Wien soll Weltstadt der Gesundheit werden

Was genau ist Ihre Aufgabe als Wiener Standortanwalt?

Umweltverträglichkeitsprüfungsverfahren (UVP-Verfahren) für große Infrastrukturprojekte benötigen oft viel Zeit bis zu ihrer Genehmigung. Um das zu beschleunigen und die Unternehmen in ihrer Rolle als Projektwerber zu unterstützen, wurde im Vorjahr beschlossen, den Betrieben in den Genehmigungsverfahren einen Standortanwalt zur Seite zu stellen. Meine Aufgabe ist es, die Vorteile der Projekte für die Gesamtbevölkerung darzustellen, wie etwa die Schaffung von Arbeitsplätzen, das Steueraufkommen oder den generierten Wohlstand transparent zu machen. Entscheidungen sollen künftig nicht nur rascher, sondern zum Vorteil für das Gemeinwohl getroffen werden.

Wie viele UVP-Verfahren gibt es in Wien?

Wir haben nur etwa zwei bis drei pro Jahr, daher umfassen meine Kompetenzen auch weitere Themen der Stadtentwicklung wie öffentlichen Raum, Firmenansiedlungen, Produktionsstätten oder Flächenwidmung. Aktuell besuchen wir alle Bezirke und loten die Wünsche der Betriebe aus. Ziel ist es, die Themen so zu kanalisieren, dass wir sicheres Wirtschaftswachstum generieren und dabei den Wert der Unternehmen für die Gesellschaft in den Vordergrund rücken.

Wo gibt es Überschneidungen mit dem Gesundheitswesen?

Schon im Hauptverband war es erklärtes Ziel, Wien wieder zur Gesundheitsmetropole aufzubauen. Wir haben auf vielen Auslandsmissionen die Erfahrung gemacht, dass der Ruf von Österreich und seiner Bundeshauptstadt in Sachen Medizin weitaus besser ist als im eigenen Land. Viele berühmte Österreicher haben Medizingeschichte geschrieben, wie Karl Landsteiner oder Ignaz Semmelweis, und ich bin überzeugt, dass wir auch heute noch das Potenzial haben, hier anzuknüpfen. Daher haben sich die großen Player der Stadt Wien, der Krankenanstaltenverbund, die Sozialversicherung, die Industriellenvereinigung und die Wirtschaftskammer, geeinigt, Schritt für Schritt den Standort in Sachen Medizin, Forschung und Patientenversorgung attraktiver zu machen.

Gibt es dazu schon konkrete Pläne?

Die Wiener Wirtschaftskammer und der Hauptverband haben im Rahmen der Start-up-Challenge „Innovation to Company“ Lösungen gesucht, wie Start-ups und etablierte Unternehmen zusammenarbeiten können und so gemeinsam neues Business erzeugen.

Gute Ideen werden es aber künftig mit den verschärften Regelungen zur Medizinprodukteverordnung schwer haben, sich durchzusetzen.

Das ist richtig, daher ist es uns auch sehr wichtig, eine Benannte Stelle nach Österreich zu bekommen. Das Fehlen dieser Zulassungsstelle ist aktuell ein großer Wettbewerbsnachteil für die Betriebe und da braucht es massive Unterstützung vonseiten der Wirtschaftskammer. Die EU rechnet europaweit bis Jahresende lediglich mit 20 Zulassungen, da ist es eine große Herausforderung, vorne mit dabei zu sein.

 

Faktencheck: Was ist eine Benannte Stelle?

Benannte Stellen sind staatlich akkreditierte Unternehmen, die hoheitliche Aufgaben übernehmen, wie etwa die Konformitätsbewertungsverfahren für Medizinprodukte. Die Stellen werden gemäß § 36 (1) des Medizinproduktegesetzes mit spezifischen Aufgaben betraut. Sie sind im europäischen Verzeichnis NANDO mit einer Kennnummer aufgelistet.

 

Auf welche Herausforderungen müssen sich die Medizinprodukte-Firmen in den kommenden Jahren noch vorbereiten?

Ich sehe starke Zentralisierungstendenzen, die Fusion der Krankenkassen ist nur ein Vorbote dafür, die Finanzierung aus einem Topf nach wie vor ein Dauerbrenner. Die heimischen Medizinprodukte-Firmen erfüllen zwar hohe Qualitätsstandards, haben es aber oft schwer, aufgrund ihrer Betriebsgröße bei internationalen Ausschreibungen zum Zug zu kommen. Als Standortanwalt ist es mir wichtig, dass unsere Betriebe dennoch profitieren und die Antwort auf die Zentralisierung „Qualität“ heißt.
Die zweite Herausforderung ist die Digitalisierung, vor allem unter dem Aspekt der Datennutzung. Wir haben viele Daten, nutzen aber kaum welche, weil die Angst oft übermächtig ist. Mögliche Lösungen, mit denen Österreich eine Vorreiterrolle einnehmen könnte, werden die Medizinprodukte-Branche direkt betreffen.
Das dritte Zukunftsthema ist Alter und Pflege. Hier wird die Industrie massiv gefordert sein, neue Hilfsmittel und Heilbehelfe, aber auch Dienstleistungen zu entwickeln.

Standortpolitik ist untrennbar mit Innovation verbunden. Ist die Medizinprodukte-Industrie innovationsfreudig?

Die heimische Wirtschaft ist von Klein- und Mittelbetrieben geprägt, da ist es extrem anspruchsvoll, innovativ zu sein. Ich denke, dass gerade diese kleinen, flexiblen Betriebe, die aufgrund ihrer Struktur mit dem „Ohr“ sehr nahe am Markt sind und rasch reagieren, Enormes leisten. Jetzt gilt es, die nötigen Fachkräfte zur Verfügung zu stellen und die bürokratischen Hürden abzubauen, dann passiert Innovation von selbst.

 

 

Mit der Einrichtung einer Benannten Stelle sind die Chancen groß, kluge Köpfe im Land zu halten und den Standort für Unternehmensansiedlungen zu stärken. Die Verfügbarkeit von praxisnahe und multidisziplinär ausgebildetem Fachpersonal sowie von qualifizierten Fachleuten im Regulatory-Bereich ist eine Herausforderung, die vonseiten der politischen Entscheidungsträger unbedingt proaktiv angegangen werden muss. Es ist genau jetzt die richtige Zeit, mit einer breiten Kampagne dafür zu werben, dass wir im Land attraktive Arbeitsplätze bieten können. Die Bemühungen der AUSTROMED und der Mitglieder der Plattform Medizintechnik haben dazu geführt, dass ein Antrag eines österreichischen Unternehmens auf Akkreditierung mit Zertifizierungsexpertise als „Benannte Stelle“ bei der EU eingebracht wurde.