Wer billig kauft, kauft teuer

Das Vergaberecht hat in Österreich eine noch kurze Tradition, doch eine steigende Bedeutung, denn etwa die Hälfte der Ausgaben des Staates am Bruttoinlandsprodukt entfällt auf Einkäufe, die Bund, Land, Gemeinden oder öffentliche Einrichtungen bei privaten Unternehmen tätigen. Die Grundlage dafür ist in Österreich das Bundesvergabegesetz 2018 (BVergG 2018), das am 21.8.2018 in Kraft getreten ist. Es gilt für alle Branchen, die der öffentlichen Hand Waren oder Leistungen anbieten, demnach auch für alle Medizinprodukte-Unternehmen. Es gilt auch unabhängig davon, welche Leistung zum Beispiel ein öffentliches Krankenhaus einkauft: Ob Schreibtische, Verbandsmaterial oder Computertomografen – das BVergG setzt den Rahmen dafür und soll die Wünsche der Anwender, die Hoffnungen der Patienten, die Erwartungen der Unternehmen und die Ansprüche der Gesundheitspolitik unter einen Hut bringen. Dieses Spannungsfeld macht bereits deutlich, dass die Umsetzung des Vergaberechts durchaus breiten Raum für Diskussionen eröffnet.

Faktencheck − Billigst- und Bestbieterprinzip
Billigstbieterprinzip: Der Zuschlag erfolgt auf Basis des geringsten Preises unter Berücksichtigung von minimalen, technisch akzeptierbaren ­Anforderungen und Eignungskriterien.
Bestbieterprinzip: Es zielt auf eine umfassendere Bewertung von Qualitäts- und anderen Zuschlagskriterien von Gütern, Arbeiten und Dienstleistungen ab, als es durch das Billigstbieterprinzip vorgesehen ist. Das Bestbieterprinzip wird auch als Konzept des „wirtschaftlich günstigsten Angebots“ bezeichnet, weil jenes Angebot den Zuschlag erhalten soll, das die wirtschaftlich beste Lösung enthält.

 

Innovationen gezielt fördern

Das Vergaberecht schreibt unter anderem fest, dass keiner der Anbieter diskriminiert werden soll, die Preise angemessen sein und nur leistungsfähige und zuverlässige Unternehmer zum Zug kommen sollen. Dass die Grundsätze der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit sowie der Transparenz der Beschaffungsprozesse bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen ganz weit oben stehen müssen, versteht sich von selbst. Was in der Theorie verständlich und einfach handhabbar klingt, kann in der Praxis durchaus zu einer Herausforderung für die Bieter werden. „Die Medizinprodukte-Branche ist in vielen Bereichen Innovator, wird aber durch die Bürokratisierung der Geschäftsprozesse in ihrer Vorreiterrolle stark eingeschränkt“, ist Mag. Philipp Lindinger AUSTROMED-Geschäftsführer überzeugt und ergänzt: „Das Wichtigste ist, dass wir eine Beschaffung im Gesundheitswesen haben, die sich am Wohl der Patienten orientiert.“ Das Bundesvergabegesetz 2018 kennt elf unterschiedliche Vergabeverfahren, eines davon ist die sogenannte Innovationspartnerschaft. Dabei geht es um die Entwicklung und den anschließenden Kauf innovativer Liefer-, Bau- oder Dienstleistungen, wenn der bestehende Bedarf nicht durch bereits auf dem Markt verfügbare Lösungen abgedeckt werden kann. Die Innovationspartnerschaft ermöglicht es öffentlichen Auftraggebern, eine langfristige Zusammenarbeit mit einem oder mehreren Partnern für die Entwicklung und den anschließenden Erwerb neuer, innovativer Leistungen zu begründen, ohne dass ein getrenntes Vergabeverfahren für den Kauf erforderlich ist.

