Noch nie waren das Gesundheitswesen und die damit verbundenen Branchen so sehr im Zentrum wie in den letzten drei Monaten: Medizinprodukte – viele kannten bis dahin kaum ihre Bedeutung für Diagnose und Therapie – waren plötzlich in aller Munde. Schutzausrüstung für Spitäler, strenge Hygienemaßnahmen und Beatmungsgeräte haben zu einer nicht vorhersehbaren Nachfrage geführt.
Die AUSTROMED ist die Interessensvertretung für Unternehmen, die in der Entwicklung, der Produktion, der Aufbereitung und dem Handel von Medizinprodukten in Österreich tätig sind. Insgesamt gibt es über 500.000 Medizinprodukte, die einen wesentlichen Grundpfeiler der modernen Gesundheitsversorgung bieten – von Einmalprodukten bis zu Hightech-Geräten. Medizinprodukte-Unternehmen sind ein wichtiger Wirtschaftsfaktor und Arbeitgeber mit einer Bruttowertschöpfung von 2,6 Mrd. Euro und rund 43.000 Beschäftigten. Schon seit Jahren setzt sich die AUSTROMED für Themen wie Standortsicherheit und die Förderungen lokaler Klein- und Mittelbetriebe ein. „Die Pandemie hat gezeigt, dass die Forderungen mehr denn je ihre Berechtigung haben. Im Zuge des Shutdowns gehörten wir bestimmt zu jenen Wirtschaftsbereichen, die noch glimpflich davongekommen sind, weil die meisten Betriebe als sicherheitsrelevant eingestuft waren und damit die Verantwortung für die Versorgungssicherheit mit lebenswichtigen Gütern übernommen haben und auch die Verantwortung, dass mit den Produkten nicht Schindluder getrieben wird“, sind sich Gerald Gschlössl, AUSTROMED-Präsident, und Mag. Philipp Lindinger, AUSTROMED-Geschäftsführer, einig. Konkret bedeutet das, darauf zu achten, dass nach wie vor die Qualität der Medizinprodukte, die am Patienten im Einsatz sind, hochgehalten wird. „Wir dürfen nicht müde werden aufzuklären, dass nicht alles Medizinprodukte sind und diese hohe Qualitätskriterien zu erfüllen haben. So sagt etwa eine CE-Kennzeichnung nichts über die Produktqualität aus!“, betont Lindinger. Etablierte Medizinprodukte-Betriebe wissen, wo sie ihre Ware beziehen und wie beziehungsweise nach welchen Vorgaben die Produktqualität zu prüfen ist. „Dabei geht es auch um das Vertrauen in unsere Leistungen. Panikkäufe in fragwürdigen Pop-up-Stores haben auch in der Krise keinem geholfen“, ergänzt der AUSTROMED-Geschäftsführer.
Mehr denn je nimmt die AUSTROMED die Rolle der Informationsdrehscheibe wahr: Anfragen zwischen Betrieben und den Behörden wurden koordiniert, Stellungnahmen abgegeben, die Versorgungssicherheit mitgestaltet. „Die Grundfunktion unserer Mitgliedsbetriebe ist die Belieferung des Gesundheitswesens mit Medizinprodukten. In dieser Hinsicht haben die Unternehmen und ihre Mitarbeiter in den letzten Wochen Großartiges geleistet, auch wenn viele davon in derselben Zeit bis zur Hälfte des Umsatzes eingebüßt haben, weil bestimmte Produkte gar nicht nachgefragt wurden. Daher möchte ich das Augenmerk auf die Betriebe richten, die in der Krise nicht gejammert, sondern extrem flexibel die Versorgungsfunktion wahrgenommen haben. Einkäufe wurden vorfinanziert, kurzfristig wurde in neue Produktionslinien investiert, Personal umgeschichtet und insgesamt ein hohes wirtschaftliches Risiko übernommen, um die Versorgung in den Spitälern sicherzustellen“, fasst Gschlössl zusammen. Millionenbeträge wurden durch die Betriebe vorfinanziert und so wurde die Liquidität von Krankenhäusern oder den Krankenkassen entlastet. „Wir sehen das in der Notsituation als Selbstverständlichkeit, aber wir sehen auch Potenziale für Verbesserungen, um künftig anders vorbereitet zu sein“, betont der AUSTROMED-Präsident. Gerade Klein- und Mittelbetriebe, die einen Großteil der heimischen Wirtschaftskraft darstellen, können als Lieferanten diese Aufgabe nicht auf Dauer stemmen. „Viele Medizinprodukte-Betriebe haben überdurchschnittlich mehr gearbeitet, denn neben den Corona-Extraaufgaben galt es auch, den laufenden Betrieb aufrechtzuerhalten. Andere wiederum haben aufgrund der massiven Einschränkungen im Gesundheitssektor aber genauso gelitten wie der Rest der Wirtschaft. So heterogen die Produkte, so stellte sich auch die Arbeit in der Krise dar. Je breiter das Portfolio, desto besser waren die Betriebe aufgestellt“, sagt Lindinger.
