Wo bleibt Plan B?

Hohe Sicherheit in der Anwendung von ­Medizinprodukten ist das Ziel des neuen ­europäischen Rechtsrahmens, der unter den Titeln EU-Verordnungen über Medizinprodukte (Medical Device Regulation, MDR) sowie über In-vitro Diagnostika (In-vitro Diagnostics Regulation, IVDR) ein Stück gesundheitspolitische Geschichte schreibt. Am 25. Mai 2017 sind beide Verordnungen in Kraft getreten, die Übergangsfrist für die MDR sollte am 25. Mai 2020 enden und wurde angesichts der Pandemie um ein Jahr verlängert. Für die IVDR steht nach wie vor der 25. Mai 2022 auf dem Plan. „Mit der Verschiebung ist allen geholfen – den Unternehmen, die Tag für die Tag um die Versorgungssicherheit in Europa kämpfen, ebenso wie den politischen Entscheidungsträgern, den Behörden und den relevanten Forschungseinrichtungen“, ist AUSTROMED-Geschäftsführer Mag. Philipp Lindinger überzeugt. Kritisch sieht er aber, dass ähnliche Maßnahmen nicht auch für die EU-Verordnung über In-vitro Diagnostika getroffen wurden: „Gerade der IVD-Bereich war durch die COVID-19-Pandemie stark betroffen. Wir werden uns deshalb weiterhin gemeinsam mit den Schwesterverbänden und dem europäischen Dachverband MedTech Europe intensiv darum bemühen, auch hier eine Verlängerung der Frist zu erwirken“, sagt Lindinger.

Seit März letzten Jahres haben sich die Gesundheitssysteme und Regierungen weltweit auf die Bedürfnisse rund um die Pandemie fokussiert und Krisenmanagement war in allen Branchen gefragt. Die Vorbereitungen der Medizinprodukte-Unternehmen sind angesichts des dringlichen Tagesgeschäfts in den Hintergrund gerückt. Während die Übergangsfrist für die MDR verlängert wurde und damit zumindest ein wenig Erleichterung bringt, steht diese Entscheidung für die IVDR noch aus. Doch nach wie vor hat sich an der Pandemiesituation und der angespannten Lage gerade im Gesundheitswesen und bei den Unternehmen der Medizinprodukte-Branche nicht viel verändert: Weder Behörden noch Angehörige der Gesundheitsberufe, Benannte Stellen oder die Industrie können die notwendigen Schritte zur Umsetzung der MDR oder IVDR jetzt in ihren Fokus rücken.

Aktuell gibt es vier Benannte Stellen gemäß IVDR, für 2021 ist aufgrund der aktuellen Antragssituation maximal eine weitere zu erwarten. Eine Benannte Stelle ist aufgrund des Brexits weggefallen. Es ist wohl eine Grundvoraussetzung für die Branche, dass für das Inkrafttreten neuer Regelungen das dahinterliegende regulatorische System einsatzbereit ist, andernfalls würden viele Produkte vorübergehend vom Markt genommen werden müssen: Denn aktuell sind es 20 % aller In-vitro Diagnostika, die zertifiziert werden müssen, künftig aber 85 %.

 

Die AUSTROMED unterstützt das Ziel der EU-Verordnungen, noch mehr Patientensicherheit zu schaffen. Die Unternehmen sind bereit, das Regulierungssystem ist es aber nicht, denn nach wie vor ist die Zahl der Zertifizierungsstellen (Benannte Stellen) knapp und die Kapazitäten sind überbelegt. Die AUSTROMED fordert die Entscheidungsträger in Wirtschafts- und Gesundheitsministerium auf, umgehend eine Lösung im Sinne der Versorgungssicherheit für die Patienten in Österreich und ganz Europa zu finden. Der Stau bei den Zulassungen hemmt die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der gesamten Branche.