Ausgewählte Highlights des Annual Meetings der EASD

Adipositas und die Zukunft der Diabetestherapie

Ein Lancet-Symposium beleuchtete die Zusammenhänge zwischen Adipositas und Diabetes: 87 % aller Menschen, die übergewichtig oder adipös sind, haben keinen Diabetes. Wenn Menschen mit Übergewicht allerdings auch noch eine positive Familienanamnese für Diabetes haben, ist das Risiko für eine Manifestation sehr hoch. Bereits in den 1950er-Jahren wurde der „androide“ Phänotyp als Form der Adipositas ursächlich für ein erhöhtes Risiko für DM identifiziert. Ein großes Problem ist die Behandlung von Menschen mit Adipositas, die zu schlank für eine bariatrische Operation, aber zu übergewichtig für eine Lebensstilintervention allein sind. Hier dürften die neuen GLP-1/GIP-Rezeptoragonisten oder GLP-1/Amylin-Agonisten zunächst für Menschen mit Typ-2-Diabetes, aber in weiterer Folge auch für Menschen ohne Diabetes von großer Bedeutung sein. Die dritte Vortragende schlug folgende Subtypen von Typ-2-Diabetes vor:

  • adipositasassoziierter Diabetes (Insulinresistenz im Vordergrund)
  • Diabetes mit kardiovaskulärer Erkrankung (Inflammation und Arteriosklerose im Vordergrund)
  • isolierte Hyperglykämie (Betazelldysfunktion im Vordergrund)

Alle Formen sind natürlich überlappend, und eine kann auch in eine andere übergehen, aber zum Zeitpunkt der Betrachtung ist der Therapieansatz ein anderer.
Das Symposium adressierte auch Menschen mit Typ-1-Diabetes: In Europa sind Menschen mit T1DM häufiger übergewichtig/adipös als die Hintergrundpopulation, dies ist bei Kindern und Jugendlichen noch ausgeprägter. Eine der Hauptursachen hierfür ist die Intensivierung einer Insulintherapie, um eine bessere glykämische Kontrolle zu erreichen. Medikamente, die wir bei übergewichtigen Menschen mit T2DM selbstverständlich verwenden (GLP-1-RA, SGLT2i), werden zu wenig oft bei Menschen mit T1DM eingesetzt. Das liegt häufig daran, dass es dafür keine Marktzulassung gibt, aber auch viele Firmen nicht so sehr daran interessiert sind, diese Patientengruppe zu erreichen.

Session: EASD-Lancet-Symposium: Treatment of obesity: the future of diabetes treatment?
Chair: M. J. Davies, UK; Vorträge: H. Yki-Järvinen, P. Sumithran, I. Lingvay, B. Van der Schueren

Dualer GLP-1/GIP-Agonistin der Behandlung von T2D

Tirzepatid ist ein dualer GLP-1/GIP-Agonist, der aktuell in Phase-III-Studien beforscht wird. Der duale Agonist zeigte im SURPASS-2 Trial bei Patienten mit Typ-2-Diabetes unter Metformin-Monotherapie dosisabhängig eine stärkere HbA1c-Senkung und stärkere Gewichtsreduktion verglichen mit 1 mg Semaglutid. Innerhalb von 40 Wochen konnte in der höchsten Tirzepatid-Dosierung (15 mg) eine durchschnittliche Gewichtsreduktion von 12,4 kg (13,1 %) erzielt werden. SURPASS-5 untersuchte Tirzepatid bei T2D-Patienten, die eine Therapie mit Basalinsulin (Insulin glargin U100) ± Metformin erhielten. Verglichen mit Placebo führte Tirzepatid zur stärkeren HbA1c-Reduktion und zur deutlichen Senkung der notwendigen Basalinsulindosis. Das Nebenwirkungsprofil von Tirzepatid war in beiden Studien vergleichbar mit den bekannten Nebenwirkungen einer Therapie mit GLP-1-Agonisten.

Fazit: Bei noch ausständigen CVOT-Daten ist Tirzepatid ein vielversprechendes Therapiekonzept zur Behandlung von (übergewichtigen) Patienten mit Typ-2-Diabetes.

Session: OP04: GLP-1 receptor agonism: higher dose, combination therapy, or both?
Chair: Chair: T. Nyström, Schweden; Vorträge: JP Frías, D. Dahl et al., Abstr. Nr. #20

Neue Daten zu SGLT-2-Inhibitoren

SGLT2-Hemmer haben einen schier unfassbaren Siegeszug angetreten. Ursprünglich als Antidiabetika konzipiert, haben sie die Therapie des kardiorenometabolischen Syndroms auch für Menschen ohne Diabetes revolutioniert. In der DAPA-CKD-Studie hat Dapagliflozin bei Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz (eGFR 25–75 ml/min/1,73 m2 sowie UACR 200–5.000 mg/g) den primären Endpunkt (anhaltender GFR-Abfall > 50 %, terminale Niereninsuffizienz, renaler oder kardiovaskulärer Tod) um 39 % reduziert. Es war jedoch nicht bekannt, ob der positive Effekt von Dapagliflozin bei allen Schweregraden der Albuminurie gleichermaßen nachweisbar ist. Auf dem diesjährigen EASD-Kongress zeigte Dr. Heerspink, der auch mit der Camillo Golgi Lecture geehrt wurde, dass die positive Wirkung von Dapagliflozin auf den Abfall der GFR sowie verschiedene renale und kardiovaskuläre Endpunkte unabhängig von der UACR gleichermaßen auftritt. Dies gilt sowohl für Menschen mit als auch ohne Typ-2-Diabetes.

