Im Jahr 2014 wurde eine Europäische Richtlinie über die öffentliche Auftragsvergabe verabschiedet, die die Abkehr von der rein preisorientierten Beschaffung fördern soll: Die Qualität und die Gesamtkosten über den Produktlebenszyklus sollten einen höheren Stellenwert bekommen. Instrumente dazu waren Investitionsanreize, die Reduktion von bürokratischen Hemmnissen und die Förderung des Dialogs zwischen Lieferanten und Beschaffern im Sinne einer Premarket-Beratung.
Die anfänglichen Anwendungen von Value-based Procurement (VBP) waren ermutigend, doch nach wie vor sind Gesundheitssysteme mit stark steigenden Kosten, Einbußen bei der Versorgung und teils großen Unterschieden in den Behandlungsergebnissen konfrontiert. Daher haben die Boston Consulting Group und MedTech Europe, der europäische Verband der Medizinprodukte-Unternehmen den aktuellen Stand der VBP-Umsetzung in europäischen Gesundheitssystemen untersucht und noch offene Potenziale evaluiert. Die Ergebnisse und Handlungsoptionen beschreibt Hans Bax, Senior Adviser Value & Innovation-based Access – External Consultant von MedTech Europe.
Warum braucht das Gesundheitswesen den „Value-based Procurement“-Ansatz?
Value-based Procurement, kurz VBP, ist ein Beschaffungsmodell mit dem Ziel, Patientenergebnisse zu verbessern und gleichzeitig die Gesamtkosten in der Gesundheitsversorgung zu kontrollieren. Es handelt sich dabei um einen innovativen Ansatz, dessen Fokus auf besseren Ergebnissen liegt und nicht nur auf den niedrigsten Preisen für Medizinprodukte oder Dienstleistungen. Erreicht wird dies, indem Technologien zum Einsatz kommen, die erhebliche Auswirkungen auf vorausgewählte (Patienten-) Ergebnisse zeigen. Die Einführung von VBP im Gesundheitswesen in ganz Europa ist von der Notwendigkeit getrieben, der stetig wachsenden Nachfrage nach Gesundheitsleistungen, dem zunehmenden Mangel an qualifizierten Arbeitskräften, der steigenden Belastung des Personals, verzögerten Patientenergebnissen und den immer höheren Kosten der Gesundheitsversorgung Rechnung zu tragen. Durch eine Verlagerung des Fokus vom Preis hin zum Wert können Gesundheitsdienstleister Behandlungsergebnisse und -qualität verbessern und dabei gleichzeitig die Gesamtkosten der Gesundheitsversorgung reduzieren.
Was sind die wesentlichen Vorteile von VBP?
Ein wesentlicher Vorteil von VBP liegt darin, dass das Konzept eine engere Zusammenarbeit zwischen Gesundheitsdienstleistern und Medizintechnik-Herstellern fördert und nicht eine – ausschließlich – auf dem Preis beruhende Transaktionsbeziehung. VBP schafft Anreize für Anbieter, Produkte, Dienstleistungen und umfassende Lösungen bereitzustellen, die auf bessere Patientenergebnisse abzielen, was wiederum zu einer Entwicklung von wertbasierten Angeboten und innovativen Lösungen führt. Zudem fördert VBP eine Kultur des Dialogs und Vertrauens, da Gesundheitsdienstleister und Anbieter kontinuierlich zusammenarbeiten, um Chancen für Innovationen und weitere Ergebnisse zu erkennen.
MedTech Europe hat den Markt für VBP untersucht – was waren die wesentlichen Eckpunkte der Untersuchung und die Ergebnisse?
Nach dem Inkrafttreten der Europäischen Richtlinie über öffentliche Auftragsvergabe begann MedTech Europe gemeinsam mit Beschaffungsexperten, Initiativen und Entwicklungen der öffentlichen Beschaffung auf EU-Ebene zu beobachten und – wo möglich – darüber zu informieren und dazu beizutragen. Die Europäische Richtlinie über öffentliche Auftragsvergabe ist ein Regelwerk, das den Beschaffungsprozess für Organisationen der öffentlichen Hand innerhalb der Europäischen Union regelt. Es legt die Regeln und Verfahren für die Auftragsvergabe fest und stellt sicher, dass die Beschaffung auf faire, transparente und diskriminierungsfreie Art und Weise erfolgt. Ziel der Richtlinie an sich ist, Wettbewerb, Preis-Leistungs-Verhältnis und nachhaltige Beschaffungspraktiken in Europa zu fördern. Die öffentliche Beschaffung im Gesundheitswesen ist jedoch nach wie vor von der Vergabe kurzfristiger Aufträge mit starkem Fokus auf dem Produktpreis – er stellt bis zu 100% der Auftragsvergabekriterien dar – und einer transaktionale Käufer-Verkäufer-Beziehung geprägt, wobei die Zusammenarbeit nur begrenzt ist.
In welchen Ländern funktioniert das Konzept gut und wo kommt es nicht in die Gänge?
In den letzten Jahren konnten die Anwendung der VBP im Beschaffungsprozess für Medizinprodukte und die damit verbundenen Lieferverträge an Zugkraft gewinnen, beginnend mit dem Einsatz von lokalen Ausschreibungen in verschiedenen EU-Ländern bis hin zu europäischen Ländern, die eine Führungsrolle in der breiteren Anwendung zur Unterstützung der nationalen Strategie des Gesundheitswesens einnehmen. Dazu zählen zum Beispiel Großbritannien UK (NHS-Lieferkette), Spanien (Regierung von Katalonien; AQUAS) und Frankreich (PHARE-Projekt des Gesundheitsministeriums). Eine Analyse der Daten zu öffentlichen Ausschreibungen in Europa deutet darauf hin, dass VBP vor allem in der westlichen Hälfte Europas zur Anwendung kommt und der östliche Teil aktuell noch zurückliegt. Außerdem gewinnt VBP auch außerhalb Europas, zum Beispiel in Kanada, Saudi-Arabien, Australien und Indien, an Dynamik.
Wo sind die größten Hürden in der Umsetzung und was muss passieren, damit sich VBP rascher durchsetzt?
Die größte Hürde für eine schnellere Umsetzung von VBP ist der Nachweis von klaren Auswirkungen von Beschaffung und Medizinprodukten auf eine Verbesserung der Patientenergebnisse und die Lösung der bestehenden Herausforderungen des Gesundheitswesens. Neben Aufklärung und dem Austausch von Best Practices gehören dazu auch die Datenerfassung sowie die Messung der Auswirkung auf Patientenergebnisse. Zudem muss die Medizinprodukte-Branche ihr Wertversprechen durch Daten belegen.