In einem kleinen Land mit einem ebenso kleinen Gesundheitsmarkt und einer geringen Anzahl an Anwendern haben es innovative Anbieter nicht immer leicht. Es kommt daher nicht von ungefähr, dass die aktuelle IWI-Studie im Auftrag von AUSTROMED zeigt, dass sich Medizinprodukte-Unternehmen eine innovationsfreundlichere Kultur wünschen. Ganz klar hat sich gezeigt, dass ein Bewusstsein dafür entstehen muss, was es wirklich bedeutet, ein innovatives Medizinprodukt auf den Markt zu bringen. Wie das in der Praxis gelingen kann, erklärt Innovationsmarketingexpertin Mag. Olivia Lancerotto.
Was kann Innovationsmarketing leisten?
Bevor wir über den Nutzen sprechen, möchte ich eine Definition festlegen, worüber wir sprechen: Innovationsmarketing umfasst alle Marketingaktivitäten im Innovationsprozess mit dem Ziel, den Markterfolg sicherzustellen. Gibt es keinen Markterfolg, dann ist es lediglich eine Idee. Im Innovationsmarketing gibt es so wie im klassischen Marketing auch die „4P“ – das Produkt, den Preis, den „Place“ – das ist der Vertriebskanal – und die Promotion. Schon bei der Produktentwicklung ist also auf die Nutzerorientierung zu achten: Hier gilt es, den Mehrwert und den Sinn in den Mittelpunkt zu stellen und die Nutzer frühzeitig einzubinden.
Das Bewusstsein für diese Phase ist meist vorhanden, ist es doch eine typische Aufgabe des Innovationsmanagements. Die Schwierigkeit besteht jedoch darin, die richtigen Nutzer zu identifzieren und einzubinden. In der nächsten Phase ist das Community Building von zentraler Bedeutung, eine Komponente, die erst in den letzten Jahren in den Mittelpunkt gerückt ist. Es gibt nicht jede Woche eine Innovation, manche Ideen scheitern, manche brauchen lange, bis sie am Markt landen. In allen Fällen ist es nötig, rechtzeitig ein Netzwerk an Unterstützern aufzustellen und Menschen einerseits von der übergeordneten Vision, dem Ziel von Innovationstätigkeiten, und andererseits von der konkreten Idee und ihrer Umsetzung zu begeistern. Die letzte Phase, in der das Marketing wieder dringend gefragt ist, ist die Post-Innovation. Das Produkt oder die Idee ist geboren und wird gelauncht. Jetzt geht es darum, neue Zielgruppen mit passenden Botschaften anzusprechen. Und hier stoßen Unternehmen, meiner Erfahrung nach, auf besondere Herausforderungen.
Warum klappen die Maßnahmen gerade am Ende nicht so gut?
Weil die Verantwortlichkeiten meist nicht geklärt sind. In diesem Schritt liegt es nicht mehr in der Hand des Innovationsteams, sondern in der Kommunikation. Diese Schnittstelle ist schwierig, denn die Hemmschwelle der Innovationsverantwortlichen, ihre Innovation aus der Hand zu geben, ist vor allem bei sozialen Innovagtionen groß, das Marketing ist – im schlechtesten Fall – bisher noch gar nicht eingebunden worden und kennt die grundlegende Idee nicht. Die Folge: Meist sind dann keine Ressourcen für eine neue Kampagne, die diese Innovation benötigen würde, eingeplant. Innovationen sind meist auch Nischenthemen und keine Umsatztreiber, auf die man sich dann erst recht nicht konzentrieren kann. Dann werden die gewohnten Kommunikationsmaßnahmen gesetzt und man wundert sich, warum …
Oder um es mit einem Forbes-Zitat zu formulieren: „Doing the same old thing on the same old channels, that won’t cut it. Omnichannel is great, but proper channel is better, at least when it comes to innovation.“
Was kann man daraus lernen?
