der Produkt- bzw. Patientensicherheit. Das war der Auslöser für die verschärften Regelungen und Kontrollmechanismen. Jetzt hat sich gezeigt, dass es durch die Neuregelung zu Versorgungsengpässen kommt, auf die wir im EU-Parlament vor wenigen Tagen mit einer Verlängerung der Übergangsfristen reagiert haben. Das zeigt, dass auch auf europäischer Ebene die Regeln weiterentwickelt werden, um den Schutz der Patienten zu gewährleisten und den Unternehmen diesen Übergang zu erleichtern.
Wie ist der Status quo zu einem Lieferkettengesetz und welche Auswirkungen hat das aus Ihrer Sicht auf das Gesundheitswesen?
Die Kommission hat mit einiger Verspätung erst letztes Jahr einen Vorschlag für ein Lieferkettengesetz vorgelegt, der aber aus meiner Sicht nicht weitreichend genug war. Es muss endlich sichergestellt werden, dass wir die Menschen und die Natur vor Ausbeutung schützen. Deshalb haben wir vor wenigen Tagen im Umweltausschuss für einen neuen Kompromiss gestimmt, mit dem vor allem beim Schutz der Umwelt nachgebessert wird. Das ist natürlich auch für den Gesundheitsbereich relevant, weil man dann auch in diesem Bereich genau prüfen muss, unter welchen Bedingungen Produkte hergestellt und transportiert werden. Da geht es um zusätzliche Sorgfaltspflichten, mit denen sichergestellt werden muss, dass es etwa bei der Herstellung chemischer Produkte zu keiner Verunreinigung der Böden und Gewässer kommt.
Welche Chancen oder Gefahren sehen Sie beim Thema Digitalisierung und Gesundheit?
Natürlich gibt es viele Möglichkeiten im Zusammenhang mit der Digitalisierung. Von der besseren Vernetzung der Gesundheitsdienstleister und in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit bis hin zur personalisierten Information über Leistungsangebote. Aber bei alledem muss auch klar sein, dass der Schutz dieser hochsensiblen persönlichen Daten oberste Priorität haben muss und auch, dass gerade im Gesundheitsbereich der persönliche Kontakt zu Recht einen hohen Stellenwert hat, der nicht einfach so ersetzt werden darf.
Was wünschen Sie sich für die EU-Gesundheitspolitik 2023?
Wir müssen jetzt die Grundlagen für die angesprochenen Entwicklungen legen: für eine echte Gesundheitsunion, für die Verringerung von Abhängigkeiten bei der Versorgung mit Arzneimitteln und medizinischen Bedarfsgütern und für einen ganzheitlichen Ansatz in der Prävention von Gesundheitsrisiken. Kurz gesagt: Das Vorsorgedenken muss in allen Politikbereichen gestärkt werden und dafür ist genau jetzt der richtige Zeitpunkt.