Vor dem Hintergrund der Kapazitätsplanung für potenzielle COVID-19-Fälle war der Großteil elektiver Krankenhausaufenthalte ab Mitte März eingestellt. Diese Maßnahme hat die meisten Krankenanstalten vor einem unkontrollierten Zugang von COVID-19-Fällen bewahrt. Zusätzlich wurden dadurch Kapazitätsreserven geschaffen, um auf ein für niemanden abschätzbares Patientenaufkommen vorbereitet zu sein. Da die COVID-19-Inzidenz sinkt, treten nun Lockerungen der restriktiven Maßnahmen in Kraft und die Aktivitäten der Krankenanstalten fahren langsam hoch. Unter Berücksichtigung regionaler Gegebenheiten werden entsprechende Konzepte erarbeitet, sodass schrittweise die Regelversorgung aufgenommen werden kann.
Dabei sollen Leistungen – so lautet eine Empfehlung des Bundesministeriums für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz –, die von erhöhter medizinischer Dringlichkeit sind, und Fälle, bei denen eine Verschlechterung der klinischen Situation innerhalb von sechs Monaten abschätzbar ist, priorisiert werden. Auf die Schonung der Ressourcen von Intensivbehandlungseinheiten ist nach wie vor Rücksicht zu nehmen. Um auf möglicherweise wieder steigende Fallzahlen rasch reagieren zu können, sollte auch in den kommenden Wochen von einem Vollbetrieb Abstand genommen werden. Insbesondere empfiehlt das Gesundheitsministerium die Kapazitätsplanung darauf abzustimmen und auch weiterhin Besuchsrechte möglichst restriktiv zu handhaben. Spitäler sollten Strukturen, die zur Abklärung und zur Absonderung von COVID-19-Verdachtsfällen geschaffen wurden, aufrechterhalten und weiterentwickeln. Insgesamt sind die Empfehlungen darauf ausgerichtet, nach wie vor auf eine größtmögliche Schonung der Ressourcen zu achten.„Was wir alle sehr klar gelernt haben: Das Herunterfahren geht deutlich schneller und einfacher als das Wiederhochfahren“, bringt Univ.-Prof. Dr. Lars-Peter Kamolz, MSc, Präsident des Verbandes der leitenden Krankenhausärzte Österreichs (VLKÖ), die Herausforderungen auf den Punkt. Während der Lockdown in den Spitälern in ein bis zwei Tagen über die Bühne gehen konnte, dauert die Umstellung auf den Normalbetrieb Wochen, wenn nicht Monate. „Wir müssen uns weiterhin massiv gegen Neuinfektionen und Clusterbildungen abschotten, gleichzeitig müssen wir dringliche Fälle abarbeiten. Waren wir am Anfang bei 40 bis 50 % der Kapazitäten, so geht es jetzt langsam auf 70 bis 80 % zu und in vielen Einrichtungen werden wir Ende Juni die 100 % erreicht haben“, ist Kamolz überzeugt.
Die strengen Spielregeln, an die sich viele Besucher in den letzten Wochen gewöhnt haben, werden dennoch vorläufig bleiben: das Tragen von Mund-Nasen-Schutz oder das Abstandhalten. „Bei den Terminambulanzen achten wir sehr darauf, dass die Termine pünktlich eingehalten werden und somit die Wartezimmer möglichst leer bleiben“, beschreibt der VLKÖ-Präsident, der selbst am LKH Universitätsklinikum Graz tätig ist. Gleiches gilt für die Besuchsregeln, die nicht so rasch gelockert werden: Erste Ausnahmen gibt es bei Kindern oder auf der Geburtenstation. „Wir vereinbaren auch bei den Besuchen Termine, damit es zu keinen Ansammlungen von Menschen in den Patientenzimmern kommt“, ergänzt der Primar und betont: „Im Falle eines Ansteigens der Infektionszahlen können wir sehr rasch wieder auf den Notbetrieb umsteigen. Strengere Regelungen sind jederzeit möglich.“ Einen Engpass an Schutzausrüstungen hat Kamolz – zumindest am LKH Universitätsklinikum Graz – nicht erlebt. „Wir haben zum Glück sehr früh reagiert und waren hier gut versorgt. Nach wie vor ist aber die enge Abstimmung der Abteilungen mit der Krankenhaushygiene, den Infektiologen und dem Einkauf unerlässlich.“ Diese Zusammenarbeit muss auch beim Hochfahren des OP-Betriebes reibungslos funktionieren und die Versorgung mit den erforderlichen Medizinprodukten sicherstellen. „Es ist wichtig, dass das Hochfahren sehr individuell erfolgen kann, denn jedes Krankenhaus hat andere Aufgaben. Ein Uniklinikum kann nicht mit einem Haus der Basisversorgung gleichgesetzt werden. Die Infrastruktur ist unterschiedlich und demnach sind es auch die notwenigen Maßnahmen für das Risikomanagement. Hier ist es wichtig, den Experten vor Ort zu vertrauen, die uns gut durch die Krise gebracht haben und daher auch jetzt genau wissen, was wo möglich ist“, unterstreicht der VLKÖ-Präsident.
