Nur scheinbar sind Geriatrie und Intensivmedizin weit voneinander entfernte klinische Disziplinen, denn Multimorbidität, funktionelle Einschränkungen mehrerer Organsysteme und eine hochkomplexe Pathogenese sind Herausforderungen bei der Behandlung sowohl kritisch kranker als auch älterer Patienten. „Dennoch sind die im höheren Alter auftretenden Probleme bei Intensivpatienten bisher kaum systematisch diskutiert worden“, betont der Experte für Geriatrie und Intensivmedizin, Chefarzt am Klinikum Nürnberg, Prof. Cornel Sieber, der die WIT heuer erstmals mitorganisiert. „Doch gerade diese Patientengruppe ist verstärkt in den letzten Jahren zu einem entscheidenden Teil der Intensivmedizin mit neuen Herausforderungen und Erfolgen geworden – nicht zuletzt aufgrund der High-End-Medizin, die heute auf den Stationen zum Einsatz kommt“.
Um den interdisziplinären sowie den klinisch-praktisch orientierten Fortbildungscharakter zu unterstreichen, werden wie schon im Vorjahr sogenannte ROOKIE-Seminare für Neulinge auf dem Gebiet der Intensivmedizin veranstaltet. Neben fall-orientierten strukturierten Therapieempfehlungen für Ärzte in Akutsituationen („Ich bin alleine im Nachtdienst – was soll ich tun?“) wird heuer erstmals in einem speziellen Seminar auch eine praktische Fortbildung für Pflegepersonen angeboten. Hier ist zum Beispiel die Wundversorgung ein Thema. Dazu Claudia Mayer, DKS auf der Akut-Dialysestation der Abteilung für Nephrologie und Hämodialyse, AKH Wien: „Die Qualität der Wundversorgung ist ganz entscheidend für den Therapieerfolg. Zunächst muss natürlich eine entsprechende Kausaltherapie zur Wiederherstellung bzw. bestmöglichen Kompensierung der Durchblutungssituation im gestörten Hautgebiet eingeleitet werden!“ Dazu gehören Maßnahmen wie Venenchirurgie, Kompressionstherapie oder angiochirurgisch-dilatative Techniken. Der schnellste und sicherste Weg zur Wundbettsanierung erfolgt am besten durch ein chirurgisches Debridement, das Abtragen von Nekrosen und Belägen mittels Skalpell. „Große Bedeutung im modernen Wundmanagement kommt aber auch dem Wundverband zu“, so Claudia Mayer. „Denn über den notwendigen Wundschutz hinaus ist mit modernen Wundauflagen heute eine maßgebliche Beeinflussung der Wundverhältnisse möglich. Als Alternative zu Wundverbänden auf chemischer Basis wird im Rahmen des Vortrages ein spezieller Wundgelverband mit medizinischem Honig vorgestellt. Eine Medizinergruppe der Universität Bonn hat gezeigt, dass selbst chronische Wunden, die mit multiresistenten Bakterien oder Viren infiziert waren, oft innerhalb weniger Wochen mithilfe des speziellen Honigs heilten.
Als wesentliche Bereicherung des Kongresses sollten auch die zahlreichen praxisorientierten Workshops erwähnt werden: „Die nicht-invasive Beatmung“, Echokardiografie beim Akutpatienten“, Bronchoskopie beim Intensivpatienten und „Reanimation“, um nur einige zu nennen. Spezielle intensivmedizinische Problemfälle wie „Empirische Antibiotikatherapie“ oder die „Blutungsproblematik“ werden in den Mittagspausen im Rahmen von als „Intensiv-Quiz“ geführten Sessions den praktisch-klinischen Aspekt der WIT betonen. In „Lunch-Seminaren“ werden interessante Themen wie „Neue Aspekte der Beatmungstherapie“ oder „Biofilm-assoziierte Infektionen und deren Behandlung“ sowie „ECMO – ein intensivmedizinisches Standardverfahren?“ abgehalten.
