Kommt ein Patient auf eine Intensivstation (intensive care unit, ICU), stellt das meist ein traumatisches Ereignis für die Angehörigen dar. Durch die Informationsasymmetrie zwischen der betroffenen Familie auf der einen und der Intensivmedizin auf der anderen Seite kommt es nicht selten zu einer Lebenskrise bei Angehörigen, die mit Angst, Überforderung und Hilflosigkeit reagieren. „Angehörige sind fast immer medizinische Laien. Hier besteht dann Unsicherheit bezüglich des Behandlungsablaufes, der komplexen technischen Geräte und des Vorgehens nach Entlassung auf der Intensivstation. Das macht es für Angehörige, Behandler und Patienten selbst meist schwierig und erschwert auch eine optimale Rehabilitation der Erkrankten“, berichtet Ass.-Prof. PD Dr. med. Karin Amrein, MSc von der Abteilung für Endokrinologie und Stoffwechsel, UKIM, Medizinische Universität Graz. Unter ihrer Projektleitung und in Zusammenarbeit mit der FH Joanneum GmbH soll nun in einer Studie eine Reihe von Themen geklärt werden, die künftig für eine verbesserte Kommunikation in ICUs Voraussetzung sind. Darunter Fragen wie zum Beispiel „Welchen Kommunikationsbedarf sieht ICU-Personal für die betroffenen Familien?“, „Welchen Informationsbedarf haben Angehörige von kritisch Kranken?“, „Welche Sozialen Medien können die Kommunikation unterstützen?“
Knappe Ressourcen führen dazu, dass oft nicht die Möglichkeit besteht, alle Vorgänge rund um die Behandlung des Patienten für Angehörige ausreichend transparent zu erklären. „Ärzte und Pflegepersonal wissen sehr genau, warum welche Maschine blinkt oder piepst, für einen Angehörigen kann fehlendes Wissen aber sehr schnell zu Verunsicherung, falschen Vorstellungen über die ‚richtige‘ Behandlung und Überforderung führen“, weiß Amrein. Während im englischsprachigen Raum Patientenselbsthilfegruppen auch für diese Fälle durchaus etabliert sind, gibt es im deutschsprachigen Raum bisher keine passenden Initiativen. „Wir wollen nun strukturierte Unterlagen für Angehörige aufbereiten. Die medizinischen Maßnahmen und Abläufe auf einer Intensivstation sind für alle Patienten meist ähnlich, unabhängig von der Erkrankung, die zum Aufenthalt in der ICU führt. Erklärt werden soll in Laiensprache unter anderem, wie lebenserhaltende Maßnahmen funktionieren oder welche Medizintechnik zum Einsatz kommt“, fasst die Expertin zusammen.
Der Versuchsplan ist in drei Phasen gegliedert. In Phase 1 werden mithilfe von qualitativen und quantitativen Methoden Angehörige, Mediziner und Pflegepersonen befragt und der Informationsbedarf erhoben. Danach wird eine Homepage erstellt, die valide Inhalte aus den Ergebnissen der Befragung, einen Chat, Fotos und Bilder mit Erklärungen, Checklisten oder Geschichten von Betroffenen enthalten wird. In Phase 3 wird über eine randomisierte Intervention mittels Zugangscode vor bzw. nach 28 Tagen das subjektive Empfinden der Familien und des Personals sowie das objektive Outcome der Indexpatienten im Hinblick auf Krankenhaustage, Todesfälle oder Wiedereinweisungen untersucht. „Wir erwarten uns durch Maßnahmen im Wissensmanagement bei Angehörigen eine Steigerung der Zufriedenheit aller Betroffenen, eine Entlastung des ICU-Personals, einen verbesserten Informationsfluss zwischen Intensivmedizin und Angehörigen sowie eventuell ein verbessertes Outcome der Erkrankten.“
Sollten sich die Erwartungen bestätigen, könnte dies einen wesentlichen Schritt in Richtung „Empowerment“ der Betroffenen und ihrer Familien darstellen. Abhängig von den Ergebnissen ist eine Veröffentlichung der entwickelten Homepage, zum Beispiel als Anhang zu etablierten professionellen Gesellschaften, geplant.