Innovationen benötigen zu Beginn ein hohes Maß an interner Kommunikation. Ich rate dazu, den Vertrieb, die Kommunikation und die Stakeholder innerhalb aber auch außerhalb des Unternehmens schon sehr früh einzubinden und eine Zusammenarbeit auf die Beine zu stellen. Wir hoffen oft, mit traditionellen Maßnahmen auch eine Innovation auf die Beine zu bringen. Doch neue Ideen haben neue Kunden, neue Botschaften oder neue Preise. Ohne neues Kommunikationskonzept wird es dann auch nicht erfolgreich funktionieren.
Sehr früh sehr viel zu veröffentlichen birgt das Risiko, dass die Konkurrenz auf den Plan tritt. Wie löst man dieses Problem?
Es ist immer eine Gratwanderung, die Begeisterung für eine Innovation über einen langen Zeitraum hochzuhalten, aber keine Geheimnisse zu verraten. Daher ist das Community Building so wichtig, der Austausch, das am Laufenden halten. Eine Innovation ist ja auch nicht zu Ende, nur weil sie am Markt ist. Und ganz wichtig ist auch, dass Innovation nicht alleinige Aufgabe von Innovationsmanagern ist. Es ist immer Aufgabe der Unternehmensleitung, hinter der Vision für Innovationstätigkeiten zu stehen.
Gibt es einen Unterschied zwischen Marketing und Innovationsmarketing?
Einige Punkte sind beim Innovationsmarketing tatsächlich anders: die unklare Verantwortlichkeit, der hohe Neuigkeitsgrad und die Zielgruppe der internen und externen Stakeholder, die im ersten Schritt – vor den Endnutzern – die wichtigste ist. Vermarktet werden nicht nur Produkte oder Dienstleistungen, auch Prozesse oder Geschäftsmodelle können eine Innovation sein. Insgesamt geht es darum, zu einem völlig neuen Verhalten zu motivieren und davon zu überzeugen, warum Neues das Altbewährte ersetzen soll.
Wo liegen die Herausforderungen?
Zuerst muss ein gegenseitiges Verständnis von Innovationsteams und dem Marketing geschaffen und die Zusammenarbeit gestärkt werden. Dazu gehören auch Entscheidungen, ob etwa eine neue Marke oder eine CI, die von allem Bisherigen abweicht, „erlaubt“ wird. Im Grunde geht es darum, wie ein Start-up zu agieren.
Wo liegen die Chancen?
Mitarbeitende in Innovationsteams sind in der Regel per se offen für Neues. und wollen Großes bewegen. Sie zeigen starkes Durchhaltevermögen und sind bereit, immer dazu zu lernen, ihre Kompetenzen zu erweitern. Es stimmt mich optimistisch, dass sich ein neues Berufsbild zu verbreiten scheint: das des Innovation Community Managers.
Welche Vorteile hätte es, wenn eine Branche das Thema aufgreift?
Die Chance liegt tatsächlich im Community Building. Gerade bei sozialen Innovationen braucht es Kollaboration, gemeinsames Lobbying und die Zusammenarbeit der Stakeholder. Der Druck auf die Entscheidungsträger wird größer, wenn sich eine Branchenvertretung des Themas annimmt. Wichtig ist, gemeinsam ein Innovationsökosystem zu schaffen. Es braucht die Aufmerksamkeit und das Scheinwerferlicht auf Erfolge genauso wie einen Hebel, um Druck auszuüben, zum Beispiel indem passende Early Adopter eingebunden werden, die den Proof of Concept liefern.
Wie kann das bei der weit verbreiteten Wissenschaftsskepsis erfolgreich gelingen?
Bei aller Skepsis: Das Vertrauen in Ärzte ist nach wie vor hoch, das gilt es zu nutzen! Wer eingebunden ist, leistet automatisch weniger Widerstand und kann außerdem wertvollen Input für die Entwicklung leisten. Unternehmen müssen die Sprache der Zielgruppe sprechen und Vorteile kommunizieren. Viel tolle Ideen versanden, weil sie niemand richtig versteht. Daher müssen Marketer, Innovatoren und Unternehmen raus aus ihrer Blase und die Perspektive wechseln. Niemand kann es sich auf Dauer leisten, nur Luftschlösser zu bauen!