Die Frage nach dem Vertrauen steht auch bei Prim. Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Schima, MSc, Beirat im Verband leitender Krankenhausärzte und Vorstand der Abteilung für Diagnostische und Interventionelle Radiologie der Vinzenz Gruppe Wien, im Vordergrund der aktuellen Maßnahmen: „Wir haben die Spitäler rasch abgeriegelt und das hat bei vielen Patienten den Eindruck hinterlassen, dass die Gesundheitseinrichtungen in Bezug auf die Ansteckungsgefahr ein sehr unsicherer Ort sind. Das hat dazu geführt, dass wir jetzt Patienten sehen, die mit sehr weit fortgeschrittenen Tumoren zu uns kommen, weil sie sich nicht ins Spital getraut haben.“ Auch wenn es hier um Einzelfälle geht, so ist es dem Mediziner wichtig, dass die Bevölkerung motiviert wird, ärztliche Hilfe in Ordinationen und Spitälern in Anspruch zu nehmen, wenn es erforderlich ist. „Viele haben verinnerlicht, dass im Spital Gefahr lauert, es wird lange dauern, bis wir das aus den Köpfen der Bevölkerung wieder draußen haben. Wir müssen aktiv kommunizieren, dass wir die Isolierung von Infektionsfällen sehr gut im Griff haben und alles Mögliche tun, um die Versorgung von Nicht-COVID-19-Patienten auf hohem Niveau zu halten“, sagt Schima und nimmt damit auch den eigenen Berufsstand in die Pflicht: „Viele Ärzte haben ihre Ordinationen geschlossen, weil sie selbst Angst hatten. Dieses Bild dürfen wir nicht aufrechterhalten.“Ausgesetzt war beispielsweise auch das Brustkrebsfrüherkennungsprogramm, das mittlerweile wieder angelaufen ist. „Wir müssen verhindern, dass ein ganzer Jahrgang verabsäumt, zur Vorsorge zu gehen und dann im nächsten Jahr eine Flut an fortgeschrittenen Mammakarzinomen auf uns zukommt“, warnt der Experte. Auch Schima geht davon aus, dass im Juli die Auslastung der Krankenanstalten wieder bei „normalen“ 100 % liegt. Dennoch ist nicht alles beim Alten: „Wir werden nicht die gleiche Leistung erbringen können wie im Vergleichszeitraum 2019, denn die zusätzlichen Schutzmaßnahmen und auch die Testung von Patienten und Personal verursachen einen zusätzlichen Aufwand“, so Schima.
Die Risikokonzepte werden sich wohl in allen Krankenanstalten bereits geändert haben oder noch laufend ändern. „Wir waren gezwungen, rasch zu lernen, wie man etwa im Eingangsbereich triagiert, Isolierstationen erweitert, wie Schleusen errichtet werden oder die Klimatisierung in getrennte Abschnitte geteilt wird. Ich denke, dass dieses Wissen langfristig auch in die Spitalsplanung einfließen wird, um für zukünftige Pandemien noch besser gerüstet zu sein“, prognostiziert der Mediziner.