Dass die Medizinprodukte-Branche durchaus einen Pufferlagerbestand aufrechterhalten oder Produktionen nach Österreich holen kann, steht für die AUSTROMED-Vorstandsmitglieder außer Frage – doch zu welchem Preis? Auch macht eine Lagerhaltung für einen Zeitraum über zwei oder drei Monate für manche Produkte aufgrund der Haltbarkeit keinen Sinn, sodass im Falle neuerlicher Krisen wie der aktuellen – wenn etwa Rohstoffe aus Asien nicht kommen – die Problematik nicht gelöst, sondern lediglich verschoben wird. „Am Ende regelt sich der Markt über den Preis“, bringt es Lindinger auf den Punkt und ergänzt: „In der Krise waren viele Spitalseinkäufer bereit, OP-Masken aus Vorarlberg zu kaufen, die aufbereitet werden konnten. Der Preis war jedoch extrem hoch, denn auch die Aufbereitung schlägt sich mit Kosten zu Buche. Ich denke nicht, dass man außerhalb der Krise auch auf solche Lösungen zurückgreifen wird.“Aus den letzten Wochen gelernt haben wohl alle: die Betriebe, die Behörden, die Gesundheitseinrichtungen und die Bevölkerung. „Uns ist wichtig, dass wir uns auch in Ausnahmesituationen als vertrauenswürdiger Partner positionieren konnten und hoffen, dass wir auch jetzt in der Aufarbeitung der Krise eine ebenso wichtige Rolle spielen“, sind sich Gschlössl und Lindinger einig. Dass es einen Plan braucht, wie die Vorsorge für künftige Krisensituationen aussehen könnte, liegt auf der Hand. Der weltweite Trend zum Lean Management und der Just-in-Time-Lieferung von Produkten zwingt dringend zu einem Neudenken von Ausnahmesituationen. „So schlank wie möglich und so billig wie möglich kann nicht im Normalbetrieb und erst recht nicht im Krisenfall funktionieren“, warnen die Experten. Gleichzeitig gilt es zu überlegen, wie die Lieferketten abgesichert sein müssen und welche Rohstoffe oder Fertigprodukte auf Lager liegen können und müssen. „Wir können nicht auf alle möglichen Krisenszenarien vorbereitet sein, die ja nicht immer in Form eines Virus auftreten müssen. Dieses Mal waren es die Beatmungsgeräte, die gebraucht wurden, das nächste Mal sind es vielleicht Dialysegeräte oder Herzschrittmacher, die benötigt werden, wir wissen es nicht. Schutzkleidung und Desinfektion werden vermutlich in jeder Gesundheitskrise ein Dauerbrenner sein“, sagt Lindinger. Der Wunsch der AUSTROMED ist es, gemeinsam mit den jeweiligen Bundesministerien und den Gesundheitslandesräten, aber auch den Blaulichtorganisationen die passenden Konzepte für mehrere Beschaffungsvarianten und eine rollierende Lagerhaltung auszuarbeiten, die ein breites Krisenszenario abdecken. Zugrunde liegt das Credo „Panik vermeiden und aus den Erfahrungen lernen“.