Wenn 1+1 mehr als 2 ist

Mit einem Einblick in „beide Welten“ eröffnete DI Josef Schabauer, AUSTROMED-Mitglied, eine spannende Diskussionsrunde im Rahmen des MedTech Forums. Er ging in seiner Keynote der Frage nach, wie Kooperationen zwischen traditionellen Medizinprodukte-Unternehmen und Start-ups eine Win-win-Situation schaffen können, sodass beide Seiten innovativer und wettbewerbsfähiger werden. Schabauer kennt beide Welten genau: Er ist Absolvent der Universität für Bodenkultur mit jahrzehntelanger Erfahrung als Managing Director sowie im Business Development in der Gesundheitsindustrie, mehrheitlich bei Abbott Laboratories, und weiß: „Während für die einen der Zugang zu neuen Technologien, eine flexible Unternehmensstruktur und hohes Risikopotenzial zum Tagesgeschäft gehören, können die anderen die erforderlichen Ressourcen, Finanzmittel sowie bestehende Netzwerke einbringen.“ Kooperationen zwischen Start-ups und globalen Unternehmen können einen Transfer von Technologien und Lösungen ermöglichen und die Chancen erhöhen, dass diese Lösungen auch bei den Patienten und medizinischen Fachkräften ankommen. „Heimische Start-ups haben gute Ideen, sind smart und innovativ. Kommen die Ideen dann aber in die Phase klinischer Studien, fehlt es meist an Geld und Know-how, wie man das Produkt bis zur Marktreife bringt, oder um Fragen der Evaluierung und Patentierung zu beantworten. Hier können dann etablierte Unternehmen ihre Vorteile ausspielen“, ist der Experte überzeugt. Jungen Unternehmen fehlt es auch häufig an Produktionskapazitäten, während hingegen eingesessene Betriebe selten auf disruptive Technologien oder Innovationen vertrauen und oft nicht bereit sind, entsprechende Risiken einzugehen. Kurz gesagt: Die einen können nicht ohne die anderen und gemeinsam ergeben sie mehr als das Ganze.

Phasen der Zusammenarbeit

Als Beispiel für eine gemeinsame Forschungs- und Entwicklungsarbeit verweist Schabauer auf DirectSens, ein Start-up, das von fünf Absolventen der Universität für Bodenkultur Wien gegründet wurde. Während ihrer wissenschaftlichen Karriere mit intensiver Forschung in den Bereichen Enzymologie und Biosensoren wurden die Gründer auf vielversprechende Innovationen aufmerksam, die nie kommerziell genutzt wurden. Die patentierten Forschungsergebnisse zum Enzym Cellobiose dehydrogenase (CDH) und dessen mögliche kommerzielle Verwendung in Biosensoren zur Analyse von Kohlenhydraten zeigten so viel Potenzial, dass sie mit DirectSens selbst die Initiative ergriffen. Die Zusammenarbeit umfasst Phasen der gemeinsamen technischen und klinischen Entwicklung bis zum Launch der Produkte am Markt.

Wer Kooperationen im Vertrieb und in der Kommerzialisierungsphase sucht, wird bei Piur Imaging fündig, einem Unternehmen, das als Add-on-Solution aus herkömmlichen Ultraschallbildern 3-D-Bilder generiert. Schließlich präsentiert Schabauer noch das Modell von Anteilseigentümern, wie etwa bei FIANOSTICS, einem Start-up, das eine völlig neue Generation von Fluoreszenz-Assays entwickelt und produziert und von Österreich aus weltweit patentiert hat. Schabauers Empfehlungen aus seiner bisherigen Erfahrung lauten: „Handeln Sie global und nicht lokal. Es ist wichtig, die Strukturen großer Player zu kennen, um rasch die Entscheidungsträger zu identifizieren, und dann geht der Weg nur top-down.“ Ebenfalls empfiehlt er Start-ups, ein Netzwerk mit Experten der MedTech-Branche aufzubauen und dazu ein hochqualitatives Pitch-Deck in der Tasche zu haben, das die Eckpunkte der Idee und des Unternehmens darstellt.

Sichtbar werden!

Die Sicht der Start-ups brachten Vertriebsleiter Dr. Luca F. Ticini von Brightmind.AI, Tamás Petrovis, MSc, Geschäftsführer und Co-Gründer von XUND, Bernhard Redl, Geschäftsführer von edupression.com, und Nayeli Schmutz, Med. Pract., Chief Medical Officer und Co-Gründerin von PIPRA, in die Diskussion ein. „Das Recruitment für klinische Studien war schwierig“, erinnert sich Ticini und ergänzt: „Mit entsprechendem Budget und einer gewissen Bekanntheit findet man leichter Kliniken. Dazu muss man im Vorfeld viel Vertrauen aufbauen.“ Ein echter Profi in Sachen Kooperationen ist Petrovis, der bereits mit großen Versicherungen zusammenarbeitet. „Zu Beginn muss man die Pain-Points der Partner kennen und dafür klare Lösungen ausarbeiten, die bei den großen Unternehmen inhouse nicht abgedeckt werden können“, rät er zu viel Recherchearbeit. Auch Schmutz sieht den Aufwand vor allem im Vorfeld: „Man muss netzwerken und zu jedem Pitch gehen, der möglich ist. Versuch deine Produkte und das Unternehmen bekannt zu machen, ist mein Tipp.“

Da Start-ups immer limitierte Ressourcen haben, ist Petrovis überzeugt, dass man von Anfang an herausfinden muss, welche Kooperationen zielführend sein werden und welche nicht. „Fokussiere dich auf jene Kontakte, die dich weiterbringen“, lautet sein Tipp. Redl kann mit seiner App, einem digitalen Depressionstherapieprogramm, bereits Erfolge verbuchen und auf viel Know-how im Zulassungsprozess verweisen, denn in Deutschland ist die App als digitale Gesundheitsanwendung auf Rezept erhältlich. Sein Tipp: „Bleiben Sie mit den Behörden immer im Austausch, und zwar schon möglichst früh im Entwicklungsprozess.“

Fotos: © Oliver Miller-Aichholz