Im internationalen Wettbewerb

Die zentrale Forderung an Beschaffungsprozesse ist, dass diese nach einem freien und fairen Wettbewerb stattfinden sollen, der marktwirtschaftlichen Grundsätzen folgt. Das heißt auch, Konkurrenz aus dem Ausland zuzulassen. „Europa ist im internationalen Vergleich kein Technologieführer und macht sich nicht unberechtigte Sorgen, dass die Konkurrenz aus dem Ausland hierzulande ihre Produkte anbietet. Wenn wir aber die Lösung weiterhin in einem immer billigeren Preis sehen, dann wird das den Unternehmen die Innovationskraft abschnüren. Europa und gerade Österreich sind von vielen Klein- und Mittelbetrieben dominiert und ein regulatorisches Korsett, wie es das Vergaberecht in mancher Hinsicht ist, lässt keine großen Player entstehen“, kommentiert AUSTROMED-­Präsident Gerald Gschlössl die Situation. Das heißt nicht, dass die heimischen Betriebe dem Wettbewerb negativ gegenüberstehen, sondern vielmehr, dass auch ausländische Anbieter gefordert sind, die hohen Standards der Sicherheit, die hierzulande gelten, einzuhalten. „Wir wollen keine Nivellierung unserer hohen Anforderungen in Österreich nach unten“, sagt Gschlössl und nennt als Beispiel die Gewerbeberechtigung: „Ein österreichischer Medizinprodukte-Unternehmer muss nachweisen, dass er das erforderliche Know-how besitzt. Über die neuen EU-Verordnungen über Medizinprodukte und In-vitro-Diagnostika sind wir zusätzlich verpflichtet, eine Reihe von Nachweisen zu erbringen, die belegen, dass wir den Schutz und die Sicherheit von Patienten und Anwendern sehr ernst nehmen. Zusätzlich sind wir zum Beispiel verpflichtet, Qualitätsmanagementsysteme aufzubauen. Es ist uns im Sinne der Gleichberechtigung ein Anliegen, dass auch Unternehmen außerhalb Europas, die hierzulande ihre Produkte und Leistungen anbieten, mit gleichen Maßstäben gemessen werden, um die Patientensicherheit nicht zu gefährden und Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden.“, so Gschlössl.

KMU-Schutz verwirklichen

Im EU-Vergaberecht wird darauf hingewiesen, dass die Teilnahme kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU) an öffentlichen Vergabeverfahren erleichtert werden soll und es den Vergabestellen ermöglicht wird, die öffentliche Auftragsvergabe in stärkerem Maße zur Unterstützung gemeinsamer gesellschaftlicher Ziele zu nutzen. Der KMU-Schutz wird häufig von den praktizierten Ausschreibungskriterien unterminiert, wie zum Beispiel durch die Forderung nach Mindest-Haftpflichtversicherungssummen oder eine Mindestanzahl an ,Schlüsselpersonal‘. Vieles davon ist realitätsfern, und das obwohl in Österreich 95 % der heimischen Unternehmen zu den KMU zählen,“ so Gschlössl. „In diesem Sinn sollte zum Beispiel die Zusammenführung und Zentralisierung von Beschaffungen sorgfältig überwacht werden, um eine übermäßige Konzentration der Kaufkraft und Absprachen zu verhindern und damit KMU nicht vom Markt zu drängen“, formuliert Gschlössl die Forderungen der AUSTROMED. Die öffentliche Vergabe sollte insgesamt stärker an die Bedürfnisse von KMU angepasst werden. Dazu bietet sich der „Europäische Leitfaden für bewährte Verfahren zur Erleichterung des Zugangs kleiner und mittlerer Unternehmen zu öffentlichen Aufträgen“ an.

Qualität braucht neuen Stellenwert

In Zeiten immer knapper werdender Budgets bei gleichzeitig steigenden Gesundheitsausgaben ist es aus Sicht der AUSTROMED dringend notwendig, dass in Zukunft bei Vergabeverfahren zur Beschaffung von Medizinprodukten nicht mehr vorwiegend der Preis, sondern vor allem der Gesamtnutzen für die Patienten und in weiterer Folge für das Gesundheitswesen in den Fokus gerückt werden. „Die Entwicklung weg von einer derzeit fast ausschließlich preisgesteuerten, hin zu einer nutzenorientierten Beschaffung ist unumgänglich, schon allein unter dem Aspekt der zunehmenden Bedeutung von personalisierter Medizin. Diesen notwendigen Veränderungsprozess wollen wir als AUSTROMED im konstruktiven Dialog mit unseren Partnern aktiv mitgestalten“, bekräftigt Gschlössl und ergänzt: „Durch das verankerte, aber leider noch viel zu wenig gelebte Bestbieterprinzip wird der Qualität als Kriterium bei der Beschaffung von Produkten wieder der gebührende Stellenwert gegeben.“ Für die öffentliche Auftragsvergabe von Medizinprodukten fordert die AUSTROMED, nicht zuletzt zur Sicherstellung der rechtlichen Anforderungen aus dem Medizinproduktegesetz (MPG) und der Medizinproduktebetreiberverordnung (MPBV), daher die Einbeziehung von transparenten Leistungs- und Qualitätsmerkmalen als Eignungs-, Auswahl- und insbesondere als echte Zuschlagskriterien.