Dazu Univ.-Prof. Dr. Thomas Staudinger, Universitätsklinik für Innere Medizin, AKH Wien: „Extrakorporale Gasaustauschverfahren haben sich in den letzten Jahren aufgrund des technischen Fortschritts und neuer klinischer Herausforderungen auf den Intensivstationen gut etabliert.“ Im Wesentlichen unterscheidet man Systeme, die entsprechend der klassischen extrakorporalen Membranoxygenierung (ECMO) hohe Blutflüsse und damit Oxygenierung wie Decarboxylierung ermöglichen, von Systemen mit niedrigen Blutflüssen, die primär nur für Decarboxylierung gedacht sind. „Neue Daten haben die Rolle der ECMO als invasives Ultima-ratio-Verfahren bei schwerstem Lungenversagen relativiert und eine Diskussion in Richtung breiterer Anwendung, auch an spontan atmenden wachen Patienten entfacht“, erklärt der Experte. Aber auch die Indikationen für CO2- Eliminationsverfahren haben eine Erweiterung erfahren: über ihre Rolle als Supportivtherapie zur Ermöglichung einer möglichst protektiven Beatmung hinaus zur Therapie des hyperkapnischen Lungenversagens bis hin zur Intubationsvermeidung bei Patienten mit isolierter Hyperkapnie und Versagen der nicht-invasiven Beatmung. „Dennoch“, betont Staudinger, „sollte die Anwendung aufgrund der immer noch spärlichen Datenlage und der mit diesen Verfahren verbundenen möglichen Komplikationen vorerst spezialisierten Zentren vorbehalten bleiben.“
Auch dem Thema geriatrisches Ernährungsassessment wird Raum gewidmet. Hier steht nach wie vor die Frage im Vordergrund, wie viel Energie der Intensivpatient tatsächlich braucht. Während vor noch gar nicht allzu langer Zeit eine Hyperalimentation bei Intensivpatienten durchaus verbreitet war und nach dem Prinzip „Viel ist gut, mehr ist besser“ Zufuhrraten von einem Mehrfachen des basalen Energieumsatzes empfohlen wurden, ist heute klar, dass der Energiebedarf bei Akuterkrankungen, insbesondere beim geriatrischen Patienten, nicht so stark erhöht ist wie ursprünglich angenommen. Auch hat sich gezeigt, dass eine überhöhte Energiezufuhr mit zahlreichen Komplikationen verbunden ist. Jedenfalls lautet die Empfehlung der meisten internationalen Ernährungsgesellschaften, möglichst frühzeitig mit der enteralen Ernährung zu beginnen, wobei zunächst eine moderate Unterernährung anzustreben ist, die erst allmählich gesteigert werden soll. Unter den Bedingungen einer Intensivstation bedeutet „enteral” in der Mehrzahl der Fälle Ernährung über eine Nasen-Magen-Sonde oder PEG-/PEJ-Sonde. In vielen Fällen ist eine Kombination von enteraler und parenteraler Ernährung sinnvoll.
Ebenfalls ein Themenschwerpunkt: der geriatrische Patient in der Notfallaufnahme. „Geriatrische Patienten sind durch Alter und Multimorbidität definiert, Krankheitsverläufe bei diesen Patienten sind oft oligosymptomatisch und atypisch, häufig findet man anstelle von genau definierten Akuterkrankungen komplexe geriatrische Symptomkomplexe“, erläutert Prof Cornel Sieber. So verlaufen schwere Infektionen in 30 Prozent der Fälle ohne Fieber, oft findet man keinen Husten bei Atemwegs- oder fehlende Dysurie bei Harnwegsinfekten. Auch Pneumonien sind, speziell bei exsikkotischen Patienten, häufig im Röntgen nicht nachweisbar. „Stattdessen findet man häufig unspezifische Symptomkomplexe wie Verschlechterung des funktionellen Status, Verwirrtheit oder Nahrungsverweigerung, Sturz, Synkopen oder allgemeine Schwäche“, so Sieber. Mittels spezieller Screeningtests können diese „geriatrischen Patienten“ identifiziert werden und sollten dann so früh wie möglich einer umfassenden geriatrischen Intervention inklusive geriatrischen Assessments zugeführt werden.