In der westlichen Welt (mit entwickelten Sozialsystemen) hat für viele unbemerkt eine große Veränderung des diabetischen Fußsyndroms (DFS) stattgefunden. Während noch vor 20 Jahren auch in Österreich der „main disease driver“ (also Ursache und „Brandbeschleuniger“) die Neuropathie war, hat sich dies aufgrund der besseren Diabeteseinstellung der Diabetespopulation gewandelt. Mit dem Erreichen des höchsten Lebensalters durch die Managementfortschritte bei Diabetes, aber auch durch den davon unabhängigen Prävalenzanstieg der PAVK (Nikotin? „sedentary lifestyle“?) ist heute die PAVK der „main disease driver“ in der westlichen Welt. Jedenfalls ist sie von allen 5 pathophysiologischen Prozessen des DFS – Neuropathie, Arthropathie, Infektion, Ulkus, Angiopathie (PAVK) – die Erstursache für Tod, Amputation, Auftreten oder Wiederauftreten von Wunden und daher natürlich auch für die hohen Kosten.
Internationale Richtlinien legen seit 20 Jahren nahe, dass bei Diabetes und einer Wunde am Bein binnen 14 Tagen die Durchblutungsreserve entweder mittels „ankle-brachial index“ (ABI) oder „toe-brachial index“ (TBI) gemessen werden soll.
In der Sondersitzung der Diabetic Foot Study Group am diesjährigen EASD (16. 09. 2019) zeigte Prof. William Jeffcoate (Nottingham University Hospitals Trust), dass, wiewohl der National Health Trust vor 5 Jahren ein entsprechendes Programm in UK gestartet hat, eine Diagnoseverzögerung von mehr als 14 Tagen bei 38 % der Patienten, bei einigen sogar bis zu 6 Wochen besteht.
Prof. Andrea Icks (Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf) zeigte ebenfalls noch teilweise unpublizierte Daten zu den Kosten der Amputation und Folgezeit bei Patienten mit und ohne Diabetes. So viel dürfen wir verraten: Bis zur 24. Woche nach Amputation sind die Kosten gleich, dann aber sind Patienten mit Diabetes mehr als doppelt so kostenintensiv.
Somit ist es das Wichtigste für einen Arzt, daran zu denken, einen ABI oder TBI zu erheben, um eine Amputation möglichst früh unwahrscheinlich zu machen!
Bei einem Knöcheldruck von 50–80 mmHg und einem Zehendruck von 30–50 mmHg ist meist eine Revaskularisation zur Wundheilung nötig.
Bei einem Knöcheldruck von < 50 mmHg und einem Zehendruck < 30 mmHg ist eine Wundheilung ohne Revaskularisation unmöglich.
Bei erfolgreicher Revaskularisation (> 80 mmHg Knöcheldruck, > 50 mmHg Zehendruck) kann bei 60 % der Fälle binnen 6 Wochen, bei 85 % der Fälle binnen 12 Wochen eine Wundheilung erreicht werden, vorausgesetzt, die Gefäße bleiben (in diesem Zeitraum) offen.
Eine Mehretagenerkrankung mit Beteiligung der femoropoplitealen Strombahn ist nicht selten, jedoch liegen bei Diabetikern mit PAVK-Stadium IV und V nach Rutherford immer Stenosen/Verschlüsse der Unterschenkelgefäße vor.
Gab es historisch zur Revaskularisation der Unterschenkelgefäße nur gefäßchirurgische Operationen, ist gegenwärtig oft ein „Endovascular-first“-Behandlungskonzept die Therapiestrategie bei kritischer Extremitätenischämie (CLI). Obwohl die krurale oder pedale Bypasschirurgie weiterhin ein wichtiger therapeutischer Ansatzpunkt bleibt, ist in Anbetracht der meist bestehenden Komorbiditäten der Patienten mit CLI der minimalinvasiven endovaskulären Therapie primär der Vorzug zu geben.
Neue Entwicklungen in der interventionellen Technik haben das Setting komplett verändert. Heute werden in der westlichen Welt (auch in Österreich) > 90 % der Erstrevaskularisationsmaßnahmen endovaskulär durchgeführt. Der technische Fortschritt erlaubt es, unter Anwendung unterschiedlicher dünner Drähte, Katheter, Ballone, Stents oder von sonstigem speziellem Armamentarium (Atherektomiedevice, Laser) eine Revaskularisation am Unterschenkel oft erfolgreich durchzuführen. Reststenosen nach Dehnung von Unterschenkelgefäßen treten innerhalb von 6 bis 12 Wochen auf, wodurch der direkte Bluteinstrom zum Fuß/zur Wunde wiederum empfindlich gestört werden kann. In Studien konnte gezeigt werden, dass medikamentenbeschichtete Ballone in der Behandlung von Unterschenkelgefäßen im Vergleich zu unbeschichteten Ballonen eine geringere Rate an Reststenosen nach 6 Monaten aufwiesen, wodurch die Wundheilung sehr positiv beeinflusst werden kann. Auch für medikamentenbeschichtete Stents, welche derzeit jedoch nur für kurze Läsionen zur Verfügung stehen, konnten sehr gute Ergebnisse mit einer Offenheitsrate um 90 % nach einem Jahr erzielt werden. Es soll nicht verschwiegen werden, dass derzeit noch Uneinigkeit über die beste Ersttherapie (Venenbypass vs. endovaskulär) bei Patienten besteht, die für beide Therapieoptionen geeignet sind.
Schlussendlich sei auch noch festgehalten, dass eine optimale Wundversorgung das A und O in der Wundheilung ist und ein großes Augenmerk auch auf die Prävention zu legen ist. Alle Vorsichtsmaßnahmen müssen getroffen werden, um nach Wundheilung keine neuerlichen Wunden entstehen zu lassen. Neben optimaler medikamentöser Therapie ist auch die Aufklärung der Patienten über potenzielle Gefahren (z. B. kleine Verletzungen, Druckstellen an den Füßen) von großer Bedeutung.
Zur Prävention gehört selbstverständlich auch eine orthopädische Schuhversorgung. Wir können uns hier wieder einmal glücklich schätzen, in Österreich zu leben: Wir sind eines der wenigen Ländern, in denen Patienten mit DFS einen orthopädischen Schuh einmal pro Jahr von ihrer Krankenkasse finanziert bekommen.