Aufholbedarf beim Bestbieterprinzip

Der Einsatz von medizintechnischen Innovationen gestaltet sich im Rahmen einer öffentlichen Beschaffung für das Gesundheitswesen meist schwierig, da Innovationen oft mit anfänglichen Mehrkosten verbunden sind. Die langfristigen Kosteneinsparungen werden in ­aktuellen Vergabeverfahren nicht bewertet – kurzfristige Kosteneinsparungen stehen im Vordergrund, auch wenn sie langfristig betrachtet zu höheren Gesamtkosten führen. Die in der Vergangenheit gewachsenen Strukturen im Gesundheitswesen sind nicht ausreichend auf eine Innovationsförderung ausgelegt. „Das ist natürlich kein Thema, das ein Krankenhaus allein lösen kann. Hier sind strukturelle Änderungen auf politischer Ebene erforderlich, die ein faires kompetitives Vergabeverfahren zur Ermittlung des wirtschaftlich günstigsten Angebotes ermöglichen“, beschreibt der AUSTROMED-Präsident die Hindernisse und ergänzt: „In der Vergabepraxis sehen wir Aufholbedarf in der Anwendung des Bestbieterprinzips. Oft wird dieses falsch verstanden, Qualitätskriterien werden nicht ausreichend ausformuliert. Die Leistungsverzeichnisse geben der Qualität der Medizinprodukte zu wenig Differenzierungsspielraum und nivellieren unterschiedliche, nicht vergleichbare Qualitäten auf ein scheinbar einheitliches Niveau. Neben einer geeigneten prozentualen Aufteilung von Qualität und Preis als Zuschlagskriterien braucht es auch ein System zur Gewichtung des Kriteriums „Qualität“. „Wenn wir das nicht schaffen, wird am Ende immer der niedrigste Preis entscheiden und die Anbieter werden sich mit einem versteckten Billigstbieterprinzip konfrontiert sehen“, ist auch Lindinger überzeugt. Die AUSTROMED fordert daher die ausschließliche Anwendung von Vergabeverfahren zur Auswahl des wirtschaftlich günstigsten Angebots mit Verzicht auf Feigenblattkriterien, um eine faire und transparente Vergabe unter Berücksichtigung einer langfristigen Gesamtkostenoptimierung zu ermöglichen. Der erste Schritt in Richtung einer Beschaffung im Gesundheitswesen, die sich am Arzt und Patienten orientiert, ist die Wahrnehmung einer innovativen Alternative mit einem verbesserten Behandlungserfolg. „Weniger lange Behandlungsdauer, weniger Schmerzen, weniger Arbeitsausfälle – all das sollte doch Grund genug sein, zu innovativen Produkten zu greifen, wenn damit langfristig mehr Vorteile für das Gesundheitswesen und den Steuerzahler zu erzielen sind“, so Lindinger.
MedTech Europe, der Dachverband der europäischen Branchenvertretungen der Medizintechnik-Industrie, und das Beraterunternehmen Boston Consulting Group, haben unter dem Titel „MEAT – Most Economically Advantageous Tender“ ein Konzept entwickelt, das die Forderungen der AUSTROMED bereits erfüllt und ein Kalkulationsschema zur Umsetzung zur Verfügung stellt. „Dabei werden der Patientennutzen, die Transparenz, die volkswirtschaftliche Betrachtung und die Bewertung aller Vorteile für die Patienten, Anwender und das Gesundheitssystem gleichermaßen berücksichtigt“, beschreibt Lindinger den Ansatz.

AUSTROMED STANDPUNKT

Die AUSTROMED fordert die Sicherung des österreichischen Wirtschaftsstandorts durch entsprechende Vergabekriterien. Das Motto lautet eindeutig: „Weg vom Billigstbieter- hin zum Bestbieterprinzip – und das ohne Ausnahme!“ Wir fordern die Aufrechterhaltung des Befähigungsnachweises als Ausübungs- und Qualifikationskriterium für Medizinprodukte-­Unternehmen sowie eine verstärkte Überprüfung der Gewerbeberechtigung. Wir benötigen Ausschreibungen, die sich am Wohl des Patienten orientieren, sonst wird kein Umdenken stattfinden.