Fazit: Dapagliflozin hat einen signifikanten Nutzen für das kardiorenale Outcome bei Niereninsuffizienz KDIGO G2–4 mit und ohne Typ-2-Diabetes und unabhängig vom Grad der Albuminurie.

Session: OP09: SGLT2 inhibitor trials; Chair: J. Eriksson, Schweden; Vortrag: H. J. Lambers Heerspink, Abstr. Nr. 51

EASD/ESC: Warum entwickeln nicht alle Patienten Spätkomplikationen?

Die Frage, warum einige Patienten Spätkomplikationen entwickeln und andere nicht, beschäftigt die Diabetologie seit vielen Jahren und war Thema eines gemeinsamen Symposiums der EASD und ESC. Das Risiko für die Entwicklung klassischer diabetischer Spätkomplikationen, wie Retino- und Nephropathie, scheint zumindest zu einem Drittel genetisch determiniert zu sein, wobei es sich hierbei um polygenetische Veränderungen handelt. Wie die Cluster-Analysen von Alqvist et al. bereits zeigte, scheint Insulinmangel vor allem mit der Entwicklung der Retinopathie, Insulinresistenz mit der Entwicklung der Nephropathie assoziiert zu sein. Untersuchungen an Patienten mit jahrzehntelangem Typ-1-Diabetes zeigten ein deutlich geringes Risiko für die Entwicklung diabetischer Spätkomplikationen bei jenen mit einem Body Mass Index < 25 kg/m2 und stabilem HbA1c um die 7 %. Umweltfaktoren wie Rauchen, Ernährung und Bewegung sind weitere Risikofaktoren, vor allem bei makrovaskulären Komplikationen, sie scheinen hier aber einen ähnlichen Effekt wie in der Allgemeinbevölkerung zu haben. Aktuell scheint vor allem der Einsatz kardioprotektiver Medikamente,­ wie SGLT2-Inhibitoren und GLP-1-Rezeptoragonisten, das Risiko für makrovaskuläre Komplikationen signifikant zu senken. Pharmakogenetische Studien, die zukünftig eine personalisierte Medikamentenauswahl ermöglich sollen, lieferten bis dato inkonsistente Ergebnisse, sodass aktuell die leitliniengerechte Therapie die Therapie der Wahl darstellt.Relevanz für die klinische Praxis: Zur Verhinderung diabetischer Spätkomplikationen, insbesondere vaskulärer Komplikationen, scheint die leitliniengerechte Therapie unter Einsatz kardio-reno-protektiver Substanzen im Moment die beste Methode zu sein.

Session: EASD/ESC-Symposium: How come not every patient with diabetes develops ­vascular complications; Chair: M. Haluzik, Tschechische Republik; S. Achenbach, Deutschland; Vorträge: T. Tuomi, A. G. Tabak, J. Petrie

Finerenon: neuer Ansatz zur Nephroprotektion bei T2D

Finerenon ist ein nichtsteroidaler, selektiver Antagonist des Mineralokortikoid-Rezeptors mit insbesondere antiinflammatorischer und antifibrotischer Wirkung. Bei Patienten mit chronischer Nierenerkrankung und Typ-2-Diabetes konnte in der Studie FIDELIO-DKD bereits ein positiver Effekt auf die Progression der Niereninsuffizienz gezeigt werden.
Finerenon konnte nun im Kollektiv mit CKD-Stage 1–4 und Albuminurie (30–5.000 mg/g) auch die kardiovaskuläre Mortalität und Morbidität signifikant reduzieren (4P-MACE HR 0,87, p = 0,03, FIGARO-DKD), dies war insbesondere durch eine 29%ige Reduktion des Risikos einer Hospitalisierung aufgrund von Herzinsuffizienz getrieben.

Fazit für die Praxis: Die Bestimmung der Albuminurie bei Diabetes­patienten sollte leitliniengerecht standardmäßig unabhängig von ihrer eGFR erfolgen. Finerenon kann bei diesen Patienten zukünftig zur renalen und kardiovaskulären Protektion beitragen.

Session: Finerenone: a new approach to kidney protection in patients with type 2 diabetes
Chair: A. Solini; Vorträge: R. DeFronzo, L. M. Ruilope, J. B. McGuill, A. L. Birkenfeld, R. Agarwal, P-H. Groop